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Titel
Arno Breker. Der Künstler und die Macht. Die Biographie


Autor(en)
Trimborn, Jürgen
Erschienen
Berlin 2011: Aufbau Verlag
Anzahl Seiten
712 S., 52 Abb.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralph-Miklas Dobler, Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom

Jürgen Trimborn hat eine beeindruckende Menge unbekannter Dokumente und Zeitzeugenberichte zusammengetragen, um „eine ausgewogene Darstellung von Brekers Leben sowie die dringend notwendige Entmythologisierung“ vorzunehmen (S. 14). Verschlossen blieben auch ihm das Familienarchiv der Brekers und das Archiv des Galeristen Joe F. Bodenstein, weshalb er auf wichtige Dokumente aus dem persönlichen Umfeld des Bildhauers verzichten musste. Von den zehn Kapiteln des stattlichen Buches sind zwei den Lehrjahren sowie den Aufenthalten in Paris und Rom gewidmet, fünf beschreiben die Arbeit unter Adolf Hitler und drei die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg.

Nach Ausführungen über die Geburtsstadt Elberfeld, die Mitgliedschaft im Wandervogel, den Ersten Weltkrieg und die Lehre betont Trimborn das „Schlüsselerlebnis“ des 15-jährigen Breker, der in Düsseldorf gleich einer „Offenbarung“ Rodins Plastik „Das eherne Zeitalter“ erblickte (S. 47). Eingehend werden die Aufenthalte in Paris und Rom dargestellt. Anhand eines 1947 von Breker persönlich verfassten Lebenslaufs weist Trimborn nach, dass der Bildhauer schon 1924, also vor der Frankreichreise, mit dem bekannten Galeristen Alfred Flechtheim einen Vertrag abschloss. Damit scheint sich die von Breker selbst mehrfach hervorgehobene Zugehörigkeit zur europäischen Moderne zu bestätigen1, die zumindest auf den ersten Blick Brekers späterer Tätigkeit im Nationalsozialismus widerspricht.

Wesentlich kritischer geht Trimborn mit der Selbstdarstellung des Bildhauers nach 1933 um. Es zeigt sich, dass Breker nicht von jüdischen Freunden zur Rückkehr nach Deutschland gedrängt wurde, sondern von seiner Lebensgefährtin Demetra Messalâ, genannt „Mimina“, die finanzielle Interessen verfolgte. Im Nationalsozialismus konnte sich der Künstler dann erstaunlich schnell etablieren. Mit den Plastiken für die Olympischen Spiele 1936 erfolgte die entscheidende Wende, da Hitler persönlich auf ihn aufmerksam wurde. Im Abschnitt zur „Entarteten Kunst“ kulminiert die Schilderung Trimborns in einem Fragenkatalog, bei dem es unter anderem heißt: „Was empfand Arno Breker, der selbst einmal mit der Moderne geliebäugelt hatte?“ (S. 184) Jonathan Petropoulos hat weniger emphatisch darauf hingewiesen, dass die Entwicklung zum Lieblingsbildhauer des „Führers“ kompliziert war und schrittweise erfolgte.2 Trotz eines gewissen Talents hatte Breker in den 1920er-Jahren nicht den erhofften künstlerischen Durchbruch geschafft. Auf der Suche nach Bestätigung war er zu allem bereit – selbst dazu, seinen Stil zu ändern und seine Arbeit bereitwillig in den Dienst der Diktatur zu stellen. Bei den zahlreichen Aufgaben, die Breker in Zusammenarbeit mit Albert Speer für die neue Hauptstadt „Germania“ anging, verfiel er geradezu in einen „Schaffensrausch“ (S. 234).

