Cover
Titel
The Creative Society - and the Price Americans Paid for it.


Autor(en)
Galambos, Louis
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 322 S.
Preis
€ 65,27
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Niklas Hellmich, Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld

1968 schrieb der amerikanische Soziologe Talcott Parsons, dass der „professional complex […] has become the most important single component in the structure of the modern societies“.1 Experten genießen heute oft Macht und Aura, je mehr die scheinbar oder tatsächlich zunehmende Komplexität modernen Lebens den einzelnen damit überfordert, seine Position und seine Bedürfnisse zu identifizieren oder zu erfüllen. Ihre privilegierte Position kann freilich nicht nur die Interessen des Einzelnen – als Kunde, Patient, Untergebener in einer Befehlskette oder abhängig Beschäftigter – in Frage stellen, sie konkurriert zuweilen auch mit den demokratischen und egalitären Idealen einer westlichen Gesellschaft wie insbesondere der amerikanischen.

Es ist zum einen dieser Konflikt, den Louis Galambos in „The Creative Society“ thematisiert. Ohne explizit auf ein entsprechendes Forschungsparadigma Bezug zu nehmen, beschreibt er Prozesse der Modernisierung und funktionalen Differenzierung in den USA seit dem späten neunzehnten Jahrhundert und zieht deren Bilanz. „The Price Americans paid for it“ – so der Untertitel des Buches – schlägt sich zum einen in immateriellen Kosten gesellschaftlich-institutionellen Wandels, in dem Konflikt zwischen technokratischer Administration und demokratischer Gesellschaft nieder. Zum anderen sind damit die wirtschaftlichen Lasten und menschlichen Opfer von Fehlentscheidungen gemeint. Galambos’ Buch verbindet unter dieser Perspektive die Wirtschafts- und die Sozialgeschichte der USA und versucht beide durch die Entwicklung der „professions“ zu erklären. Hierin kann man durchaus einen neuen Ansatz sehen. Die Arbeit lässt sich deshalb nicht einfach in eine Reihe mit früheren Forschungen zur Geschichte der „professions“ in den USA stellen.2

Galambos gehört nicht zu jenen Amerikanern, die den Niedergang der USA als globale Führungsmacht und globales Vorbild kommen sehen. Seine Bilanz der „Professionalisierung“ ist positiv und entsprechend optimistisch seine Zukunftserwartung: Die Kreativität der „Experten“ ermöglichte, wo sie durch eine fähige Führung angeleitet wurde, den USA ihren Aufstieg zur globalen Führungsmacht und wird auch die gegenwärtige Wirtschaftskrise und die Folgen außenpolitischer Fehlentscheidungen überwinden helfen.

Gegenstand der Analyse ist freilich nicht die gegenwärtige Verfassung des Landes, sondern die Sozialgeschichte jener Strukturen und Personen, die Träger und Quelle von Expertise und Innovationen waren. Galambos setzt ein mit dem Bemühen um eine Bewältigung der Urbanisierung, um eine Reform des Bildungswesens und die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Stadtplaner als neue Berufsgruppe setzten Lenkung und Planung an die Stelle von individuellem Unternehmertum und Gewinnmaximierung, Fachexpertise und Administration an die Stelle kommunaler Eigeninitiative. Ähnliches galt für die Reform der öffentlichen Schulen sowie der medizinischen Forschung und Lehre.

In den weiteren Kapiteln beobachten wir, wie wirtschaftliches Wachstum und Unternehmenskonzentration, innen- und außenpolitische Konfliktlagen sowie soziale Spannungen die USA mit weiteren Herausforderungen konfrontierten. Schließlich zeigt Galambos, wie Vietnamkrieg, Stagflation und Watergate in einer Legitimationskrise der Experten und technokratischer Macht mündeten. Doch stellte auch die Rückbesinnung auf Kerninstitutionen der amerikanischen Gesellschaft die Rolle der Experten und ihren Status kaum in Frage, da Rhetorik und Realität des Konservativismus nach 1981 längst nicht immer deckungsgleich waren.

Es wird nicht ganz deutlich, ob die vielfältigen Folgen sozioökonomischen oder technologischen Wandels, schließlich auch außenpolitischer Herausforderungen, Ursache für die Ausdifferenzierung und den Bedeutungsgewinn der „professionals“ waren oder ob zunächst das Bildungssystem das entsprechende Angebot an Wissen und selbständiger Kreativität schuf. Galambos scheint für letzteres zu votieren. Bildung, insbesondere akademische Bildung, erhält in seiner Analyse ein Gewicht, das ihr wohl nur wenige europäische Historiker zumessen würden. Allerdings war und ist das breite Angebot höherer Bildung in den USA in der Tat außergewöhnlich. 1930 wurden an amerikanischen akademischen Bildungseinrichtungen mehr Studenten unterrichtet als in Großbritannien, Deutschland und Frankreich zusammen. Bei weitem nicht alle von ihnen konnten Nutzen aus ihrer Erfahrung ziehen. Gleichwohl – argumentiert Galambos – erschließt der breite Zugang zu höherer sekundärer und tertiärer Bildung mehr kreative Potentiale als selektivere Bildungssysteme. Indem wenigstens einem Teil der besonders talentierten Mitglieder der Gesellschaft der Weg an die Spitze ihrer Profession geebnet wird, steht neben dem gesellschaftlichen Nutzen ein moralischer Wert, denn wenigstens diesem (freilich zunächst und noch immer vor allem weißen) Teil der Unter- und Mittelschichten steht eine Leiter steilen sozialen Aufstiegs offen.

