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Titel
Honor civitatis. Kommunikation, Interaktion und Konfliktbeilegung im hochmittelalterlichen Oberitalien


Autor(en)
Bernwieser, Johannes
Reihe
Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 7
Erschienen
München 2012: Herbert Utz Verlag
Anzahl Seiten
444 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Dartmann, Abteilung für Kulturgeschichte und vergleichende Landesforschung, Universität Vechta

Die politische Geschichte des 12. Jahrhunderts hat sich in den letzten Jahren als ein ebenso viel beackertes wie ertragreiches Forschungsfeld erwiesen. Insbesondere die Regierungszeit Friedrichs Barbarossa zieht immer wieder die Aufmerksamkeit der Mediävistik auf sich, sodass es nicht verwundert, wenn gerade seine Herrschaft im Fokus eines grundlegenden Paradigmenwechsels steht. Eine lang etablierte Tradition interessierte sich für den ersten großen Stauferkaiser vor allem als Protagonisten vermeintlicher Innovationsprozesse im nordalpinen wie italischen Königreich. Ihm wurde die Verantwortung für eine starke Intensivierung der Königsherrschaft, einen neuen Rückgriff auf das Recht, das Bemühen um eine effizientere Administration sowie ein diesen Maßnahmen zugrunde liegendes neues Verständnis von Staatlichkeit attestiert. Dem gegenüber haben vor allem die Studien Knut Görichs dazu beigetragen, Friedrich Barbarossa neu als hochmittelalterlichen Herrscher zu verstehen, dessen Agieren weitaus mehr von den Vorstellungen einer an den Kategorien Rang und Ehre orientierten Adelskultur geprägt war als von dem Willen zu einer effizienten Modernisierung. Gerade der Begriff „Ehre“ hat sich als Schlüssel erwiesen, die politische Praxis des Hochmittelalters in einem neuen Licht zu sehen.

Im Anschluss an diese Forschungen hat Johannes Bernwieser jetzt seine Münchener Dissertation vorgelegt, in der er analysiert, welche Bedeutung die zunächst personale Kategorie der „Ehre“ für das Selbstverständnis italienischer Städte des 12. Jahrhunderts besaß. Ausgehend von dem Befund, dass politisches Agieren italienischer Stadtkommunen während des Hochmittelalters immer wieder mit der Abwendung von Schmach oder dem Gewinnen von Ehre für die eigene Stadt begründet wurde, zeichnet er anhand von zwei detaillierten Fallstudien nach, wie zentral dieser Wert für die städtische Gesellschaft war. Die konzise Einleitung illustriert die Omnipräsenz des Begriffs honor und seiner Ableitungen in den Quellen aus dem kommunalen Italien und umreißt in konzentrierter Weise den Forschungsstand und die eigene Fragestellung (S. 13–36). Die erste der beiden ausführlichen Fallanalysen ist dem Konflikt zwischen Pisa und Genua um die Kontrolle von Sardinien gewidmet, den Bernwieser für den Zeitraum von 1162 bis 1175 verfolgt (S. 37–239). Anschließend folgt eine zweite Detailstudie des Streits zwischen Mailand und Cremona über die Kontrolle der sogenannten Insula Fulcheria, dem Landstrich um die lombardische Kleinstadt Crema (S. 241–369). Dieser Konflikt, den Bernwieser für die Jahre 1162–1186 verfolgt, war aufs engste mit den Bemühungen Friedrichs Barbarossa um die Kontrolle der zentralen Lombardei verwoben, dem Zentrum der jahrzehntelangen Kriege des Staufers im Regnum Italicum. In seinem „Resumée“ (S. 371–385) betont Bernwieser die enge Verbindung zwischen pragmatischer Politik und dem Ringen um Ehre in öffentlichen Diskursen wie Interaktionen und diskutiert, inwiefern sich die kommunale „Kultur der Ehre“ (S. 380) von der des staufischen Reichs unterschied.

Beide Fallstudien verfolgen den Ablauf der Geschehnisse in ihrer chronologischen Abfolge. Sie schöpfen die breite Überlieferung, die zu den Geschehnissen um Friedrich Barbarossa sowie zur Stadtgeschichte von Genua, Pisa, Mailand und Cremona ab der Mitte des 12. Jahrhunderts vorliegt, voll aus, um in sehr gewissenhafter Weise aufzuzeigen, in welchen Situationen der honor civitatis zum Argument gemacht wurde bzw. als handlungsleitendes Motiv plausibel erscheint. Die Fälle sind nicht zuletzt deswegen geschickt gewählt, weil zu beiden Konfliktbündeln Quellen aus entgegengesetzten Perspektiven vorliegen, sodass Bernwieser auch die Umakzentuierungen, Auslassungen und Beschönigungen des Geschehens diskutieren kann, die die Quellen prägen. Zugleich bedingt die Auswahl der Beispiele, dass vor allem das Verhältnis zwischen der Ehre der Städte und der Ehre des Kaisers immer wieder zum Thema wird, weil der Staufer massiv in die Konflikte eingriff und weil die Kommunen sich immer wieder um seine Huld bemühten in der Hoffnung, er unterstütze sie in ihrem Kampf gegen die unliebsame Nachbarstadt. Damit knüpft Bernwieser unmittelbar an die Forschungen seines Doktorvaters zur „Ehre Friedrich Barbarossas“ an.1

