A. Pečar: Politischer Biblizismus

Cover
Titel
Macht der Schrift. Politischer Biblizismus in Schottland und England zwischen Reformation und Bürgerkrieg (1534-1642)


Autor(en)
Pečar, Andreas
Reihe
Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 69
Erschienen
München 2011: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
487 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Pohlig, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Dass der englische Bürgerkrieg in irgendeinem Sinne – oder vielmehr: auf viele verschiedene Weisen – mit Religion zu tun hatte, ist keine neue Einsicht. So ist auch nie übersehen worden, dass die englische Monarchie des 16. und 17. Jahrhunderts eine sakralisierende Selbstdarstellung pflegte, dass die politische Krise der Stuartmonarchie auch mit religiösen Gegensätzen in Theologie und Kirchenverfassung zusammenhing (Stichworte: Arminianismus, Puritanismus) und dass vor allem im Kontext des Bürgerkriegs eine protestantische Radikalisierung zu beobachten war. Im Zuge der whig interpretation, ihrer marxistischen Reformulierung, aber auch der politik- und ideengeschichtlichen Diskussionen sind diese Beobachtungen oft entschärft worden, indem man Religion zum Epiphänomen und zur Ideologie degradierte – oder im Kontext der Republikanismus-Debatten eher nach Elementen von civic humanism, common law und ancient constitution fahndete. Wie gesagt: Übersehen worden ist der enge Konnex von Religion und Politik im englischen und schottischen 16. und 17. Jahrhundert nie. Doch gelingt es Andreas Pečar im vorliegenden Buch, der Diskussion mittels des analytischen Instruments der „politischen Sprachen“ eine neue Wendung zu geben, indem er aufzeigt, wie systematisch die Akteure ihre politischen Konzeptionen auf die Bibel stützten.

Pečars Thema ist die „biblizistische Sinnstiftung auf dem Feld der Politik“ (S. 2). Biblizismus wird dabei – mit der Cambridge School – als eine „politische Sprache“ (und eben nicht: ein politisches Programm) verstanden, die durch die „Autorisierung politischer Äußerungen und Positionen durch den Rückgriff auf biblische Textstellen“ (S. 2) konstituiert wird. Diese Sprache untersucht Pečar mit Blick auf Sprecher, Aussagen und Bedeutung (auch gegenüber anderen Sprachen); seine zentrale Frage ist, welche Rolle sie im Rahmen der Herrschaftskrise spielte, die den Bürgerkrieg mit herbeiführte. Die Studie ist in Hinsicht auf ihr methodisches Instrumentarium wie auf ihren inhaltlichen Fokus in gewisser Weise post-revisionistisch, insofern sie Religion ernster nimmt als die ältere Forschung, aber auch stärker wieder die politischen Bruchstellen betont, als dies der – tendenziell einen breiten politischen Konsens behauptende – Revisionismus getan hat.

Die Verbindung von Bürgerkrieg und Biblizismus schlägt sich auch in der Gliederung nieder: Pečar beginnt mit dem Bürgerkrieg, greift dann auf die Formierung des Biblizismus in der Reformation zurück, um sich chronologisch (mit einem gewissen Schwerpunkt bei Jakob VI./I.) wiederum auf die 1640er-Jahre zuzubewegen. Das zweite Kapitel zu „Bürgerkrieg und Biblizismus“ führt vor, wie sich die schottische Kirche in ihrer presbyterianischen Abgrenzung zur englischen Krone auf dem National Covenant von 1638 den alttestamentlichen Bundesgedanken zu eigen machte. Der Idee eines Weiterwirkens der alttestamentlichen lex Dei trotz des neutestamentlichen Gnadenbundes wurde von königlicher Seite mit einem Verweis auf das ebenfalls biblisch abgeleitete divine right of kings geantwortet. Beide Seiten hielten sich die Willkürlichkeit ihrer Bibelbezüge vor; dieselbe politische Sprache ermöglichte also einen „Kampf zweier Deutungskonzepte von Monarchie“ (S. 62). Auf der Basis von Traktaten und Predigten zeigt Pečar auch für England eine biblizistische Konfrontation, in der – anders als oft angenommen – die Berufung auf das Alte Testament mindestens gleichberechtigt neben der auf die Johannesoffenbarung stand.

Doch woher stammten all diese im Umkreis des Bürgerkriegs verdichtet auftauchenden Argumente? Im dritten Kapitel zeigt Pečar, dass die Sprache des Biblizismus ihre Ursprünge in der englischen Reformation besaß. Die Bibel wurde durch von Heinrich VIII. in Auftrag gegebene Übersetzungen intensiv in die monarchische Selbstdarstellung eingebunden. Wenig später entwickelten die Marian exiles theokratische Positionen, die in England nur partiell Gehör fanden. Schon früh also war der Biblizismus eher eine breit geteilte Sprache als eine politische Position; in England machte sich eher die Krone den Biblizismus zunutze, während er in Schottland bereits früh eine Domäne der ständischen Opposition war.

