M. Vielberg (Hrsg.): Altertumswissenschaft an der Universität Jena

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Titel
Die klassische Altertumswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Eine Ringvorlesung zu ihrer Geschichte. In Verbindung mit dem Präsidium der Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt


Herausgeber
Vielberg, Meinolf
Reihe
Altertumswissenschaftliches Kolloquium 23
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Es ist nicht zu leugnen, dass in der Wissenschaftsgeschichte der Altertumswissenschaften noch zahlreiche Desiderate, darunter auch viele grundlegende, bestehen. In den letzten Jahren ist indes eine verstärkte Beschäftigung der Universitäten mit ihrer eigenen Geschichte festzustellen.1 So fand im Wintersemester 2007/2008 an der Universität Jena eine Ringvorlesung über die Geschichte der Altertumswissenschaft in Jena statt, deren Beiträge in dem zu besprechenden Band nunmehr in gedruckter Form vorliegen.

Gerlinde Huber-Rebenich befasst sich mit dem Gothaer Melanchthon-Schüler Johannes Stigel, der von 1548 bis 1562 in Jena wirkte und als erster Vertreter der Altertumswissenschaft in der Stadt angesehen werden kann (S. 9–30). Nach einer kurzen Einführung in die Grundlagen des universitären Betriebes des 16. Jahrhunderts stellt sie Leben und Werk Stigels vor, der – eher dichterisch und religiös als wissenschaftlich im engeren Sinne aktiv – „mehr die poetische Stimme Wittenbergs als die philologische Stimme Jenas“ (S. 29) war. Wenn der nur zwei Jahre in Jena (1572–1574) lehrende Justus Lipsius dennoch von Meinolf Vielberg eines eigenen Aufsatzes für würdig befunden wird, so zeigt dies seine Bedeutung für Jenaer Universität (S. 31–54). Nach allgemeinen Ausführungen zu Justus Lipsius wendet sich Vielberg zwei Aspekten seiner Jenaer Zeit zu: zum einen der Rolle des in der Politica des Justus Lipsius ausgiebig zitierten Tacitus, den der niederländische Humanist auch mit heute noch beachtenswerten Lesungen edierte; zum anderen der Bedeutung Senecas in den philosophischen Schriften des Justus Lipsius, die eine eingehende frühe Beschäftigung – also auch in der Jenaer Zeit – mit diesem notwendig machen.

Mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel führt Rainer Thiel eine Persönlichkeit ein, die – obwohl niemals Altertumswissenschaftler im eigentlichen Sinne – doch einen bedeutenden Einfluss auf diese Forschung ausübte (S. 55–67). Thiel beschränkt sich hierbei auf Hegels Theorie der antiken Dichtung und demonstriert am Beispiel Bruno Snells einen der wenigen Fälle bewusster Hegel-Rezeption in der Klassischen Philologie. Die Bedeutung Hegels sieht Thiel „in dem progressistischen Konzept einer Geistesgeschichte, die die Antike zu einer bloßen Vorstufe der Moderne macht, die als solche überwunden sei und nicht mehr in lebendigen Dialog mit uns heute treten könne“ (S. 67). Volker Riedel diskutiert den Einfluss der Jenaer Altertumswissenschaft für Weimarer und Jenaer Schriftsteller um 1800 (S. 69–88). Die großen Namen, die er auftreten lässt, sind neben Schiller und Goethe, auf denen auch der Schwerpunkt liegt, die Gebrüder Wilhelm und Friedrich Schlegel, Friedrich Hölderlin, Johann Heinrich Voß und Wilhelm von Humboldt. Riedel konstatiert eine kulturelle Blüte im Weimarer Raum durch die Affinität der Schriftsteller zu altertumswissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden, an der auch die Universität ihren Anteil hatte.

Angelika Geyer stellt Carl Wilhelm Göttling vor, auf den die Anfänge der Klassischen Archäologie an der Universität Jena zurückgehen (S. 89–107). Hierzu zeichnet sie die wissenschaftliche Entwicklung Göttlings – mit seiner Italienreise als Schlüsselerlebnis – und seine Bemühungen um die Realisierung eines archäologischen Museums nach, das, obwohl 1832 erstmals beantragt, erst 1846 eröffnet werden konnte. Eine formale Kleinigkeit sei angemerkt: Geyer wechselt permanent zwischen den Schreibweisen „Göttling“ und „Goettling“, ohne dass dafür ein erkennbarer Grund – wie etwa die bei Richard Förster variierenden Namensformen in unterschiedlichen Publikationen – bestünde. Der Klassische Philologe Karl Nipperdey (1821–1875) ist Thema des klar strukturierten Aufsatzes von Roderich Kirchner (S. 109–124). Er befasst sich mit dessen Dissertation und Caesarstudien, dem Nepos-Kommentar, der Habilitationsschrift, der Berufung und Tätigkeit in Jena, dem Tacitus-Kommentar, den weiteren Schriften sowie Tod und Gedenken. Kirchner weist dabei mehrmals, um nur das Beispiel der Frage nach der Verfasserschaft der pseudo-caesarischen Berichte zum Bürgerkrieg zu nennen, auf die Bedeutung der Thesen Nipperdeys auch für die heutige Forschung hin.

