H. van der Blom: Cicero’s Role Models

Cover
Titel
Cicero’s Role Models. The Political Strategy of a Newcomer


Autor(en)
Blom, Henriette van der
Reihe
Oxford Classical Monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 388 S.
Preis
£ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marian Nebelin, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Immer wieder ist in den letzten Jahren der Umgang Ciceros mit exempla in den Fokus der Forschung geraten. So widmete sich Irene Oppermann „historische[n] Beispiele[n]“ in Ciceros Briefen und Frank Bücher nahm die Reden des Römers zum Ausgangspunkt für seine Erörterung, welche Bedeutung „Exempla Romana im politischen Diskurs der späten römischen Republik“ zukam.1 Dabei zeichnen sich exempla mit den Worten Uwe Walters durch ihren „Doppelcharakter“ aus: „Sie waren Traditionsmedium geschichtlichen ‚Wissens‘ und Methode geschichtlicher Sinnbildung in einem“2, deren gesellschaftliche Funktion die „Vermittlung und Einschärfung“ demonstrierter „Verhaltensdispositionen“ darstellte.3 Aufgrund der ihnen inhärenten „Spannung zwischen vergangenem Kontext und gegenwärtiger Gültigkeit“4 ermöglichten sie einen zumeist personenbezogen ausgerichteten Vergangenheitsrekurs, welcher in der Gegenwart einen historisch gestifteten Sinn vermitteln sollte und für den einzelnen Redner oder Autor folglich auch zu einem instrumentalisierbaren Teil der Argumentation werden konnte.

Im Fall Ciceros lässt sich die Untersuchung seines Gebrauchs der exempla gleich mit einem ganzen Bündel an Fragen verbinden: Was sind eigentlich exempla und wie können sie in den Strom des mos maiorum eingeordnet werden, der die moralische Ordnungswelt der Römer mitbestimmte? Inwieweit wurde Ciceros Gebrauch dieser Beispiele von den Brüchen in seiner Biographie beeinflusst? Welche Rolle spielte Ciceros Status als homo novus für seine Verwendung von exempla? Von der Diskussion des Begriffsfelds novitas ausgehend, liegt es dann nahe, auch über nobilitas nachzudenken. Demnach überkreuzen sich also in diesem Themenfeld, das Henriette van der Blom zum Gegenstand ihrer Oxforder Dissertation gemacht hat, zahlreiche wichtige Fragestellungen zur Sozial- und Kulturgeschichte der späten römischen Republik. Im Unterschied zu den Arbeiten von Bücher und Oppermann ist van der Bloms Untersuchung auf die Analyse der von Cicero in Schriften aller Genres verwendeten exempla ausgerichtet. Dabei interessieren sie „all the possible role models of Cicero“, die mit den von Cicero verwendeten exempla verbunden sind. Da sie davon ausgeht, dass Ciceros Auswahl und Gebrauch der exempla durch die besonderen legitimatorischen Herausforderungen beeinflusst war, mit denen er sich als aufstrebender homo novus konfrontiert sah, hofft sie zugleich, durch ihre Arbeit „new ways of understanding Cicero’s political strategy of a homo novus“ eröffnen zu können (S. 6).

Van der Blom behandelt ihr Thema in fünf Blöcken: Im ersten, als „Introduction“ betitelten Abschnitt (S. 1–25) widmet sie sich der Erörterung des Zusammenhangs von mos, maiores und exempla. Es ist vor allem die instruktive ‚phasenförmige‘ Rekonstruktion des Begriffs mos maiorum durch Wolfgang Blösel, an der sich van der Blom immer wieder mehr oder weniger explizit abarbeitet.5 So geht sie unter Verweis auf Egon Flaigs Kritik an Blösels Position davon aus6, dass mos die ungeschriebene Dimension des römischen Normenhaushalts ausmachte, die (immer schon) durch die Autorität der maiores gestützt wurde. Die exempla wiederum stellen nun nach van der Bloms Einschätzung „the crucial link between the ancestors, the concept mos maiorum, the genre of history, and the political use (and abuse) of these“ dar (S. 15). Wiederholt betont van der Blom dabei, dass exempla besonders ‚flexibel‘ seien; dies werde auch daran deutlich, dass ihre Deutung kontextabhängig variiert und auch bestritten oder alternativ gedeutet werden könne (S. 15).

