J. Raaijmakers: The Making of the Monastic Community of Fulda

Cover
Titel
The Making of the Monastic Community of Fulda, c.744–c.900.


Autor(en)
Raaijmakers, Janneke
Reihe
Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series 83
Erschienen
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
€ 84,85
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Kohl, SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“, Eberhard Karls Universität Tübingen

Obwohl die Literatur zum Kloster Fulda unüberschaubar ist, existierte bisher keine Monographie zum Bonifatiuskloster, das sich zu einer der wichtigsten religiösen Stätten des (Ost-)Fränkischen Reiches entwickelte. Nun liegt ein solches – und dazu sehr gelungenes – Werk vor.

Raaijmakers gliedert ihre Untersuchung nach den Amtszeiten der Äbte, wobei sie ein Kapitel zur Gründungsgestalt Bonifatius' vorschaltet, die Zeit des Hrabanus Maurus' in zwei Kapitel aufteilt und die seiner drei Nachfolger Hatto, Thioto und Sigihart wiederum in einem Kapitel zusammenfasst. Diese Kapitelaufteilung, die sich nach dem Umfang der Überlieferung der jeweiligen Amtszeit richtet, ist ein Resultat der Fragestellung von Raaijmakers: Als Mitwirkende des internationalen Projekts „Texts and Identities in the Early Middle Ages“ ist sie an der sich entwickelnden und wandelnden Identität des großen Klosters, an seinem Selbst- und Vergangenheitsbild interessiert. Dabei geht sie – und das ist das Spezifikum dieser Arbeit – über die Schriftquellen hinaus und bezieht auch Sachquellen wie die Architektur, Liturgie und sogar Bilder in ihre Argumentation ein. Diese Bandbreite an unterschiedlichsten Quellen und ihre sorgfältige Einordnung erweisen sich als große Stärke dieses Buchs. Aus diesem Interesse ergibt sich auch die Vorgehensweise: Innerhalb der einzelnen Kapitel werden nacheinander die (Selbst-)Zeugnisse des behandelten Zeitraums untersucht, wobei ein besonderes Augenmerk auf dem Selbstbild der Mönchsgemeinschaft oder einzelner Angehöriger liegt, so wie es in den vielfältigen Quellen hervortritt.

Obwohl es Raaijmakers also nicht primär um eine Rekonstruktion der Ereignisgeschichte des Klosters und seines Umfelds geht, bekommt diese in den einzelnen Kapiteln dennoch den notwendigen Raum, der zum Verständnis der Eigenzeugnisse nötig ist. Dabei stellt sie jeweils auf wenigen Seiten die historischen Bedingungen und den Forschungsstand dar; zum Teil gibt sie auch (für den mit dieser Zeit vertrauten Leser hin und wieder etwas zu ausführliche) Überblicke über relevante Themen, etwa die Quellengattung der Annalen und Nekrologien (S. 55f., 64f.).

Schon kurz nach dem Tod des Bonifatius entstanden unter Abt Sturmi die ersten Eigenzeugnisse: Neben den Annales Fuldenses antiquissimi, dem ältesten Nekrologium und einigen Urkunden zeugen vor allem die älteste Klosterkirche mit dem Grab des Bonifatius von den frühen Ausprägungen Fuldaer Identität. Auch die Überlieferung aus dem Abbatiat Baugulfs (779–802) ist nicht allzu umfangreich; betrachtet werden hier eine Bücherliste, die sogenannte Baugulf-Liste, welche die Namen aller 364 Mönche des Klosters und seiner Zellen im Jahr 781 verzeichnet sowie die Anfänge der neuen Klosterkirche, deren Bau sich von 791 über etwa 30 Jahre erstrecken sollte und die daher auch in den Folgekapiteln zu Ratger und Eigil eine wichtige Rolle spielt.

Es sind die Abschnitte zur ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, zu Ratger, Eigil und Hrabanus, die am ertragreichsten für die Fragestellung von Raaijmakers sind. In diesen (quellenreichen) Zeiten lassen sich in besonderer Weise Veränderungen, Gegensätze und Festigungen im Selbstbild der Mönche herausstellen, wie sie in Bauprogrammen, Liturgiereformen, Historiographie, Vitenliteratur und Mirakelberichten, Streitschriften (Supplex Libellus von 812), in Kartularen, Memorialquellen, Gedichten und Wandmalereien zum Ausdruck kommen, und es gehört zu den größten Verdiensten Raaijmakers’, durch diese Zusammenschau Veränderungen und Kontinuitäten sichtbar zu machen.

