J. Zirfas u.a.: Geschichte der Ästhetischen Bildung

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Titel
Geschichte der Ästhetischen Bildung. Band 3: Neuzeit, Teilband 1: Aufklärung


Autor(en)
Jörg, Zirfas; Klepacki, Leopold; Lohwasser, Diana
Erschienen
Paderborn 2014: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
€ 32,90
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Rebekka Horlacher, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Seit 2009 erscheint beim Verlag Ferdinand Schöningh eine auf vier Bände angelegte Geschichte der Ästhetischen Bildung, die von Jörg Zirfas und Leopold Klepacki herausgegeben wird, wobei das Herausgeberteam bei jedem Band von weiteren Herausgebern unterstützt wird, in diesem Fall von Diana Lohwasser. Der vorliegende Band beschäftigt sich in zehn Kapiteln mit der Geschichte der ästhetischen Bildung der Aufklärung. In der Einleitung wird das „Zeitalter der Aufklärung“ (S. 7) wohltuend breit und offen skizziert, wobei sowohl auf die europäische Dimension als auch auf die Disparität und Ambiguität dieser Epoche verwiesen wird. „Aufklärung“ wird in der Einleitung zwar als „Initialepoche der Ästhetischen Bildung“ beschrieben (ebd.), aber auch als „Zeitalter der Pluralisierungen der Weltdeutungen“ (S. 13), das der „Fiktion einer egalitären Gesellschaft“ gefolgt sei (S. 12), den Fortschritt der Menschheit (S. 14) in den Blick genommen habe, im Rückblick aber auch sehr oft idealisierend beschrieben werde (S. 19). Deshalb ist es den Autoren der Einleitung (Leopold Klepacki und Jörg Zirfas) ein Anliegen, „die Gleichzeitigkeiten und Gegensätzlichkeiten verschiedener Konzepte, Theorien, Positionen und Forderungen in den Blick zu nehmen“ (S. 23, vgl. auch S. 17).

In den darauf folgenden zehn Kapiteln werden verschiedene Autoren und Konzepte der englischsprachigen (Locke, Shaftesbury, Hutcheson, Burke), französischsprachigen (La Mettrie, Condillac, Helvétius, Holbach, Rousseau, Diderot) und deutschsprachigen Aufklärung (Baumgarten, Winckelmann, Lessing, Kant, Schiller) vorgestellt. Die einzelnen Kapitel vermögen indes den in der Einleitung formulierten Anspruch, „Gleichzeitigkeiten“ und „Gegensätzlichkeiten“ in den Blick zu nehmen, nur bedingt einzulösen. Das liegt nicht primär an einer fehlenden oder ungenügenden Vertrautheit mit den Quellen oder an der Unkenntnis des Forschungsstandes, sondern vielmehr an der gewählten historiographischen Perspektive. Die verschiedenen Konzepte ästhetischer Bildung werden nicht in ihrem historischen Kontext, sondern unter einer bildungstheoretisch-normativen Perspektive rekonstruiert, die gleichzeitig auch noch die zentralen inhaltlichen Aspekte der jeweiligen Autoren benennen soll. Dies zeigt sich auch in der traditionellen Art und Weise, wie die einzelnen Kapitel strukturiert sind: Jedes Kapitel beinhaltet jeweils eine kurze Einleitung, eine Biografie des dargestellten Autors, einen Abschnitt zum entsprechenden Konzept ästhetischer Bildung und einen resümierenden Schlussteil. Damit wird die Publikation zwar (auch) als Nachschlagewerk nutzbar, der in der Einleitung angesprochenen Ambivalenz der Aufklärung, ihrer Situierung zwischen theoretischer Postulierung einer besseren Welt und der konkreten historischen Realität und der europäischen Verflochtenheit der aufklärerischen Konzepte, kann so aber nicht leicht Rechnung getragen werden. Nicht besonders hilfreich ist dabei auch eine Formulierung wie, Edmund Burkes Schriften sei ein gewisser „Reduktionismus“ eigen, den er nicht gesehen habe (S. 63), oder wenn konstatiert wird, dass Rousseau in der bisherigen Literatur kaum als ästhetischer Theoretiker rezipiert worden sei, da er sich in den traditionellen Bahnen der platonischen Philosophie bewegt habe (S. 83). Ähnliche Formulierungen lassen sich in den meisten Kapiteln finden. Sie schmälern den Lektüreertrag, was gerade auch vor dem Hintergrund der in der Einleitung proklamierten Breite schade ist, da der eigentlich anvisierten Offenheit nicht Rechnung getragen wird. Schade ist auch, wenn etwa im Kapitel zum ästhetischen Paradigma des Gentleman (Diana Lohwasser) die vielfältige englischsprachige Forschungsliteratur der letzten dreißig Jahre, die auch maßgebende Texteditionen John Lockes hervorgebracht hat, nicht berücksichtigt wird (S. 31).

