A. Berner: Kreuzzug und regionale Herrschaft

Titel
Kreuzzug und regionale Herrschaft. Die älteren Grafen von Berg 1147–1225


Autor(en)
Berner, Alexander
Erschienen
Köln 2014: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
373 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gesine Klintworth, Berlin

In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse der Kreuzzugsforschung an den Teilnehmern bewaffneter Expeditionen ins Heilige Land wiedererwacht. Dabei geht es nicht, wie im 19. Jahrhundert üblich, um die Auflistung möglichst vieler Teilnehmer einer Region, sondern darum, dem Fragenkomplex um Ursache und Wirkung der Kreuzzugsbeteiligung auf den Grund zu gehen. So gingen beispielsweise Powell und Riley-Smith in ihren Untersuchungen zum fünften und zum ersten Kreuzzug auf familiäre Zusammenhänge, Rekrutierungsweisen, Vorbereitungen und Folgen ein.1 Die Wechselwirkung zwischen Kreuzzug und Herrschaft war Teil der Untersuchungen von Jordan, Reitz und Hechelhammer zu den Kreuzzügen König Ludwigs IX. und Kaiser Friedrichs II.2 Diese Fragestellung bildet auch den Leitfaden der hier zu besprechenden Dissertation von Alexander Berner, der jedoch kein bestimmtes Unternehmen oder einen bestimmten Herrscher in den Blick nimmt, sondern in Anlehnung an die noch unveröffentlichte Habilitationsschrift von Stefan Tebruck3 eine bestimmte Region als Emergenz- und Resonanzraum der Kreuzzüge über einen längeren Zeitraum untersucht. Gegenstand seiner Studie sind die älteren Grafen von Berg, die seit 1147 mindestens vier Kreuzzugsteilnehmer stellten und deren Linie mit dem Tod Erzbischof Engelberts von Köln 1225 im Mannesstamm erlosch.

Die Untersuchung gliedert sich in fünf Hauptkapitel. Das Erste (Kapitel 2) setzt die Beteiligung der Berger an den Kreuzzügen in Relation zu derjenigen anderer Adelshäuser aus dem Nordwesten des Reichs vom 11. Jahrhundert bis etwa 1230. Das Zweite (Kapitel 3) stellt ausführlich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Grafen von Berg und ihre Entwicklung im selben Zeitraum dar. Das Dritte (Kapitel 4) beschäftigt sich vor dem Hintergrund spiritueller Grundlagen mit der möglichen Beeinflussung der Berger durch den Zisterzienserorden. Das Vierte (Kapitel 5) behandelt die eigentliche Kreuzzugsbeteiligung der Grafenfamilie, erörtert die Umstände der Kreuznahmen, mögliche Motive, Vorbereitungsmaßnahmen und unmittelbare Auswirkungen, während das letzte Hauptkapitel (Kapitel 6) den „Langzeitfolgen“ gewidmet ist.

Auf diese Weise beleuchtet Berner verschiedene Aspekte der Kreuzzugsbeteiligung einer Grafenfamilie, die im hohen Maße von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Heimat abhing. Sein Ansatz, die Regionalgeschichte mit der Kreuzzugsgeschichte zu verknüpfen, erweist sich in vielen Punkten als ausgesprochen ertragreich. Indem Berner detailliert darlegt, wie die bergischen Grafen im Laufe des 12. Jahrhunderts ihre Macht und ihre Wirtschaftskraft erweiterten und wie wichtig dabei gute Beziehungen zum Erzbischof von Köln waren, verdeutlicht er die Zusammenhänge zwischen ihrem erfolgreichen Herrschaftsausbau und ihrem Engagement für die Kreuzzüge.

Beispielsweise zeugen Urkunden über Pfand- und Kaufgeschäfte, die Engelbert I. mit anderen Kreuzfahrern abschloss, um ihnen die finanziellen Mittel für den Aufbruch zu verschaffen, von einer hohen Finanzkraft des bergischen Grafen. Die Transaktionen mit anderen Kreuzfahrern der Region stellten aber nicht nur eine finanzielle Herausforderung dar, sondern brachten dem Grafenhaus auch Vorteile: Engelbert I. konnte zugleich die eigenen Besitzungen erweitern, ehemalige Konkurrenten an sich binden und damit seine Grafschaft absichern. Ein ähnliches Vorgehen weist Berner für Engelberts Sohn, Adolf III., nach. Die Betrachtung der politischen Verhältnisse im Nordwesten des Reichs zeigt, in welchen Situationen die Berger aufbrechen konnten und wann es geboten schien, daheimzubleiben. Ihre im Regionalvergleich außergewöhnliche Beteiligung am Albigenserkreuzzug erklärt Berner durch ihre Haltung im deutschen Thronstreit, für die sie vermutlich Buße taten. Doch wegen der unsicheren Verhältnisse in der Heimat kehrten Adolf III. und sein Bruder Engelbert bereits nach 40 Tagen wieder heim. Ebenso konnte Engelbert, nachdem er Erzbischof von Köln geworden war, nicht mehr selbst am fünften Kreuzzug teilnehmen, da er nun unter anderem für den Schutz der Grafschaft während der Abwesenheit seines Bruders zuständig war. Eine vor Damiette ausgestellte Urkunde, deren Zeugenliste Berner prosopographisch analysiert, belegt zum einen, dass Engelbert dennoch ein Kölner Kontingent beisteuerte und widerlegt zum anderen Schmales Annahme, die Unterzeichnenden seien alle bergische Ministerialen gewesen.4 Vielmehr befanden sich neben bergischen Dienstleuten auch solche des Grafen von Sayn und des Erzbischofs von Köln sowie linksrheinische Ritter in Adolfs Gefolge. Darüber hinaus liefert Berner überzeugende Erklärungen für die besondere Rolle Graf Adolfs III. während der Belagerung von Damiette. Neben den veränderten Verhältnissen am Niederrhein, die dazu führten, dass er unter den Kreuzfahrern des Nordwestens einen Führungsanspruch erheben konnte, machte ihn seine erfolgreiche Belagerung der Rheinfestung Kaiserswerth vermutlich zu einem Experten, dessen Rat bei der Belagerung der Nilfestung Damiette geschätzt wurde. Diese Punkte, bei denen es sich nur um einige der von Berner herausgearbeiteten Wechselwirkungen handelt, genügen, um den Wert seiner Arbeit zu verdeutlichen.

