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Titel
Der Weg zur Krone. Rituale der Herrschererhebung im römisch-deutschen Reich des Spätmittelalters


Autor(en)
Büttner, Andreas
Reihe
Mittelalter-Forschungen 35
Erschienen
Ostfildern 2012: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
Band 1: XIV, 446 S., Band 2: X, 434 S.
Preis
89,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Rogge, Historisches Seminar, Universität Mainz

Das hier behandelte Buch beruht auf einer Dissertation, die im Rahmen des Heidelberger Sonderforschungsbereichs FB 619 „Ritualdynamik“ entstanden ist. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, wenn Andreas Büttner als Gegenstand seiner Arbeit die Ritualisierung der politischen Willensbildung benennt und der Frage nachgeht, wie Entscheidungsfindungsprozesse und gefundenen Entscheidungen mittels ritueller Handlungen allgemein verbindlich gemacht wurden (S. 3). Er untersucht dazu die normativen Vorschriften (zum Beispiel Krönungsordines und die Goldene Bulle), rekonstruiert Handlungsabläufe und nimmt den Wandel in beiden Bereichen in den Blick. Dabei bleibt sein Ritualbegriff unscharf, er ist eher eine Beschreibungs- als eine Analysekategorie. Rituale sind eine „formalisierte Abfolge von Handlungen […], die sich als eigenständig wahrnehmbarer Komplex durch einen besonderen Grad an Feierlichkeit (solemnitas) von einem bloßen technischen Vorgang abheben“ (S. 12). Mit seinen Untersuchungen will er ein „besseres Verständnis der eingetretenen Veränderungen [bieten], die wiederum weitergehende Schlüsse auf den Wandel von Ordnungsvorstellungen und Ordnung des Reiches“ (S. 21) ermöglichen. Um die Dynamik der Rituale fassen zu können, will Andreas Büttner den vorgenommenen Veränderungen nachgehen, denn in ihnen würden sich die Wandlungen der Ordnungsvorstellungen ablesen lassen.

Dazu geht er den Königserhebungen von Wilhelm von Holland bis Maximilian I. nach, die er unter „Rückgriff auf alle zur Verfügung stehenden Quellen“ (S. 34) behandelt und dabei die Rituale in den jeweiligen politischen Gesamtkontext einordnen will. Vorher stellt er aber noch die früh- und hochmittelalterlichen Grundlagen der Königserhebungen dar (S. 43–93) und behandelt die Krönungsordines (S. 95–169). Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist sein Vorschlag, den in der Forschung bisher in das Jahr 1309 datierten Ordo, auf „um 1325“ zu datieren (S. 140f.).

Die Herrschererhebungen des späten Mittelalters handelt Büttner nacheinander ab, schiebt jedoch jeweils ein Zwischenfazit für das 13., 14. und 15. Jahrhundert ein (S. 171–646). Warum er sich dabei an der Chronologie orientiert, leuchtet nicht ein, denn die Veränderung und Dynamik halten sich nicht an die Chronologie. Hervorzuheben ist jedoch – und darin liegt ein großer Nutzen dieses Werkes –, dass Büttner ein Kompendium der Quellen und Literatur zu den einzelnen Erhebungen und Krönungen produziert hat. Ereignisgeschichtliche Darstellungen – man fühlt sich an die Jahrbücher des Deutschen Reiches erinnert – dominieren in diesem Teil den Text.

