D. Schönpflug: Heiraten der Hohenzollern

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Titel
Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa 1640-1918


Autor(en)
Schönpflug, Daniel
Reihe
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 207
Erschienen
Göttingen 2013: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 59,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pauline Puppel, Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Nicht nur diplomatische Beziehungen, gemeinsame Kongresse und kriegerische Konflikte waren Mittel der fürstenstaatlichen Außenpolitik, sondern – und das untersucht Daniel Schönpflug in seiner 2009 vorgelegten Habilitationsschrift anhand der Hohenzollern – auch Heiraten des Hochadels waren Mittel und Ziel außenpolitischer Aktionen. Die 90 Vermählungen der Hohenzollern mit brandenburgisch-preußischen, britisch-hannoverschen und russischen Herrscherdynastien sowie Heiraten mit reichsdeutschen Fürstenhäusern zwischen 1640 und 1918 bilden ebenso die Grundlage seiner Analyse wie die in diesem Zeitraum angebahnten, jedoch nicht vollzogenen Heiratsprojekte.

Schönpflug geht mit dem Soziologen und Anthropologen Marcel Mauss davon aus, dass eine Heirat ein „totales gesellschaftliches Phänomen“ (S. 12) darstellte. Die vielfältigen Bedeutungen von ‚Staatsheiraten‘ (Michael Stolleis) in der Zeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert nimmt er in seiner methodisch von ethnologischen und soziologischen Herangehensweisen inspirierten Studie aus sechs Perspektiven in den Blick. Seine Grundlage bilden edierte Quellen wie Hausgesetze, Memoiren und Korrespondenzen, aber auch Archivgut aus den National und den Royal Archives, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), dem Brandenburg-Preußischen Hausarchiv (BPH) und dem Staatsarchiv der Russischen Föderation in Sankt Petersburg. Allen sechs Teilen der Arbeit ist ein Abschnitt über die aktuelle Forschungslage und die angewandte Methodik vorgeschaltet.

Der erste Teil ist der Geschichte der Staatsbildung gewidmet, daher analysiert Schönpflug anschaulich die Zusammenhänge von territorialer Entwicklung, Ebenbürtigkeit und Hausgesetzgebung. Die Sorge um gesunden Nachwuchs, die Frage der standesgemäßen Verheiratung der Söhne und der Ausstattung der wegheiratenden Töchter waren von hoher Bedeutung für den Erhalt von Stand und Staat. Schönpflug weist durch den diachronen Vergleich der Heiraten nach, dass sich das außenpolitische System vom 18. zum 19. Jahrhundert wandelte. Nach den Befreiungskriegen wurde seiner Erkenntnis nach Besitz durch Fürstenheiraten weder gesichert noch erworben.

Im zweiten Teil analysiert Schönpflug Motive und Regelsysteme der Fürstenheiraten. Die Heiratskreise standen im Spannungsfeld von politischer Strategie und individueller Neigung. Der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass sowohl die Hausgesetze als auch die Heiratspraxis eine Rechtsauffassung spiegelten, die zwischen dem individuellen Konsensrecht und der Autorität des ‚chef de famille‘ vermittelte. Er unterstreicht, dass Prinzen und Prinzessinnen gleichermaßen dem väterlichen Willen unterworfen waren, da Gehorsam als „Teil des Anforderungsprofils an den fürstlichen Nachwuchs“ (S. 75) zum Habitus (hoch-)adeliger Kinder gehörte. Bei Prinzen und Prinzessinnen stellt Schönpflug keine Polarisierung emotionaler Verhaltensmuster fest; seiner Ansicht nach waren Emotionen nicht individueller geschlechtsspezifischer Gegenpol, sondern Verstärkung dynastischer Interessen. Darüber hinaus betont er die Ebenbürtigkeit und fragt nach den Heiratsregeln der beteiligten Dynastien, die den Erweis gegenseitiger Ehrerbietung im ausgeklügelten Prinzip des adeligen Ehegüterrechts manifestierten. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass durch den exklusiven Heiratskreis Stellung und Besitz gesichert wurden, darüber hinaus das Bestreben bestand, so hochrangig wie möglich und keinesfalls in andere Statusgruppen zu heiraten. Dieses Bestreben zeigt sich auch im Ehegüterrecht, das, wie Schönpflug gekonnt herausarbeitet, auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhte.

Das Verhältnis von vormoderner zu moderner Politik hinterfragt der Verfasser im dritten Teil. Die Untersuchung der Heiratspraxis zwischen den Herrscherdynastien beantwortet die Frage nach der Europäisierung. Schönpflug stellt fest, dass der von konfessioneller, verwandtschaftlicher und räumlicher Nähe geprägte Heiratskreis der Hohenzollern überschaubar blieb, und stellt daher die Idee von der ‚europäischen Familie der Dynastien‘ in Frage. Bis 1800 wurden die meisten Ehen mit dem Haus Hessen geschlossen. Schönpflug konstatiert, Nachbarschaft und Konfession seien die verbindenden Elemente gewesen, und geht davon aus, dass die Hohenzollern keine Hoffnung auf die Erheiratung von hessischen Territorien hätten haben können (S. 124). Er hat jedoch nicht beachtet, dass Kurbrandenburg aufgrund anderer Regelungen mit dem Anfall der Landgrafschaft rechnen konnte: Zwischen den Dynastien bestand seit dem Mittelalter die mehrfach erneuerte und 1635 kaiserlich bestätigte Erbeinigung. Im 19. Jahrhundert änderte sich das Heiratsverhalten: Jede zweite Ehe wurde mit einer anderen königlichen Dynastie geschlossen. Schönpflug analysiert akribisch dynastische Strategien und Kulturen der Hohenzollern und ihrer Heiratspartner. Insbesondere bei Verbindungen mit politisch potenten britischen und russischen Ehepartnern zeichnet er die komplizierten Heiratsverhandlungen und die Versiertheit der Vermittler nach, die nötig waren, um die kulturellen und konfessionellen Differenzen bei der Eheanbahnung zu überwinden. Mit Anke Hufschmidt möchte ich in diesem Zusammenhang jedoch dafür plädieren, anstelle von ‚Mischehen‘ vorzugsweise von ‚konfessionsverschiedenen Ehen‘ zu sprechen (S. 116, 269f.).1