Mitunter wäre eine andere Aufteilung der Kapitel sinnvoll gewesen. So werden beispielsweise die fehlende Betonung des verdienstvollen Todes dreier Angehöriger der Grafenfamilie auf einem Kreuzzug in der Memorialüberlieferung und das Altenberger Totengedenken für Simon von Montfort als Folge der bergischen Teilnahme am Albigenserkreuzzug in verschiedenen Hauptkapiteln behandelt. Die Auswirkungen der genannten Todesfälle für die Grafschaft werden sogar erst im Schluss der Arbeit in Synthese gebracht. Ebenso stellt sich die Frage, ob die Beschränkung der spirituellen Grundlagen auf eine Betrachtung des Zisterzienserordens nicht zu einseitig ist, da beispielsweise auch zu den Ritterorden Kontakte bestanden. Zwar leuchtet es ein, die Förderung des Deutschen Ordens als unmittelbare Folge der Teilnahme Adolfs III. am fünften Kreuzzug in diesem Zusammenhang zu betrachten. Doch die Förderung der Johanniter durch Engelbert I. erfolgte vor dessen Aufbruch zum dritten Kreuzzug und rührte vermutlich aus Kontakten, die während seines Italienzuges 1160 entstanden waren. Auch hierbei handelt es sich also um eine spirituelle Verbindung, die möglicherweise Einfluss auf die Kreuznahme Engelberts und seiner Söhne ausübte.

Der Versuch, die im regionalen Vergleich außergewöhnliche Teilnahme eines Bergers am zweiten Kreuzzug zu erklären, führt meines Erachtens zu einer Überbetonung der institutionellen Verbindung der Grafenfamilie zum Zisterzienserorden, in deren Zentrum Berner das bergische Hauskloster Altenberg und dessen Mutterabtei Morimond stellt. Schwerer als die Beziehungen Morimonds nach Palästina dürften dagegen die persönlichen Kontakte zu anderen dem Heiligen Land verbunden Personen gewogen haben. Denn vor dem Grafensohn Adolf Junior war bereits sein Onkel Everhard als Mönch von Morimond zu einer Jerusalemreise aufgebrochen, auch wenn er über Flandern nicht hinauskam. Und ein weiterer Onkel, Erzbischof Bruno I. von Köln, stand im engen persönlichen Kontakt zu Abt Bernhard von Clairvaux, dem bedeutenden Prediger des zweiten Kreuzzugs.

Die angesprochenen Kritikpunkte sollen aber in keiner Weise Berners Verdienst mindern. Ihm gelingt es, ein facettenreiches Bild der Kreuzzugsteilnahme der älteren Grafen von Berg zu zeichnen, aus dem hervorgeht, in welchem Maße die Verhältnisse in der Heimat auf den Entschluss zum Aufbruch, die finanziellen Möglichkeiten und die Absicherungsmaßnahmen einwirkten und welche Veränderungen die Kreuzzugsteilnahmen der Berger in der Grafschaft mit sich brachten. Auf diese Weise leistet Berner einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Kreuzzüge auf der einen Seite und zum Verständnis regionaler Entwicklungen auf der anderen Seite.

Anmerkungen:
1 James M. Powell, Anatomy of a crusade 1213–1221, Philadelphia 1986; Jonathan Riley-Smith, The First Crusaders 1095–1131, Cambridge 1997.
2 William Chester Jordan, Louis IX. and the Challenge of the Crusade. A study in Rulership, Princeton 1979; Dirk Reitz, Die Kreuzzüge Ludwigs IX. von Frankreich 1248/1270, Münster 2005; Bodo Hechelhammer, Kreuzzug und Herrschaft unter Friedrich II. Handlungsspielräume von Kreuzzugspolitik (1215–1230), Ostfildern 2004.
3 Stefan Tebruck, Aufbruch und Heimkehr. Jerusalempilger und Kreuzfahrer aus dem Raum zwischen Harz und Elbe (1100–1300), Habilitationsschrift, Jena 2007.
4 Franz-Josef Schmale, Zur Ministerialität der Grafen von Berg und der Grafen von der Mark im 13. Jahrhundert, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 73 (1981), S.139–167.