G. Schlütter-Schindler (Bearb.): Die Regesten der Herzöge von Bayern

Titel
Die Regesten der Herzöge von Bayern. Die Zeit der Herzöge Otto I. und Ludwig I.


Autor(en)
Schlütter-Schindler, Gabriele
Reihe
Regesten zur bayerischen Geschichte
Erschienen
München 2013: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
LIX, 307 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hubertus Seibert, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Eine neuere kritische oder digitale Edition der Urkunden der Herzöge von Bayern seit 1180 gehört seit langem zu den Desiderata der vergleichenden Landesgeschichte und Mittelalter-Forschung. Dieser beklagenswerte Befund zwingt die Forschung bis heute, auf zahlreiche Drucke unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualität und unkritische Quellensammlungen wie die 1763 begründete Monumenta Boica zurückzugreifen. Für die bis ca. 1240/50 in Bayern dominierende ältere Erscheinungsform der Herzogsurkunde – die zumeist vom jeweiligen Empfänger ausgefertigte Traditionsnotiz1 – bieten die neueren, seit 1952 publizierten mehr als vierzig Traditionsbücher bayerischer Bistümer, Klöster und Stifte adäquaten Ersatz und eine zuverlässige Textgrundlage. Doch für die jüngere, in Bayern erst vor 1200 einsetzende Form der herzoglichen Siegelurkunde2 fehlt eine vergleichbare Edition wie das für die Siegelurkunden der babenbergischen Herzöge von Österreich vorliegende Urkundenbuch.3
Diesem Umstand hat die Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1997 Rechnung getragen, als sie entschied, die empfindliche Lücke durch die Erstellung eines Regestenwerkes zur Geschichte der bayerischen Herzöge zu schließen.4 Das Projekt setzt angesichts der wenigen bayerischen Herzogsurkunden, die für die Zeit des 10. bis 12. Jahrhunderts überliefert sind5, mit dem Aufstieg der Wittelsbacher zur bayerischen Herzogswürde im Jahr 1180 ein. Geplant ist eine Fortsetzung zumindest bis zum Tode Herzog Ludwigs II. 1294.
Der vorliegende Regestenband umfasst die Regierungszeit der ersten beiden wittelsbachischen Herzöge Ottos I. (1180–1183, Nr. 1-49) und Ludwigs I., genannt der Kelheimer (1183–1231, Nr. 1–626). Die Bearbeiterin hat sich zu Recht für eine Vollregestierung entschieden. Sie berücksichtigt nicht nur die von den beiden Herzögen ausgestellten Urkunden, sondern ergänzt die so gewonnenen Erkenntnisse durch die einschlägige Überlieferung in historiografischen, inschriftlichen und literarischen Quellen. Darüber hinaus hat sie auch die Urkunden herangezogen, in denen der Herzog als Mitaussteller, Mitsiegler, Zeuge oder Empfänger auftritt. Auf diese Weise und dank der erfreulich ausführlichen Inhaltsangaben der regestierten politischen Vorgänge und herrscherlichen Akte entsteht ein sehr differenziertes und prägnantes Bild vom politischen Handeln und der Herrschaftspraxis der Herzöge.

Die singuläre, nahezu ununterbrochene Königsnähe der ersten wittelsbachischen Herzöge bildete das Fundament ihrer herzoglichen Gewalt und sicherte ihre Vorrangstellung gegenüber allen konkurrierenden Adelsfamilien in Bayern. Das Königtum lohnte den unermüdlichen Einsatz Ottos I. und Ludwigs I. für König und Reich6 durch bedeutende Vorrechte wie die Erblichkeit der bayerischen Herzogswürde (Nr. 149 [1208]) und die Verleihung des vornehmsten weltlichen Reichsfürstentums, der Pfalzgrafschaft bei Rhein (Nr. 223 [1214]). Unter Kaiser Otto IV., in dessen Itinerar der Südosten des Reiches keine erkennbare Rolle spielte, stieg Herzog Ludwig I. zwischen 1208 und 1212 zu dessen fast königsgleichem Vertreter in diesem Raum auf.7