Schon in diesem einführenden Abschnitt zeigt sich eine zentrale Stärke der Arbeit: das Bemühen van der Bloms, Phänomene kategorial sorgfältig zu fassen. So unterscheidet sie verschiedene Typen von exempla: Zunächst sei ein „legal verdict“ von einem „historical exemplum“ zu unterscheiden (S. 15). Darunter wiederum versteht sie „a specific reference to an individual, a group of individuals or an event in the past, which is intended to serve as a moral-didactic guide to conduct“. Ein Teil dieser Beispiele erfüllt dann die speziellere Funktion eines „personal exemplum“. Damit bezeichnet sie „Cicero’s references in his extant works to an individual in the past whom he presents as a model of behaviour for himself“ (S. 3).7 Diese Form der exempla stellt van der Blom ins Zentrum ihrer Untersuchung: Sie interessieren exempla, die von einer Person für sich selbst und das eigene Verhalten als Leitbilder angenommen worden waren und sich folglich auf die persona und auch auf die ‚Rollen‘ eines Menschen auswirken konnten. Dabei konnten exempla nach Einschätzung van der Bloms in Ciceros rhetorischer Praxis nicht nur als Vorbild für das Verhalten einer Person, sondern auch als Leitbilder für alle Römer – unabhängig von deren Vorfahren – dienen oder aber speziell als Vorbilder für aufstrebende homines novi (S. 7). Schließlich aber habe der Konsul und Konsular auch versucht, sich selbst zum exemplum für andere zu machen; ein Unterfangen, das auf das Erringen einer „memory beyond his own life“ (S. 8) abzielte.

Dass dabei seine novitas eine Erschwernis darstellen konnte, reflektiert van der Blom im folgenden Abschnitt (S. 27–59: „Cicero the Homo Novus“), in dem sie sich mit novitas und nobilitas auseinandersetzt. Dies mündet in ihre – vielleicht etwas überzogene – Einschätzung, dass nobiles „both arrogance and a feeling of enmity towards the novi“ empfanden und oft auch praktizierten (S. 47). Dem Hinweis der nobiles auf die lange Reihe politisch erfolgreich tätiger Ahnen begegneten die homines novi mit einer bestimmten „ideology“, in deren Zentrum das Wertbegriffspaar virtus et industria stand (S. 51). Vor diesem Hintergrund entfaltete sich nun Ciceros Gebrauch historischer exempla, dessen durch Selektions- und Glaubwürdigkeitsmechanismen dominierten Prinzipien sich van der Blom im dritten Abschnitt ihrer Untersuchung widmet (S. 61–147: „Cicero’s Use of Historical Exempla“). Hervorgehoben sei darunter insbesondere die Beobachtung, dass exempla auf ein „paradox of continuity and change“ verwiesen, demzufolge „a historical exemplum can be used to push forward development, while at the same time stand as a bulwark against development“ – eine Paradoxie, die auch den Umgang der novi mit exempla bestimmte (S. 71).

Im titelgebenden vierten Block (S. 149–286: „Cicero’s Role Models“) widmet sich van der Blom nun den konkreten exempla, die Cicero als seine persönlichen Rollenbilder in bestimmten Phasen seines Lebens und im Kontext bestimmter Schriften für sich als ‚personal exempla‘ heranzog. Es war eine gute Entscheidung, dass sie dabei die Synchronie der Diachronie unterordnet: Dadurch lassen sich einerseits sowohl die Veränderungen, denen einzelne exempla ausgesetzt waren, wie auch ihre jeweilige Korrelation mit anderen exempla erkennen. Auf der diachronen Ebene lässt sich so etwa rekonstruieren, welche Veränderungen Cicero an seiner Exempla-Strategie im Verlauf seines Lebens vornahm: Spielte zu Beginn seiner Karriere der Rekurs auf erfolgreiche homines novi eine gewisse Rolle, versuchte Cicero seit seinem Konsulat zunehmend, sich selbst mit bedeutenden Römern der Vergangenheit in eine Traditionslinie zu setzen oder sich gar mit ihnen zu identifizieren. Dabei konnte er sich auch auf seine eigene novitas berufen, denn „[o]nly in higher offices could the novus afford to signal his novitas and show public pride in his achievement“ (S. 183).