Als Beispiel nun ein genauerer Blick in das Kapitel zum kurzen Abbatiat Eigils (818–822): Hier ging es vor allem darum, nach den schweren Konflikten zwischen Teilen des Konvents und Ratger, dem Vorgänger Eigils, Frieden und Eintracht wiederherzustellen. Raaijmakers beginnt ihre Untersuchung hier mit den beiden unter Eigil erbauten Krypten, die dieser der fast fertigen Klosterkirche hinzufügte und in deren Altären Reliquien westlicher und östlicher Mönchsväter verehrt wurden. Der Altar der Westkrypta mit Benedict, Honoratus von Arles und Columban lag unmittelbar unter dem Grab des Bonifatius. Durch diese Maßnahmen wurden das Kloster und sein wichtigster Patron in die Kontinuität des (vor allem) westlichen Mönchtums eingeordnet. Anschließend untersucht Raaijmakers die – durch Gedichte des Hrabanus Maurus bekannten – Altäre in der Klosterkirche, ihre Anordnung und Reliquienausstattung, durch die sich das am Rande der christlichen Welt gelegene Fulda in Beziehung zur gesamten Christenheit, vor allem aber zur römischen und fränkischen Kirche setzt. Neben dieser universellen Verortung ist in der Zeit Eigils auch eine Neuakzentuierung der eigenen Vergangenheit zu beobachten, wenn dessen Verwandter Sturmi als der eigentliche Gründer Fuldas erscheint. Dies geschieht durch eine bauliche Aufwertung seines Grabes durch einen Altar und durch seine – von Eigil selbst wohl kurz vor der Wahl zum Abt verfasste – Vita, deren Untersuchung bei Raaijmakers einen großen Raum einnimmt. Das Kapitel schließt mit einer Untersuchung der unter Eigil erbauten Friedhofskirche St. Michael.

Notwendigerweise beruhen die einzelnen Kapitel auf sehr unterschiedlichen Quellengrundlagen: Aus der Frühzeit vor dem Tod des Bonifatius im Jahr 754 sind überhaupt keine Eigenzeugnisse überliefert – sieht man von den Briefen des Bonifatius ab, insbesondere dem Brief an Papst Zacharias mit einer Bitte des ‚Oberabtes‘ um die Exemtion Fuldas –, und auch die Quellenuntersuchung des letzten Kapitels über die Äbte des späten 9. Jahrhunderts basiert lediglich auf zwei Dokumenten: der Gebetsverbrüderung von 863 und einem in einem Nekrologium überlieferten Diptychon von 875. Dagegen ist das Material aus der Zeit des Hrabanus Maurus so umfangreich, dass es auch im Rahmen einer eigenen Monographie gar nicht vollständig aufzuarbeiten wäre. Die Anlehnung an die Abbatiate als zeitliches Gliederungsprinzip scheint zwingend, führt jedoch zu dem etwas verwirrenden Umstand, dass die Äbte Ratger und Hrabanus bereits in den Kapiteln zu ihren jeweiligen Vorgängern eine wichtige Rolle einnehmen. Die Hrabanus persönlich zuzuordnenden Werke scheinen in den Kapiteln zu Eigil und Ratger sogar mehr Raum einzunehmen als in den beiden Kapiteln, die sich der Amtszeit des späteren Mainzer Erzbischofs selbst widmen. Dies ist jedoch nur der konsequenten Beantwortung der leitenden Fragestellung geschuldet und keinesfalls als ein Mangel zu sehen. Die einzige nennenswerte Abweichung von diesem Prinzip ist die Berücksichtigung der unmittelbar nach dem Ende des Abbatiats des Hrabanus Maurus entstandenen Miracula Sanctorum des Rudolf von Fulda noch im zweiten Kapitel zu Hrabanus. Dass die zeitliche Einordnung bestimmter Entwicklungen bei der schlechten Datierbarkeit vieler Quellen, insbesondere der Sachquellen, Grenzen hat, versteht sich von selbst. Dabei zeigt jedoch gerade die Behandlung der Klosterkirche in ihrer sich im Laufe der Zeit erheblich verändernden Gestalt, dass der gewählte Ansatz einen großen Erkenntnisgewinn bringt, zumal es Raaijmakers weitgehend vermag, Redundanzen zu vermeiden, obwohl die Kirche in fast jedem Kapitel eine Rolle spielt. Die relativ scharfe zeitliche Trennung der einzelnen Abbatiate erlaubt – das ist der große Vorteil der Herangehensweise Raaijmakers’ – einen trennscharfen Blick auf das Werden der Identität einer Klostergemeinschaft mit all seinen Veränderungen, Schichtungen und Gegensätzen und ist insofern völlig überzeugend.

Raaijmakers vermag es damit nicht nur, neue Erkenntnisse über eines der wichtigsten und bestuntersuchten Klöster des (Ost-)Fränkischen Reichs zu gewinnen. Indem sie die bisherige Forschung in überzeugender Weise zusammenführt, hat sie auch eine anregende Monographie verfasst, die den Ausgangspunkt für weitere Studien zum Kloster Fulda bilden wird.