Die zahlreichen im Band versammelten Informationen gewähren zudem tiefere Einblicke in die herrschaftliche Praxis der bayerischen Herzöge aus dem Haus Wittelsbach. Sie dokumentieren die große Dynamik der wittelsbachischen Territorialherrschaft, die sich seit 1200 nach und nach ausformte und ganz Bayern zu erfassen begann. Diese basierte auf unterschiedlichen, vielfach miteinander vernetzten Faktoren und Instrumenten wie den herzoglichen Land- und Gerichtstagen (vor allem Nr. 19 [1188], 144 [1207], 187 [1210], 288 [1214/18], 439 [1223], 453 [1224]), dem Erwerb zahlreicher Vogteirechte (z. B. Nr. 331 [1219], 448 [1224], 463 [1224]), der Gründung und Anlage neuer Städte wie Landshut (Nr. 111 [1204]), Straubing (Nr. 307/08 [1218]) oder Landau an der Isar (Nr. 465 [1224]) sowie der Beerbung ausgestorbener Adelsfamilien wie der Burggrafen von Regensburg (Nr. 34 [1193]) und der Diepoldinger (Nr. 106 [1204]).8

Die Benutzung des grundlegenden Bandes wird durch ein detailliertes Orts- und Personenregister sowie ein separates Zeugenregister erheblich erleichtert. Es bleibt zu hoffen, dass die nächsten Bände nicht lange auf sich warten lassen!

Anmerkungen:
1 Siegfried Hofmann, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzoge von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein von 1180 bzw. 1214 bis 1255 bzw. 1294, Kallmünz 1967, S. 24.
2 Eine noch immer nützliche, aber ergänzungsbedürftige Liste aller bekannten herzoglichen Siegelurkunden bis 1294 bieten Hofmann, Urkundenwesen, S. 220–284, und Ludwig Schnurrer, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzöge von Niederbayern 1255–1340, Kallmünz 1972, S. 347–371.
3 Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich. Vorbereitet von Oskar Freiherr von Mitis, bearbeitet von Heinrich Fichtenau / Erich Zöllner, Bd. 1–2, Wien 1950 und 1955; vgl. dazu: Hubertus Seibert, Wozu heute Urkunden edieren? Zum Abschluß des Babenberger Urkundenbuches, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 64 (2001), S. 295–308.
4 Ludwig Holzfurtner, Die Regesten der Herzöge von Bayern. Bericht über ein neues Projekt der Kommission für bayerische Landesgeschichte, in: Konrad Ackermann u. a. (Hrsg.), Bayern vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, Bd. 1, München 2002, S. 77–86, hier S. 77 und 82–86.
5 Walther Kienast, Der Herzogstitel in Frankreich und Deutschland (9. bis 12. Jahrhundert). Mit Listen der ältesten deutschen Herzogsurkunden, München 1968, S. 353, 359–365 und 408-412 Nr. 1–18.
6 Vgl. dazu: Gabriele Schlütter-Schindler, Zwischen Landesherrschaft und Reichsdienst. Die Herzöge Otto I. und Ludwig I. von Wittelsbach, in: Alois Schmid / Hermann Rumschöttel (Hrsg.), Wittelsbacher-Studien. Festgabe für Herzog Franz von Bayern zum 80. Geburtstag, München 2013, S. 37–58.
7 Zuletzt: Hubertus Seibert, “Fidelis et dilectus noster“. Kaiser Otto IV. und der Südosten des Reiches (1198–1212), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 118 (2010), S. 82–102, besonders S. 92f. und 95–102.
8 Dazu jetzt: Tobias Küss, Die älteren Diepoldinger als Markgrafen in Bayern (1077–1204). Adlige Herrschaftsbildung im Hochmittelalter, München 2013, S. 61f.

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