H. Grunwald: Courtroom to Revolutionary Stage

Cover
Titel
Courtroom to Revolutionary Stage. Performance and Ideology in Weimar Political Trials


Autor(en)
Grunwald, Henning
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
£65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hubert Seliger, Augsburg

Die Forschung zur Geschichte des deutschen Anwaltsberufs im 20. Jahrhundert boomt.1 Lange Zeit war Fritz Ostlers anlässlich des hundertsten Geburtstages des Deutschen Anwaltsvereins veröffentlichte Gesamtdarstellung fast das einzige Werk zur deutschen Anwaltsgeschichte.2 Erst zu Beginn der 1990er-Jahre kamen von der Sozialgeschichte unter dem Forschungsparadigma der Professionalisierung wie aus der Anwaltschaft selbst neue Anstöße.3 Mittlerweile stehen für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtige Einzelbiographien zu bedeutenden Anwaltspersönlichkeiten, aber auch verschiedene Prosopographien und Kollektivbiographien, so zu den Anwälten bestimmter Rechtsanwaltskammern bzw. Regionen, weiblichen Anwälten und insbesondere den 1933 vertriebenen jüdischen Anwälten zur Verfügung.4 Spät, aber umso deutlicher rückte mit Felix Busses umfangreicher Darstellung zur Anwaltschaft nach 1945 unlängst die Anwaltsgeschichte der BRD und DDR nach 1945 in den Fokus des Forschungsinteresses5, was sich gerade auch an Arbeiten zu den Anwälten der Roten Armee Fraktion zeigt.6 Naturgemäß ist Anwaltsgeschichte eine Domäne der Rechtsgeschichte an den juristischen Fakultäten und von historisch interessierten Rechtsanwälten. Aber auch die Zeitgeschichte hat allen Grund, sich mit den gesellschaftlichen und politischen Aspekten der Anwaltsgeschichte zu befassen.

Wie fruchtbar ein Blick von „Nichtjuristen“ auf den Anwaltsberuf sein kann, belegt nun eindrucksvoll Henning Grunwalds Studie über die sogenannten „Parteianwälte“ in der Weimarer Republik. In Anlehnung an die Arbeiten von Thomas Mergel zum Parlamentarismus in Weimar7 sucht Grunwald kulturgeschichtliche Ansätze, insbesondere den „performative turn“, für die Anwaltsgeschichte nutzbar zu machen. Grunwald wünscht vollkommen zu Recht für die Erforschung der Weimarer Justiz einen Perspektivwechsel vom Richter auf den Anwalt (S. 2), als sich eine junge Anwaltsgeneration von dem noch stark obrigkeitlich geprägten Anwaltsbild hin zum Mandanteninteresse orientierte.

Den Parteianwälten der extremen politischen Parteien in der Weimarer Republik allerdings ging es, wie Grunwald herausarbeitet, nicht mehr nur um ein neues berufliches Selbstverständnis. Sie schufen ein neues Paradigma der Prozessführung, indem sie bei ihrer Verteidigung das juristische Verfahren und seinen Ausgang sowie das Mandantenwohl dem propagandistischen Außeneffekt in der Öffentlichkeit unterordneten: „All justice is theatrical, and the performance of its own neutrality and fairness is constitutive of the legal process. This, however, is an aspect of judicial practice lawyers find hard to acknowledge. Law closes – and must close its eyes to its own imponderability and the precariousness of its decision-making.“ (S. 91) Indem die Parteianwälte „dry legal proceedings into spectacular clashes of fundamentally opposed world-views“ (S. 4) transformierten, übernahmen sie selbst eine aktive und kreative Rolle in der politischen Inszenierung von „revolutionary commitment and uncomprimising total rejection of the democratic order“ (S. 216f.) und rissen die Grenzen zwischen der Sphäre des Rechts gegenüber anderen Arenen des politischen Konflikts nieder. Anhand des Tagebuchs des jungen Rechtsanwalts Rüdiger von der Goltz legt Grunwald dar, wie dieser das eigene Selbstbild von Jugendlichkeit und Dynamik, manifestiert im Interesse an schnellen Autos, nach außen stilisierte und sich als jugendliche, dezidiert antidemokratische Alternative einer neuen Generation gegen die alten Eliten und deren Unterwerfung unter die „Tributjustiz“ präsentierte.

Eingebunden waren die politischen Anwälte in parteinahe Rechtsschutzorganisationen. Unter kritischer Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur betont Grunwald, dass die „Zentrale Justizstelle“ der der KPD nahestehenden „Roten Hilfe“ noch immer wenig und teilweise unter einem apologetischen Blick betrachtet wird. Grunwald stellt überzeugend heraus, wie stark die „Justizstelle“ durch die Parteiführung gesteuert wurde und dem Primat der Ideologie unterworfen war. Eine effektive Anwaltsorganisation der „nationalen Rechten“ zu etablieren, gelang hingegen nicht. Völkisch orientierte Anwälte wie Roland Freisler fanden eine Heimat in dem im September 1928 von dem Münchner Anwalt Hans Frank gegründeten Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen, der allerdings in ständiger Konkurrenz zu den „unabhängigen“ deutschnationalen Anwälten wie von der Goltz und der SA-Rechtsabteilung stand.