Breker war jedoch nicht nur Kunstproduzent, sondern auch ein kulturpolitischer Entscheidungsträger.3 Welche Dimensionen diese Position angenommen hat, vermag Trimborn ausführlich darzustellen. Zugleich wird Brekers undurchsichtiges Verhalten gegenüber den im Nationalsozialismus verfolgten Freunden aufgezeigt. Am Desinteresse gegenüber dem Schicksal der Witwen von Max Liebermann und Alfred Flechtheim offenbarte sich laut Trimborn „Brekers wahrer Charakter“ (S. 246). Der „Lüge“ überführt wird der Bildhauer auch bezüglich des vermeintlichen Kaufs von Schloß Jäckelsbruch im nördlichen Brandenburg, das in Wirklichkeit ein Geschenk Hitlers war (S. 256).4 Neben einem horrenden Verdienst Brekers kann Trimborn nachweisen, dass sein Protagonist an Enteignungsaktionen jüdischen Immobilienbesitzes beteiligt war. Zudem ist für die 1941 gegründeten Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH der Einsatz von Zwangsarbeitern verbürgt. Damit ist die Annahme eines nur an seinen Schöpfungen interessierten Künstlers endgültig demontiert. Trimborn macht deutlich, dass der Bildhauer sich in profitabler Weise an Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt hat. Im Kontext von Brekers Rückkehr nach Paris 1940 und der folgenden Tätigkeit im Rahmen der Kulturpropaganda wird die bereits bei Petropoulos angedeutete Rolle des Bildhauers beim nationalsozialistischen Kunstraub aufgezeigt.5 Das Atelier in Wriezen diente offenbar als „Drehscheibe“ für die Verteilung der Schätze (S. 322). Trimborn legt nahe, dass Breker auch Werke für das geplante „Führermuseum“ in Linz beschaffte.

Besonders aufschlussreich ist Brekers Biographie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Bildhauer ist ein eindrückliches Beispiel für den Umgang mit belasteten Personen und für die dahinterstehenden Beweggründe. So wurde Breker zunächst von der amerikanischen Militärregierung unterstützt. Trimborn zeigt, dass erst der Druck der Medien zum Spruchkammerverfahren führte. Obwohl bei den Zeugenbefragungen neben vielen entlastenden Urteilen völlig zu Recht vorgebracht wurde, Brekers Kunst sei „reinster und verächtlicher Ausdruck nationalsozialistischer Propaganda und Großmannssucht“ (so Edwin Redslob, zit. auf S. 421), stufte man Breker aufgrund von Falschaussagen und fehlenden Unterlagen 1948 als „Mitläufer“ ein. Die Etablierung einer rassistischen Ikonographie wurde ihm nicht zum Vorwurf gemacht. Trimborn stellt überzeugend dar, wie die alten Seilschaften dem Bildhauer den Wiederaufstieg ermöglichten. Die Ausführungen über die noch lebenden Familienangehörigen Brekers und dessen zweite Ehefrau wären dabei gar nicht nötig. Gleiches gilt für die Betonung der homosexuellen Kreise von Paris, in denen Breker „wegen seiner heroisierenden, kraftstrotzenden Männerakte offenbar gut ankam“ (S. 491). Dass der Bildhauer in der französischen Hauptstadt 1961 mit Unterstützung von einigen Intellektuellen ein Atelier eröffnen konnte, ist bezeichnend genug. Da dem Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg eine öffentliche Anerkennung jedoch verwehrt blieb, belegen seine Äußerungen eine zunehmende Verbitterung. Bereitwillig übergab er 1972 Joe F. Bodenstein die Vermarktung seines Werks, und dieser unternahm den umfangreichen Versuch einer Rehabilitierung. Trimborn schildert gründlich das Zustandekommen der daraufhin erschienenen Bildbände, in denen Brekers Kunst als zeitlos und unpolitisch vorgeführt wurde.6 Die letzten Seiten gehen der Frage nach, ob und wie Brekers Œuvre ausgestellt werden soll. Größerer Raum wird der umkämpften Schweriner Ausstellung von 2006 zugestanden, die Trimborn etwas pauschal als „distanzlose Hommage“ charakterisiert (S. 578).

