M. Magin: Wahlkampf in Deutschland und Österreich

Cover
Titel
Wahlkampf in Deutschland und Österreich. Ein Langzeitvergleich der Presseberichterstattung (1949–2006)


Autor(en)
Magin, Melanie
Reihe
Medien in Geschichte und Gegenwart 28
Erschienen
Köln 2012: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristina Wied, Institut für Kommunikationswissenschaft, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Die Politikvermittlung durch Massenmedien in Wahlkämpfen gehört zu den theoretisch vielseitig und empirisch recht gut ausgeleuchteten Forschungsgebieten der Kommunikationswissenschaft. Vermutet werden dabei seit einiger Zeit gewisse Veränderungen der journalistischen Berichterstattung – etwa zunehmende Entpolitisierung, steigende Negativität und stärkere Personalisierung. Bislang widmen sich jedoch nur wenige Studien der empirischen Überprüfung dieser behaupteten Entwicklungen im Zeitverlauf. Weiterhin wird in der politischen Kommunikationsforschung vermutet, dass die Wahlkampfberichterstattung weltweit in vielen Ländern von den gleichen Entwicklungen betroffen ist – jedoch modifiziert durch strukturelle Unterschiede zwischen den politischen Systemen. Ländervergleichende Analysen, die dies empirisch prüfen, gibt es bisher allerdings ebenfalls kaum.

Die publizierte Dissertationsschrift von Melanie Magin, angenommen von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, trägt zur Schließung dieser Forschungslücken bei. Magin hat eine gleich zweifach komparative Studie zur Wahlkampfberichterstattung vorgelegt: in länder- und zeitvergleichender Perspektive. Sie analysiert die Printberichterstattung über die Spitzen- bzw. Kanzlerkandidaten der beiden größten Parteien in Deutschland und Österreich in den letzten vier Wochen der Wahlkämpfe zu allen 34 nationalen Parlamentswahlen zwischen 1949 und 2006. Mit dieser Kombination aus räumlichem und zeitlichem Vergleich und der umfangreichen Anlage der Untersuchung bereichert sie die bestehende Forschungslandschaft eindrucksvoll, zumal es sich bei Langzeitstudien und ländervergleichenden Analysen um wissenschaftsorganisatorisch anspruchsvolle und methodisch schwierige Projekte handelt.

Untersuchungsgegenstand waren überregionale Qualitätszeitungen: die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (1949: „Der Tagesspiegel“), die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“ und „Die Welt“ in Deutschland; in Österreich die „Arbeiter Zeitung“ (bis 1986), „Der Standard“ (ab 1990) und „Die Presse“. In die Inhaltsanalyse einbezogen wurden 50 Prozent (Zufallsstichprobe) aller Artikel, in denen zu Beginn ein Kanzlerkandidat oder die Wahl bzw. der Wahlkampf thematisiert wurden.

Die Datenbasis, auf die sich die quantitative Inhaltsanalyse stützt, stammt aus zwei Projekten, zu denen Magin Zugriff hatte – welch ein Glücksfall für sie. Für Deutschland konnte Magin auf Daten aus einer Studie von Jürgen Wilke und Carsten Reinemann zurückgreifen1, in der erstmals die Berichterstattung deutscher Tageszeitungen über sämtliche Bundestagswahlkämpfe untersucht wurde. Für Österreich nutzte Magin vor allem Daten aus dem seit 2006 laufenden Projekt „Kontinuität und Wandel der Wahlkampfkommunikation in Österreich (1996–2008)“ von der Kommission für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit der Universität Wien.2 Da sich die österreichische Studie methodisch eng an die deutsche anlehnt, bot sich die einmalige Möglichkeit, die Wahlkampfberichterstattung zweier Länder auf Basis direkt vergleichbarer Daten zu untersuchen. Bestimmte, im österreichischen Codebuch nicht enthaltene Variablen aus der deutschen Studie wurden von Magin zusätzlich codiert. Zudem codierte sie die Berichterstattung über die österreichischen Wahlkämpfe von 1949 bis 1962 selbst nach.

Ziel der Studie war es, im Vergleich der beiden Länder und des Zeitverlaufs Erkenntnisse über strukturelle und situative Einflussfaktoren auf die Wahlkampfberichterstattung der untersuchten Zeitungen zu erlangen und diese zu einem Modell zu systematisieren. Ein ambitioniertes Vorhaben, das Magin sowohl theoretisch-konzeptionell sorgfältig vorbereitet als auch methodisch akribisch umgesetzt hat. So skizziert sie den Forschungsstand zur Wahlkampfberichterstattung im Zeit- und Ländervergleich ebenso wie zu Erklärungsansätzen und Indikatoren der Politik- und Wahlkampfberichterstattung im Wandel. Zudem erläutert sie mögliche Determinanten der Wahlkampfberichterstattung, indem sie aus politik- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht die politischen, medialen und journalistischen Systeme Deutschlands und Österreichs in den Blick nimmt und auch situative Einflüsse der jeweiligen Wahlkämpfe im Untersuchungszeitraum in beiden Ländern berücksichtigt.