Differenzierter aufbereitet ist das Kapitel zu Gotthold Ephraim Lessing (Leopold Klepacki). In der entsprechenden Einleitung wird nicht nur darauf hingewiesen, dass „das Argumentieren mit den großen Klassikern, mit den Zentralfiguren einer Epoche, den Schlüsselfiguren eines Denkens oder einer Strömung“ dazu neige, „Perspektiven zu glätten, Heterogenität und Diskrepanz aus dem Blick zu verlieren“, damit oft den „Standarddiskurs“ perpetuiere und „auf die üblichen und bekannten Referenzen zurückgreift“, sondern es wird auch darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise „oftmals affirmativ bzw. einseitig normativ wirkt“ (S. 157f.). Damit hebt sich diese Argumentation von den anderen Kapiteln ab, indem sie explizit ausschildert, welche Perspektiven weshalb und wofür eingenommen werden und damit auch nicht Gefahr läuft, unreflektiert bildungstheoretische Sichtweisen auf die Geschichte anzuwenden und Texte oder Autoren in ein normatives, von der Gegenwart bestimmtes Schema einzupassen.

Unabhängig von der Frage nach der Qualität der einzelnen Kapitel bewegt sich die ganze Publikation in einem Spannungsverhältnis von Geschichte und Normativität. Das Buch hat den Anspruch, einen Beitrag zur Geschichte der ästhetischen Bildung zu leisten, verweigert sich aber in den meisten Kapiteln einer historischen Perspektive, welche die Quellen ernst nimmt und sie kontextualisierend rekonstruiert. Die Publikation ist aber auch kein eigentliches Nachschlagewerk, da sie in vielen Abschnitten nicht den Stand der Forschung repräsentiert. Vielmehr präsentiert sie sich als eine Mischung unterschiedlicher Vorhaben, jeweils ergänzt durch eine bildungstheoretische Perspektive, was hier am Beispiel von Friedrich Schillers Bildungsmodell (Jörg Zirfas) gezeigt werden soll: Der Autor stellt in der Einleitung fest, dass es sowohl einfach als auch äußerst schwierig sei, Schiller als Autor ästhetischer Bildung darzustellen, da er als einer der prominentesten Autoren in diesem Themenfeld gelte, was zu einem „sehr intensiv geführten Diskurs um sein Konzept der Ästhetischen Bildung“ geführt habe. Andererseits sei diese Fülle „sehr schwierig, auch nur annähernd zusammen [zu] fassen“ (S. 197). Als Begründung für dieses große und langandauernde Interesse an Schiller führt Zirfas vier Gründe an. Den ersten Grund sieht er darin, dass Schiller als „deutscher Nationaldichter gilt und daher in intellektuellen und bürgerlichen Kreisen zwei Jahrhunderte lang eine hohe Reputation genoss“ (ebd.). Der zweite Grund liege im „Pathos der Freiheit und Selbstbestimmung“, der dritte Grund im „Modell der Ästhetischen Bildung“, das „letztlich unwahrscheinlich und widersprüchlich bleibt“ (S. 197f.), was dazu führe, dass viertens diese „Inkonsistenzen und Widersprüche“ immer wieder „Anschlussfähigkeit“ böten „an historisch und kulturell unterschiedliche Perspektiven der Moral, der Anthropologie und der Politik“ (S. 198). Dieser Analyse ist grundsätzlich zuzustimmen; allerdings stellt sich die Frage, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Während Zirfas daran die Bedeutung des entsprechenden Autors festmacht und in der Auseinandersetzung mit dessen Gedanken und Schriften normative Leitlinien für pädagogisches Handeln rekonstruieren möchte, vermisst man Ausführungen dazu, weshalb und mit welchen Zielen Schiller zur normativen Leitfigur erhoben wurde und möglicherweise immer noch wird. Was bedeutet diese Tatsache für die Historiographie bzw. die Art und Weise, wie eine Disziplin mit ihrer eigenen Tradition und Geschichte umgeht? Bleibt die Geschichte der ästhetischen Bildung so nicht einer pädagogischen, verstanden als moralische oder normative Historiographie verhaftet und verweigert sich damit einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung? Die Geschichte der ästhetischen Bildung der Aufklärung hätte Potenzial für eine differenziertere Betrachtung. Einen zögerlichen Schritt in die Richtung sind die Autoren – vor allem in der Einleitung bzw. in ihrer programmatischen Ankündigung – gegangen. Doch leider ist von diesem Anspruch in den meisten Kapiteln nicht mehr viel übrig geblieben. Die Publikation muss deshalb als eine weitgehend verpasste Chance gedeutet werden, der angezeigten Problemstellung auch wirklich gerecht zu werden.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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