Im letzten Abschnitt seines Buches nimmt Grunwald mit Methoden des „performative turn“ das Auftreten der Anwälte im Gerichtssaal und der Öffentlichkeit in den Blick: „[L]abelling trials as performances of ideology is to suggest that they offered extremist parties a means of creating meaning and identity that was intuitive, emotive, interactive, and powerful“ (S. 179). Es gelingt Grunwald, die Bedeutung des „Selbstopfers“ des Mandanten für das performative Auftreten des Anwalts als politischem Akteur aufzuzeigen. Diese „heroic community“ aus Mandanten, Anwälten und der Partei sei eine zentrale Komponente gewesen, um den Ethos und das Selbstbild der eigenen Partei als revolutionäre Kraft aufrechtzuerhalten. Hierzu gehörte, wie Grunwald an von der Goltz zeigt, das enge Zusammenspiel des Anwalts mit Gerichtsreportern und Journalisten durch das „Füttern“ mit exklusivem Material.

Kritisch ist anzumerken, dass sich Grunwald gerade in Kapitel fünf unnötigerweise in theoretische Auseinandersetzungen über Sinn und Zweck des „performative turn“ verzettelt, um schließlich wenig überraschend mit der Juristin Julie Peters zum Ergebnis zu kommen, dass es bislang keine theoretische Ausarbeitung der „nature of legal performance or the meaning of legal theatricality“ (S. 177) in der Forschung gibt. Teilweise scheint Grunwald auch den „theatralen“ Charakter des Auftretens der Anwälte zu wörtlich zu nehmen. Die Feststellung der Verwandtschaft zwischen Innovationen im Theater der Weimarer Republik, wie etwa dem Agitprop, und dem Verhalten der Parteianwälte im Gerichtssaal mag eine interessante Beobachtung sein, mehr als eine Analogie kann aber Grunwald nicht herstellen. Auch gelingt es aufgrund des kleinen Samples von nur zehn Anwaltspersönlichkeiten der politischen Linken und Rechten nur bedingt, ein soziales Profil dieser Parteianwälte zu erstellen. Weiterhin wertet Grunwald zwar effektiv die wenigen vorhandenen Nachlässe der Anwälte bzw. Materialien der politischen Parteien und die Eigenliteratur der Anwälte aus, aber gerade in einer Arbeit, die das Auftreten im Prozess und ihre Außenwirkung ins Zentrum stellt, hätte eine stärkere Berücksichtigung insbesondere von Pressequellen und sonstiger Memoirenliteratur erfolgen können – mit einigem Gewinn, wie folgende kleine Anekdote zeigt: Wolfgang Heintzeler, in der NZ-Zeit zeitweilig persönlicher Referent von Reichsjustizminister Franz Gürtner, erinnerte sich noch in seinen Memoiren in den 1980er-Jahren an Roland Freislers Auftreten im Gerichtssaal, als jener in einem nicht näher genannten politischen Prozess am Ende der Weimarer Republik nach der Verurteilung seines Mandanten mit einer Taschenlampe unter die Bänke leuchtete und auf die Frage des Vorsitzenden, was Freislers seltsames Verhalten zu bedeuten habe, antwortete: „Herr Vorsitzender, ich suche die Gerechtigkeit“.8 Schließlich ist Grunwalds Ausblick auf die Jahre nach 1933 zu kurz geraten. Insbesondere die Frage, inwieweit die „Theatralisierung“ des Gerichtssaals eine Fortsetzung im Nationalsozialismus gefunden hat, etwa durch das Auftreten von Friedrich Grimm, von der Goltz’ großem Anwaltskonkurrenten, in bedeutsamen Auslandsprozessen des „Dritten Reichs“ bzw. durch Freislers Prozessführung als Vorsitzender des Volksgerichtshofs, bleibt weitgehend unbeantwortet.

Trotz dieser Kritik ist im Gesamtergebnis festzuhalten, dass Grunwald nicht nur wesentliche Grundlagenarbeit für die Erforschung „politischer Anwälte“ in Deutschland geleistet hat, sondern inhaltlich wie methodisch einen der innovativsten Beiträge der letzten Jahre zur deutschen Anwaltsgeschichte erarbeitet hat.

Anmerkungen:
1 Deutscher Anwaltverein (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte. Zum 140. Gründungsjahr des Deutschen Anwaltvereins, Tübingen 2011. Eine umfangreiche Zusammenstellung der seit 1998 erschienen Literatur zur Anwaltsgeschichte bietet das Forum Anwaltsgeschichte e.V., <http://www.anwaltsgeschichte.de/literatur/literaturlisten.html> (16.10.2014).
2 Fritz Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871 bis 1971, Essen 1971.
3 Vgl. hier insbesondere Tillmann Krach, Jüdische Anwälte in Preußen. Über die Bedeutung der freien Advokatur und ihre Zerstörung im Nationalsozialismus, München 1991.
4 Beispielhaft seien genannt: Benjamin Hett, Crossing Hitler. The Man Who Put the Nazis on the Witness Stand, Oxford 2008; Angela Borgstedt, Badische Anwaltschaft und sozioprofessionelles Milieu in Monarchie, Republik und totalitärer Diktatur 1864–1945, Karlsruhe 2012; Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen. Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (1900–1945), Köln 2011; Reinhard Weber, Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, München 2006.
5 Felix Busse, Deutsche Anwälte. Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945–2009. Entwicklungen in West und Ost, Berlin 2010.
6 Vgl. Andreas Mehlich, Die Verteidiger in den Strafprozessen gegen die Rote Armee Fraktion. Politische Justiz und politische Strafverteidigung im Lichte der Freiheit der Advokatur, Berlin 2012; Gisela Diewald-Kerkmann / Ingrid Holtey (Hrsg.), Zwischen den Fronten. Verteidiger, Richter und Bundesanwälte im Spannungsfeld von Justiz, Politik, APO und RAF. Gespräche, Berlin 2013.
7 Thomas Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, Düsseldorf 2002.
8 Wolfgang Heintzeler, Im Jahrhundert extremer Turbulenz, Herford 1988, S. 58.

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