Darauf aufbauend formuliert Magin zunächst zwei forschungsleitende Fragen: „(1) Inwieweit führen die national unterschiedlichen strukturellen und situativen Bedingungen, unter denen die Wahlkampfberichterstattung entsteht, zu Unterschieden in ihrer Gestalt und ihren Inhalten? (2) Inwieweit lassen sich neben diesen Unterschieden und trotz verschiedener Rahmenbedingungen aber auch langfristige Veränderungen und Trends in der Berichterstattung feststellen, die als transnationale Entwicklungen betrachtet werden können?“ (S. 148) Im Anschluss daran entwickelt sie 16 Annahmen für die quantitative Inhaltsanalyse, die sich zu vier Themenbereichen bündeln lassen und Aufschluss über die dahinterstehenden strukturellen und situativen Einflussfaktoren geben sollen (vgl. S. 148ff.): Umfang, Themen, Darstellungsmuster und Qualität.

Dieser umfassende Ansatz bringt vielfältige interessante Einzelergebnisse hervor, von denen nur zwei wesentliche erwähnt seien, die erneut den Wert von komparativen Studien bestätigen: Zum einen kann die Autorin einige Annahmen zum Wandel der Wahlkampfberichterstattung in westlichen Demokratien erfolgreich prüfen. Sie arbeitet heraus, dass sich die Wahlkampfberichterstattung der untersuchten deutschen und österreichischen Tageszeitungen im Laufe von gut sechs Jahrzehnten ähnlich entwickelt hat: nämlich hinsichtlich einer Zunahme der journalistischen Autonomie und bis zu einem gewissen Grad auch einer Steigerung der Negativität und der Personalisierung. Dabei legt Magin Wert auf eine Differenzierung: „Jedoch wurden diese Prozesse mehrfach durch die jeweiligen nationalen und zeitspezifischen Rahmenbedingungen gebrochen und haben zu Länderunterschieden in der Berichterstattung geführt […].“ (S. 308)

Zum anderen gelingt es Magin als Kondensat aller Einzelergebnisse, ein plausibel begründetes Modell der Determinanten der Wahlkampfberichterstattung zu entwickeln: Dabei beeinflussen sich die drei Systeme Politik, Medien und Journalismus wechselseitig und wirken als Filter auf die Berichterstattung. Die situativen Kontexte (aktuelle Ereignislage, Wahlkampfdauer, Offenheit des Wahlausgangs, Wahlkampagnen, Fernsehduelle, Spitzenkandidaten, Amtsdauer von Kanzler und Regierung) können ebenso wie die genannten Systeme direkten Einfluss auf die Wahlkampfberichterstattung haben. Magins inhaltsanalytische Resultate haben aber auch gezeigt, dass die situative Konstellation durch die strukturelle Ebene der Systeme vorgeprägt ist, sodass es sich dabei um eine weitere Ebene im Modell handelt.

Damit kann Magins Dissertationsschrift als Ausgangspunkt künftiger Studien dienen, die dieses Modell weitergehend empirisch prüfen. Denn obwohl Magin in ihrer Dissertation mehr als 30 Wahlkämpfe und zahlreiche Einflussfaktoren auf die Wahlkampfberichterstattung in den Blick nimmt, ist die Aussagekraft ihrer Befunde begrenzt – dessen ist sich die Autorin selbst bewusst, was wiederum für deren Differenziertheit und Reflexionsvermögen spricht (vgl. S. 309). Möglich wäre eine Überprüfung anhand der Berichterstattung weiterer Länder, anderer Medien oder von Zeiträumen außerhalb von Wahlkampfzeiten.

Alles in allem: eine sehr verdienstvolle Arbeit.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Jürgen Wilke / Carsten Reinemann, Kanzlerkandidaten in der Wahlkampfberichterstattung. Eine vergleichende Studie zu den Bundestagswahlen 1949–1998, Köln 2000.
2 Vgl. u.a. Gabriele Melischek / Uta Rußmann / Josef Seethaler, Agenda-Building in österreichischen Nationalratswahlkämpfen, 1970-2008, in: Fritz Plasser (Hrsg.), Politik in der Medienarena. Praxis politischer Kommunikation in Österreich, Wien 2010, S. 101–143.

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