Der Konsular begann dann auch, sich selbst mehr oder weniger unverhohlen zu einem ‚personal exemplum‘ für andere zu stilisieren. Diese Beobachtung van der Bloms bereitet schließlich den Übergang zum letzten Abschnitt ihrer Untersuchung vor (S. 287–324: „Cicero as Exemplum“), in dem es darum geht, wie Cicero sich selbst – und aufgrund ihrer zusammenhängenden „reputation“ (S. 289) auch seine Familie – zum exemplum stilisierte. Dabei waren es insbesondere die folgenden zehn Facetten seiner Biographie und Persönlichkeit, „of which Cicero was proud and which he displayed as being particularly exemplary“ (S. 293): die Rolle des Anwalts; die des Schutzherrn der Provinzialen; die des homo novus im Sinne des bis zum höchsten ‚Staatsamt‘ gelangten Aufsteigers; die des Konsuls, der den ‚Staat‘ rettete; die desjenigen, der ins Exil ging, um den ‚Staat‘ ein zweites Mal zu retten, und dann zurückgerufen wurde; die des ‚Staatsmannes‘, in dem der ideale ‚Staatsmann‘ seiner staatstheoretischen Schriften verwirklicht war; die des besten (idealen) Redners aller Zeiten; die eines Philosophen; die eines Feldherren; schließlich auch die Rolle eines „trustworthy guide to Rome’s past“ (S. 308), der sich aufgrund seines „superior historical knowledge“ (S. 309) als „an exemplum of a wise adviser […] to Rome’s past for all Romans in the present and in the future“ empfahl (S. 310). Diese vielfältige Vorbildlichkeit war nicht nur Bestandteil von Ciceros Selbstdarstellung, sondern auch Teil seines Erbes an seinen Sohn Marcus.

Es ist bedauerlich, dass gerade dieser letzte Abschnitt deutlich knapper geraten ist als die übrigen. Gleichwohl macht van der Bloms Untersuchung klar, welche Funktionen historische exempla für Cicero erfüllten. Sie zeigt Kontinuitäten, Brüche und Wandlungen, aber auch Widersprüche seines Umgangs mit exempla auf. Deutlich wird zudem, vor welche ungewöhnlichen Herausforderungen Cicero sich aufgrund seiner novitas, aber auch infolge seiner sowohl politischen wie philosophischen Interessen gestellt sah. Diese widerstreitenden Aspekte durchdrungen und systematisiert zu haben, ist das Verdienst von Henriette van der Bloms Untersuchung über ‚Cicero’s Role Models‘.

Anmerkungen:
1 Irene Oppermann, Zur Funktion historischer Beispiele in Cicero Briefen, München 2000; Frank Bücher, Verargumentierte Geschichte. Exempla Romana im politischen Diskurs der römischen Republik, Stuttgart 2006.
2 Uwe Walter, Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom, Frankfurt am Main 2004, S. 53.
3 Walter, Memoria, S. 55.
4 Walter, Memoria, S. 53.
5 Vgl. S. 13f. u. 156f. zu Wolfgang Blösel, Die Geschichte des Begriffs mos maiorum von den Anfängen bis Cicero, in: Bernhard Linke / Michael Stemmler (Hrsg.), Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, Stuttgart 2000, S. 25–97.
6 Vgl. Egon Flaig, Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom, Göttingen 2003, S. 83–88.
7 Eine allgemeinere Definition findet sich auf S. 71. Andere Gruppen von exempla sind „family exempla“ (S. 88), „stock exempla“ (S. 107) sowie das „negative personal exemplum“ (S. 206).

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