Jakob VI. steht im Zentrum des vierten Kapitels. Er inszenierte sich, so Pečar, in hohem Maße als Theologe, Priesterkönig und Prophet. Die sakrale Selbststilisierung beruhte dabei vor allem auf exegetischen Schriften: So verfasste Jakob einen Kommentar zur Johannesoffenbarung, in dem er – auf wenig spezifische Weise – den prophetischen Text zeithistorisch und indirekt politisch applizierte. Pečars These lautet, Jakob habe damit die Zweifel Elisabeths I. an seiner protestantischen Orthodoxie ausräumen wollen, um sich die Thronfolge zu sichern. Problematisch scheint mir allerdings die folgende Interpretation: „Um […] Elisabeths Besorgnis auf elegante, der höfischen Kommunikation entsprechende Weise zu zerstreuen, ohne sie explizit zum Thema zu machen, war wenig besser geeignet als eine Interpretation der Offenbarung, in der Jakob den Papst als Antichrist brandmarkte und den Königen die Rolle zuwies, das Papsttum zu zerstören“ (S. 206). Dass Offenbarungsexegese und höfische Kommunikation zusammengehörten, müsste argumentativ plausibler gemacht werden.

Auch in anderen Schriften engagierte sich Jakob als Verfechter etwa des divine right of kings, wenngleich er Probleme hatte, das tendenziell monarchiekritische Alte Testament entsprechend zu deuten. Um die Sakralisierung der Monarchie unter Jakob I., also nach der englischen Thronbesteigung, geht es im fünften Kapitel. Pečar zeigt, dass die Propaganda zugunsten des divine right of kings zwar nicht zwingend auf eine (absolutistische) Machtsteigerung, aber doch auf eine „Immunisierung der Königsherrschaft“ (S. 318) gegen Ansprüche von außen abzielte. Auch die Gegner innerhalb dieser Debatte argumentierten biblizistisch und leiteten ihre eher kritische Sicht auf Königsherrschaft und Bischofskirche ebenfalls aus der Bibel ab. Gerade an der Frage der Kirchenverfassung, die wohl in England und Schottland umstrittener war als irgendwo anders, entzündete sich immer wieder ein primär biblizistisch geführter Streit.

Dies bekräftigt das sechste Kapitel zur „Unterscheidung von lex Dei und Königsherrschaft“: Jakobs Anspruch, auch in Schottland supreme head of the church zu werden, musste auf presbyterianische Opposition stoßen. Doch nicht nur die Frage der Kirchenverfassung, auch Jakobs unentschiedene Außenpolitik wurde zunehmend einer biblizistischen Attacke unterzogen. Überhaupt wurde der Biblizismus immer stärker zur bevorzugten Sprache der Opposition; das Auseinanderdriften von lex Dei und Königsherrschaft, so Pečar, sei als wichtiger Schritt hin zum Bürgerkrieg zu deuten.

Die Studie ist eingängig geschrieben, argumentiert jederzeit nachvollziehbar und entwirft ein plastisches Bild des intrikaten Verhältnisses von religiösem und politischem Denken, Sprechen und Handeln im englischen konfessionellen Zeitalter. Die Prominenz des Biblizismus in England und Schottland, die Pečar überzeugend belegt, fordert die Frage heraus, ob diese Konstellation ein Sonderfall war, der vielleicht mit dem Nebeneinander unterschiedlicher protestantischer Richtungen zu tun hatte, oder ein Pendant in anderen, kontinentalen Fällen findet – eine Frage, die durch die Studie angeregt wird, aber über ihren Rahmen hinausweist. Daneben bleiben einige Anfragen an das insgesamt überzeugende Buch: Bei aller offenkundigen Bedeutung des Biblizismus bleibt doch letztlich unklar, welchen Status Pečar diesen Sprechakten zuspricht. Es ist zwar deutlich, dass die Prominenz des Biblizismus die politische Konfrontation anheizte, und dennoch: War sie (bloß) Rhetorik, war sie Legitimation, war sie Motivation? War sie also „Imagepolitik“ (S. 429) – oder doch mehr?

Auch scheint mir die theologische Einordnung einiger Elemente des Biblizismus etwas unscharf. Pečar diagnostiziert etwa, Jakob habe sich als Prophet und Priester stilisiert – und zwar nach dem Vorbild etwa Christi oder Davids (S. 211f., 316f.). In der Religionsgeschichte wie -soziologie sind aber nun der Priester und der Prophet nicht nur unterschiedliche, sondern geradezu entgegengesetzte religiöse Autoritätsgestalten. Aus den Belegen, die Pečar bringt, ist mir nicht recht deutlich geworden, ob Jakob sich als Priester und als Prophet, als eines von beiden oder situativ unterschiedlich stilisierte – ob also diese Unschärfe eine des analytischen Instrumentariums oder (was ja auch ein interessanter Befund wäre) der zeitgenössischen Sprechakte ist. Ähnliches gilt für Pečars Beschreibung der calvinistischen Unterstützung der kontinentalen Protestanten, die immer wieder mit dem Label „Heiliger Krieg“ versehen wird (S. 349, 391f., 396, 401), obgleich der Begriff des heiligen Krieges vormodern wenig einschlägig war.1 Auch aus Pečars Belegen scheint eher hervorzugehen, dass der Ausdruck zeitgenössisch kaum benutzt wurde; als analytischer Terminus ist er aber – auch in der Abgrenzung zu Nachbarbegriffen wie Religionskrieg – unterprofiliert. Von diesen Unschärfen abgesehen, liegt mit Pečars Buch eine überzeugende Interpretation des Verhältnisses von Religion und Politik im elisabethanischen und Stuart-England vor, die hoffentlich breit diskutiert werden wird.

Anmerkung:
1 Vgl. Klaus Schreiner (Hrsg.), Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich, München 2008; darin v.a. die Einleitung von Schreiner und der Beitrag von Friedrich Wilhelm Graf.