Rosemarie Lühr referiert über die Entwicklung der Indogermanistik in Jena, die sie biographisch über Leben und Werk der wichtigsten Forscher und Lehrstuhlinhaber aufbereitet (S. 125–146). Sie behandelt dabei August Schleicher (1821–1868), August Leskien (1840–1916), Berthold Delbrück (1842–1922), Karl Cappeller (1840–1925), Friedrich Slotty (1881–1963), Ferdinand Sommer (1875–1962), Hans Krahe (1898–1965), Albert Debrunner (1884–1958), Richard Hauschild (1901–1972) und Bernd Barschel (1937–1990), den unmittelbaren Vorgänger Lührs. Weit ausgreifend ist der Beitrag Walter Amelings, der sich „Jenas Weg zur Alten Geschichte“ widmet (S. 147–187). Wenn folglich im Vergleich zu den vorhergehenden Aufsätzen oftmals Wiederholungen auftreten – so behandelt Ameling auch Lipsius und Göttling –, so ist dies der Breite des Themas geschuldet. Ameling untersucht indes auch das Wirken Johann Gustav Droysens und Adolf Wilhelm Schmidts in Jena sowie die Tätigkeit des sich später der Byzantinistik zuwendenden Heinrich Gelzer und des Althistorikers Walther Judeich (S. 184f.).

Mit Rudolf Hirzel (1846–1917) kehrt Christian Tornau wieder zum biographischen Zugriff zurück (S. 189–223). Wie bereits Kirchner bedient Tornau sich einer deutlichen Struktur: Er betrachtet Frühzeit und Cicerostudien Hirzels, seine Berufung und Antrittsvorlesung, die Schrift zum Dialog und Hirzels politische Aktivität. In zwei Anhängen stellt Tornau Hirzels Doktorandin Mathilde Apelt, die zweite an der Philosophischen Fakultät in Jena promovierte Frau, vor und präsentiert eine Auswahl der Schriften von und über Hirzel. Den Abschluss des Bandes bilden die – teilweise auch aus eigenen Erinnerungen geschöpften (S. 225) – Ausführungen von Jürgen Dummer zu dem von 1918 bis 1961 in Jena tätigen Philologen Friedrich Zucker (S. 225–243), der nach seiner Emeritierung im Jahr 1961 in die Bundesrepublik umzog. Dummer führt in Leben und Werk des Philologen ein, ohne in seiner Betrachtung dessen Verhältnis zu den fünf von Zucker erlebten Staatssystemen (Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR und BRD) zu vernachlässigen.

Insgesamt handelt es sich um einen erfreulichen Band mit lesenswerten Beiträgen, der den biographischen Zugang in angemessener Weise nutzt, ohne bei der Behandlung der Personen die Wissenschaftsgeschichte aus den Augen zu verlieren. Dass dies keine vollständige Geschichte der Altertumswissenschaft in Jena ergeben kann, ist offensichtlich; die folgenden Bemerkungen sind daher nicht als Kritik, sondern vielmehr als Anregung für weitere Forschungen zu verstehen: So findet die Rolle der Universität Jena und ihrer wissenschaftlichen Produktion im Rahmen des DDR-Regimes nur am Rande, vor allem in Dummers Aufsatz zu Friedrich Zucker, Berücksichtigung. Nicht erwähnt wird auch die Bedeutung Jenas in der Erforschung der Spätantike, obwohl der Jenaer Schule einige Arbeiten entstammen, die noch heute eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben.2 Dass diese Fehlstellen jedoch nicht den Wert dieses obendrein verhältnismäßig preiswerten Bandes schmälern, dürfte deutlich geworden sein.

Anmerkungen:
1 Vgl. beispielsweise Jakob Seibert (Hrsg.), 100 Jahre Alte Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Berlin 2002 und Karol Kubicki (Hrsg.), Die Geschichtswissenschaften an der Freien Universität Berlin, Göttingen 2008.
2 Walter Heering, Kaiser Valentinian I., Magdeburg 1927 (Diss. Jena 1926); Arthur Pusch, Das Chronikon Epitomon der Wiener Handschrift Th. Gr. Nr. XL, Diss. Jena 1908; Friedrich Reiche, Chronologie des letzten sechs Bücher des Ammianus Marcellinus, Diss. Jena 1889; Paul Sauerbrei, De fontibus Zonarae quaestiones selectae, Leipzig 1881 (Diss. Jena 1881); Ernst Witte, Ammianus Marcellinus quid iudicaverit de rebus divinis, Diss. Jena 1891. Interesse verdient auch die Studie des aus Illinois stammenden James Milton Vance, Beiträge zur byzantinischen Kulturgeschichte am Ausgange des IV. Jahrhunderts aus den Schriften des Johannes Chrysostomos, Jena 1907 (Diss. Jena 1906). Aus der jüngeren Zeit sind die Arbeiten des Graduiertenkollegs „Leitbilder der Spätantike“ zu erwähnen, vgl. etwa Jürgen Dummer / Meinolf Vielberg (Hrsg.), Leitbilder der Spätantike – Eliten und Leitbilder, Stuttgart 1999; Leitbilder in der Diskussion, Stuttgart 2001; Leitbilder im Spannungsfeld von Orthodoxie und Heterodoxie, Stuttgart 2008; Sabine Hübner, Der Klerus in der Gesellschaft des spätantiken Kleinasiens, Stuttgart 2005 (Diss. Jena 2005). Vgl. auch Rodney L. Ast, Late antique and Byzantine papyri in the collection of the Friedrich-Schiller-Universität Jena, Diss. Toronto 2008 (erschienen: Late antique Greek papyri in the Collection of the Friedrich-Schiller-Universität Jena. P. Jena II, Bonn 2010).

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