Aus dieser Perspektive präsentiert Galambos Biographien von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern, Lehrern, Ärzten, Stadtplanern und Politikberatern, die er mit einer andernfalls schwer überschaubaren Vielzahl von Prozessen der jüngeren amerikanischen Geschichte in einem Erzählstrang zu verbinden versteht. Darin findet sich Platz für eine abstrakte Darstellung der Entwicklung von Gruppen, Typen, Strukturen und Institutionen, aber auch für Anekdoten und Beispiele. Zu letzterer Kategorie gehören auch biographische Elemente, beginnend mit Galambos’ eigenen Großeltern – formal wenig gebildeten Einwanderern – und ihrem Weg in die amerikanische Mittelschicht, seinen eigenen Erfahrungen und denen seiner Kinder. Es finden sich jedoch auch Persönlichkeiten wie Robert McNamara und Lee Iacocca sowie Beispiele jener „Pioniere“, die aus den Gruppen der Farbigen (wie W. E. B. DuBois oder Barak Obama) oder der Frauen (wie Carly Fiorina) den Aufstieg in den Expertenkreis und in die gesellschaftlichen Führungsetagen schafften.

Galambos’ Fokus liegt dabei auf den Erfolgreichen und lässt nicht unbedingt deutlich werden, warum andere weniger erfolgreich waren und welche Kriterien über den individuellen Aufstieg entscheiden. Er übersieht nicht, dass Frauen und Farbigen der Weg in die soziale Gruppe der Experten häufiger verwehrt ist. Kulturelle und soziale Hürden, denen die Aufsteiger gegenüber standen, auch wenn sie den Schritt auf den Pfad höhere Bildung bereits geschafft hatten, werden nicht verschwiegen. Als Leser würde man aber gern mehr erfahren über die Mikrostrukturen des amerikanischen Bildungssystems oder seine weitere gesellschaftliche Einbettung. Das Buch erschließt zum Beispiel nicht, wie oder unter welchen Voraussetzungen Aufsteiger, Innovatoren, Reformer und ihre Ideen in den Eliten aufgenommen werden, was in diesem Sinne – abgesehen vom Bildungssystem – das Erfolgsgeheimnis der „creative society“ sein könnte.

Die Macht der Experten verlangt Legitimation, die sie nicht ohne weiteres aus den Grundwerten der amerikanischen Gesellschaft ableiten können. Galambos konstatiert eine Vorliebe für „loosely controlled environments“ (S. 221), eine Präferenz für Selbstkontrolle sowie einen Weg der Reform und Anpassung; dieser bedeutete allzu oft „[to] sacrifice security and equity to achieve the efficiency and innovation needed to remain the world’s most competitive society“ (S. 255). Wie aber sieht das Normensystem aus, mit dem Wissenschaftler, Manager, Verwaltungsexperten ihr Tun gegenüber sich selbst, ihresgleichen und der übrigen Gesellschaft rechtfertigen? Diese Fragen werden zunehmend relevant, je mehr die augenblickliche Wirtschafts- und Finanzkrise eine Krise der Experten, Eliten und ihrer Legitimation geworden ist. Der Leser wünscht sich, mehr zu erfahren über Entscheidungskriterien und Legitimationen früherer Eliten und ihren Wandel auf dem Weg in die Gegenwart. Der Stakeholder-Ansatz als Schutzschild technokratischer Macht der Manager ist nur ein Beispiel eines solchen Paradigmas und der Schritt zum Shareholder-Ansatz ein Beispiel seines Wandels. Wurde dieses Rollenverständnis der Manager in der Gesellschaft geteilt, warum änderte es sich und welche Rolle spielten dabei die Betroffenen selbst? Welche Kräfte außerhalb der Expertengruppen sind an der Formulierung entsprechender ideologisch-normativer Einbettungen beteiligt? Trotz dieser Anmerkungen muss betont werden, dass Galambos eine überaus spannende Seite der amerikanischen Sozialgeschichte beleuchtet hat und mit seinem Buch ein faszinierendes Stück amerikanischer Gesellschaftsgeschichte vorlegt, das einfach zum Lesen einlädt.

Anmerkungen:
1 Talcott Parsons, Professions, in: David L. Sills (Hrsg.), International Encyclopedia of the Social Sciences, Bd. 12, Chicago 1968, S. 536–547, hier S. 545.
2 Samuel Haber, The Quest for Authority and Honor in the American Professions, 1750–1900, Chicago 1991; Nathan O. Hatch (Hrsg.), The Professions in American History, Notre Dame 1988.

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