Im vierten Teil entwirft der Autor zunächst eine Typologie der Heiratsfunktionen, um die Tauglichkeit von Verwandtschaftsnetzwerken für politische Kooperationen zu prüfen. Er findet insbesondere im 18. Jahrhundert anschauliche Beispiele wie die Heiratsprojekte Friedrichs des Großen für seine Nichten und Neffen. Deutlich wird, dass sich Motive für Heiraten nie eindeutig nur einer Typologie zuordnen lassen. Schönpflug untersucht dann, inwieweit Fürstenheiraten tatsächlich ihr außenpolitisches Potenzial erfüllten. Sollte eine Heirat zu politischen Allianzen oder zur Rekonziliation führen, so betont Schönpflug, konnte es bei Misslingen der Verhandlungen durchaus auch Anlass für die Entzweiung der Dynastien geben. Gefühlsbegriffe und Beziehungsvokabeln wurden nach seinen Erkenntnissen in den außen- und heiratspolitischen Handlungsfeldern gleichermaßen verwendet. In einem dritten Schritt fragt er, ob Fürstenhochzeiten im 19. Jahrhundert an Bedeutung für die Staatspolitik verloren. Der Verfasser geht zunächst davon aus, dass nach 1800 Herrschaftsansprüche nicht mehr der verwandtschaftlichen Begründung bedurften, weist aber nach, dass in vielerlei Hinsicht nach wie vor die gleichen Gesetzmäßigkeiten für die Heiratspolitik galten wie im 17. und 18. Jahrhundert. Allerdings, so betont er, habe die Öffentlichkeit immer mehr Einfluss auf die heiratspolitischen Ziele genommen und sei ihrerseits selbst von diesen beeinflusst worden.

Das Hochzeitsfest versteht Schönpflug als ritualisierte, emotionalisierte und dadurch besonders breitenwirksame Inszenierung politischer Beziehungen. Den „Ereignistyp“ Fürstenhochzeit stellt er im fünften Teil als „Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln“ (S. 26) dar, dem gerade durch die Bindungssemantik noch im 19. Jahrhundert eine große politische Bedeutung beigemessen wurde. Seine Analyse der Rituale und der symbolischen Kommunikation beantwortet die Frage danach, wie vom 17. bis frühen 20. Jahrhundert vor und mit der Öffentlichkeit Bindungen und Beziehungen geschaffen, dargestellt und interpretiert wurden. In den Blick genommen werden Brautfahrten, Entrées und Feste ebenso wie Berichterstattungen in den Medien. Er seziert die Inszenierung von Liebe, die seit 1800 nur scheinbar mit einer zunehmenden Entpolitisierung der Fürstenheirat einherging. Seiner Erkenntnis nach diente sie gerade deshalb der breitenwirksamen Vermittlung politischer Inhalte.

Abschließend reiht der Autor die Dynastie der Hohenzollern in die ‚große Familie des gesamteuropäischen Hochadels‘ (Duchhardt) ein, um die Vorstellung von dieser einen gemeinsamen Erfahrungsraum teilenden Einheit zu hinterfragen. Intensive grenzüberschreitende Verflechtung und Kommunikation führten zu einer Europäisierung der Dynastien, daher untersucht Schönpflug erstens Europa-Darstellungen bei Hochzeitsfeierlichkeiten, um zweitens nach der Manifestation der gemeinsamen verbindenden Kultur zu fragen. Drittens nimmt er die Binnen- und Außengrenzen des verwandtschaftlichen Netzwerks in den Blick. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass die Inszenierung der ‚Europa-Idee‘ insbesondere seit 1700 eine Rolle spielte und die europäischen Königshäuser vornehmlich untereinander und nach spezifischen Mustern heirateten, jedoch die räumliche Entfernung und die Konfession bis ins 19. Jahrhundert zu den trennenden Elementen gehörten. Schönpflug resümiert, dass Fürstenheiraten der Europäisierung dienten, obwohl es das ‚Europa der Dynastien‘ als ein den Kontinent übergreifendes verwandtschaftlich verbundenes und friedlich kooperierendes Netzwerk der Herrscherfamilien nicht gegeben hat.

Im Anhang listet Schönpflug alle Heiraten zwischen 1640 und 1918 auf, so dass ein guter Überblick gegeben ist. Die durchweg gut lesbare Studie schließt mit einem Personenregister, das nicht nur Protagonisten mit ihren Lebensdaten und Verwandtschaftsbeziehungen, sondern auch im Text erwähnte Forscher und Forscherinnen umfasst. Die uneinheitliche Schreibweise von Kleve/Cleve, der knappe Anmerkungsapparat sowie die nachgerade abenteuerliche Zitation von Beständen des BPH und des GStA PK sind ärgerlich, aber schmälern sein Ergebnis nicht. Bis zur Demokratisierung Europas war Heiratspolitik zugleich Außenpolitik – das hat Schönpflug nachdrücklich bewiesen.

Anmerkung:
1 Vgl. Anke Hufschmidt, „Den Krieg im Braut-Bette schlichten“. Zu konfessionsverschiedenen Ehen in fürstlichen Familien der Frühen Neuzeit, in: Jens Flemming u.a. (Hrsg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag, Kassel 2004, S. 333–355.

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