An den chronologischen Durchgang schließt Andreas Büttner eine synthetisierende Betrachtung der Elemente, der Formen und Entwicklungen der Rituale der Herrschererhebungen an (S. 647–697). Dazu zählt er Vorverhandlungen, Königswahl, Altarsetzung, Königslager, Krönungsfahrt, den Königsstuhl in Rhens und die Krönung, die wiederum in mehrere Sequenzen zerlegt wird. In diesem Teil präsentiert Büttner interessante und zum Teil diskussionswürdige Ergebnisse. Dazu gehören, so seine Einschätzung, dass die Goldene Bulle einen Referenzrahmen geschaffen hatte, an dem sich jede Wahl messen musste (S. 564), oder auch, dass die Altarsetzung ein Versuch war, die an „Bedeutung gewinnende Wahl mit einem rituellen Abschluss zu versehen“ (S. 662). Das Königslager war zwar einerseits eine „Rechtsfiktion“, erscheint Andreas Büttner jedoch andererseits als ein wichtiges Kriterium, um über die Rechtmäßigkeit einer Herrschererhebung zu entscheiden (S. 666).

In einem weiteren Kapitel wendet sich Andreas Büttner dem Verhältnis von Wahl und Krönung im Wandel zu (S. 699–779). Im Einzelnen behandelt er die Diplomatik (Regierungsjahre und Intitulatio), präsentiert Aspekte der Ereignisgeschichte und Reflexionen der Zeitgenossen am Beispiel der Bedeutung der Salbung unter Einbeziehung der Entwicklung in England, Frankreich und der Auffassungen des Papsttums, der Krönungen in Aachen sowie von staatstheoretischen Schriften (unter anderem Tolomeo von Lucca, Lupold von Bebenburg, Peter von Andlau).

In dem letzten, „Ergebnisse und Perspektiven“ überschriebenen, Kapitel (S. 781–792) bringt Andreas Büttner zunächst eine Zusammenfassung seiner wesentlichen Ergebnisse. Er stellt heraus, dass „im 14. Jahrhundert die Wahl und im 15. Jahrhundert die Krönung im Vordergrund stand“ (S. 783). Zuerst habe sich die Wahl und erst danach die Krönung dynamischer entwickelt. Die Königserhebungen zeigen ein anschauliches Bild der politischen Situation. Diese Rituale erhielten ihre Bedeutung, weil sie „die ansonsten nicht greifbare[n] Vorgänge der politischen Willensbildung zum Ausdruck [brachten und] sie in Szene und in die Realität um[setzten]“ (S. 784). Abschließend plädiert er für eine Ausweitung des Untersuchungsfeldes auf verschiedene Zeiten und Herrschaftsräume sowie den europäischen Vergleich. Sowohl die rituelle Praxis der Krönungen als auch die Veränderungen der Krönungsordines sollten nach Büttner noch intensiverer vergleichend untersucht werden.

Das sind nun aber mehr oder weniger bekannte Ergebnisse und auch Perspektiven, die in einem merkwürdigen (Miss-)Verhältnis zu dem betrieben Aufwand stehen. Die Stärke der Arbeit liegt über weite Strecken (das Bild bietet sich bei dem Umfang des Buches an) nicht in der stringenten Synthese der Ergebnisse. Sie bietet auch nicht eine grundsätzliche Neubewertung der Ursachen für einen Wandel der Ordnung bzw. der Ordnungsvorstellungen im Reich. Andreas Büttners Stärke ist die Auseinandersetzung mit den Quellen; sein Umgang mit der Überlieferung zu den einzelnen Erhebungen ist weitgehend souverän und seine Mikrostudien für sich sind sehr plausibel. Seine Lesarten und Interpretationen führen im Detail zu Korrekturen am bisherigen Forschungstand. So habe am 17. Juni 1349 keine erneute Wahl Karls IV. stattgefunden, sondern eine nachträgliche Stimmübertragung (S. 365). Auch wenn man den Zugriff auf die spätmittelalterliche Verfassung und deren Wandel über die Herrschaftsrituale nicht für den ‚Königsweg‘ der Forschung hält, kann man Büttners Buch mit Gewinn konsultieren.

Büttner dankt in seinem Vorwort auch seinem „Laptop für zuverlässige und datenverlustfreie Begleitung über die letzten Jahre“. Das erscheint konsequent, denn sehr viele dieser Daten sind wohl in das Buch transferiert worden. Und die Leser können davon profitieren.

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