Insgesamt trägt Jürgen Trimborn viel Neues zur historischen Einordnung Arno Brekers bei. Die bisher vorliegenden, kurzen Biographien von Petropoulos und Bushart werden um zahlreiche Details zu den gesellschaftlichen Verflechtungen und zu Brekers Handeln erweitert.7 Für jede weitere Beschäftigung mit dem Bildhauer, aber auch für den Umgang mit Künstlern des Nationalsozialismus wird das Buch grundlegend sein. Wie der Klappentext vorwegnimmt, ist es Trimborns erklärtes Ziel, eine „spannende Geschichte“ des Bildhauers zu erzählen. Die streng wissenschaftliche Argumentation steht dabei nicht immer im Vordergrund. Manches könnte man auch anders sehen, und hin und wieder dürfte in den Anmerkungen stärker auf die bereits geleistete Forschung verwiesen werden. Dafür gelingt es Trimborn aber, das Buch einerseits auf intensive Recherche in Archiven, Befragung von Zeitzeugen und Auswertung der Sekundärliteratur zu stützen und es andererseits für ein breites Publikum attraktiv und lesbar zu gestalten. Einzig die ausführlichen Charakterisierungen aller Personen, Institutionen und Orte, mit denen Breker zu tun hatte, erwecken hier und da den Eindruck, dass es schwerfiel, aus der Masse des gefundenen Materials eine Auswahl zu treffen.

Zur kunsthistorischen Einordnung von Breker leistet die Biographie keinen Beitrag.8 Wer sich einen Überblick zu den Skulpturen und Plastiken verschaffen möchte, muss nach wie vor zu den Bildbänden greifen, deren biographischer Inhalt nun in weiten Teilen korrigiert wurde. Ob sich allerdings die im Epilog geforderte Aufarbeitung des gesamten künstlerischen Œuvres von Arno Breker tatsächlich lohnt, sei dahingestellt. Das (kunst)wissenschaftliche Interesse dürfte sich in der politischen Ikonographie der zwischen 1933 und 1945 entstandenen Werke erschöpfen.

Anmerkungen:
1 Arno Breker, Im Strahlungsfeld der Ereignisse. 1925–1965, Preußisch Oldendorf 1972.
2 Jonathan Petropoulos, The Faustian Bargain. The Art World in Nazi Germany, London 2000, S. 222.
3 Darauf hat u.a. Magdalena Bushart hingewiesen: dies., Arno Breker (geb. 1900) – Kunstproduzent im Dienst der Macht, in: dies. u.a. (Hrsg.), Skulptur und Macht. Figurative Plastik im Deutschland der 30er und 40er Jahre, Berlin 1984, S. 179-182, hier S. 179.
4 Auch dieser Hinweis mit Angabe der Archivquelle bereits ebd., S. 181.
5 Petropoulos, Faustian Bargain, S. 234f.
6 Volker G. Probst, Arno Breker. Der Prophet des Schönen. Skulpturen aus den Jahren 1920–1982, München 1982; Dominique Egret, Arno Breker. Ein Leben für das Schöne, Tübingen 1996.
7 Petropoulos, Faustian Bargain; Bushart, Arno Breker. Leider bislang nicht publiziert ist: Konrad Friedrich Schlegel, Arno Breker und die Repräsentationskunst im Dritten Reich, phil. Diss. Universität Wien 2000.
8 Vgl. die daraus resultierende Kontroverse in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: Michael Böhm, Für die Welthauptstadt Germania brauchte es Athleten im großen Format, in: FAZ, 29.11.2011, S. 30 (Rezension von Trimborns Buch); dazu die Leserbriefe von Rainer Hackel, Trimborns Scheitern an Arno Breker, in: FAZ, 21.12.2011, S. 31, und von Ursel Berger, Aufschlussreiche Fakten der Breker-Biographie, in: FAZ, 31.12.2011, S. 7.