Ihre besondere Stärke erweist die Studie dort, wo sie das politische Geschehen besser nachvollziehbar macht als die ältere Forschung. Das gilt etwa für die vermeintliche ‚Schaukelpolitik‘ Friedrichs Barbarossa, der zunächst im Sommer 1164 den mit Genua alliierten Bareso von Arborea zum König von Sardinien krönte, um dann im nächsten April die Insel der Kommune von Pisa zu übertragen. Bernwieser macht plausibel, dass die Ehre der Protagonisten – und zwar nicht nur die des Kaisers und der beiden Städte, sondern vor allem auch die der kaiserlichen Berater – den Lauf der Entscheidungen wesentlich beeinflusste. Die streng chronologische Präsentation des Stoffs erschwert allerdings einen thematischen Zugriff auf die Ergebnisse, denn Bernwieser verzichtet auf systematisch ausgelegte Zwischenbilanzen. Die Zusammenfassungen der langen Fallstudien bündeln lediglich den jeweiligen Konfliktverlauf (S. 235–239 und 365–396). Erst das Resümee greift noch einmal explizit die eingangs gestellten grundlegenden Fragen auf.

Es fällt auf, dass Bernwieser die Ehre der Stadt in ihrem Zusammenspiel mit dem honor Friedrichs Barbarossa behandelt. Seine Ergebnisse regen dazu an, weiterzufragen, ob sich der Rekurs auf die eigene Ehre grundsätzlich anders gestaltete, wenn kein Herrscher mit im Spiel war. Schließlich blieben die Interventionen der Staufer in das kommunale Italien auf lange Sicht Episode, weil sich ihr Einfluss nur dann deutlich manifestierte, wenn mit ihrer militärischen Präsenz zu rechnen war. Es wäre zum Beispiel interessant zu erfahren, welche Rolle die Ehre Genuas bei den weiteren Auseinandersetzungen mit Bareso von Arborea gespielt hat, bis dieser im Jahr 1172 endgültig nach Sardinien heimkehrte und sich dort sofort mit Pisa gegen Genua verbündete. Dieser Konfliktstrang im Ringen zwischen den beiden Hafenstädten, der sich ohne direkten Kontakt mit dem Hof des Staufers entwickelte, böte die Möglichkeit, den honor civitatis fernab der direkten Interaktion mit dem Herrscher zu analysieren.

Eine weitere Perspektive, die sich eröffnen ließe, wäre die auf den innerstädtischen Rekurs auf die eigene Ehre – schließlich handelte es sich um ebenso ehrpusselige wie kompetitive Gesellschaften, in denen der innerstädtische Frieden oft mehr Programm als Realität war. Konnte der Verweis auf die städtische Ehre als Bestandteil der eigenen Identität zum Zusammenhalt der Kommune beitragen? Aus der Perspektive zwischenstädtischer Konflikte, wie Bernwieser sie behandelt, erscheint die Kommune in der Regel als monolithischer Block. Analysiert man jedoch den stadtinternen Rückgriff auf Identitätskonstruktionen, erweisen sie sich keineswegs immer als Ausdruck eines homogenen städtischen Selbstverständnisses, sondern oft eher als Argumente für interne politische Auseinandersetzungen. Diese Logik sei am Beispiel des Palazzo Vecchio in Florenz erläutert, also des Regierungsgebäudes, in dem der Popolo ab 1299 die Macht und Ehre seiner Stadt symbolisiert sehen wollte – und bis heute erfüllt der Palazzo Vecchio seine Funktion als Symbol für die städtische Identität der Arnometropole. Errichtet wurde er aber an der Stelle, an der die wenig zuvor aus Florenz vertriebene Familie der ghibellinischen Uberti ihren Familiensitz hatte. Diese Tatsache mag veranschaulichen, wie stark die Konstruktion städtischer Identität auch das Resultat von politischen Prozessen war, in denen konkurrierende Identitätsentwürfe verdrängt wurden. Vor diesem Hintergrund wäre es in hohem Maße wertvoll, die Frage nach dem honor civitatis auch für innerstädtische Diskurse und öffentliche Interaktionen weiterzuverfolgen.

Der Hinweis auf weitere Potenziale des Themas sei nicht missverstanden als Forderung, dass die Studie diese oder andere weiterführenden Aspekte auch hätte behandeln müssen. Vielmehr liegt mit dieser Neuerscheinung ein Buch vor, das die „Ehre der Stadt“ als wichtigen Gegenstand der Stadtgeschichte etabliert. Es ist zu wünschen, dass er in weiteren, ähnlich sorgfältig gearbeiteten und flüssig zu lesenden Untersuchungen aufgegriffen und weiter vertieft wird.

Anmerkung:
1 Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001; ders., Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011.

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