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Titel
Jesus als Held. Odysseus und Herakles als Vorbilder christlicher Heldentypologie


Autor(en)
Zilling, Henrike Maria
Erschienen
Paderborn 2011: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
269, [17] S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernadette Descharmes, Historisches Seminar, Technische Universität Braunschweig

Jesus Christ Superstar – die Sprache der Popkultur verdeutlicht die herausragende Stellung Jesu: Er ist beliebt, bekannt und wird verehrt. Bereits die antiken christlichen Autoren präsentierten Jesus in dieser herausragenden Stellung, wenn auch nicht als Superstar, so doch als Helden. Unzählige christliche Märtyrer und Heilige folgten dem Vorbild ihres Helden und gelangten ihrerseits zu Verehrungswürdigkeit. In der Forschung diskutierte man bereits die Frage, inwieweit die christliche Märtyrer- und Heiligenverehrung aus dem nicht-christlichen antiken Heroenkult entstand. Hierbei verwies man auf die Komplexität dieses Entstehungsprozesses und auf die Verbindungslinien zum paganen Kult.1 In ihrer gekürzten und überarbeiteten Habilitationsschrift gelingt es Zilling, innerhalb dieses komplexen Themas klare Linien herauszuarbeiten. Für ihre Studie greift sie sich zwei griechische Heldenfiguren heraus und setzt sie in Beziehung zur Jesusfigur, um zu zeigen, dass Herakles und Odysseus als Vorbilder für die literarische Ausgestaltung der Passion und des Martyriums Jesu dienten: Bei Odysseus ist das Sirenenabenteuer zentral, in dem der Widerstand des Helden gegen die Verlockung durch die Sirenen eine christliche Umdeutung erfährt. Im Fall des Herakles spielt vor allem dessen Todeskampf und Gottessohnschaft eine Rolle.

Zilling klärt vorab die Frage nach den Assimilierungs- und Akkulturationsprozessen, sie fragt, wie die Einflüsse der griechischen Kultur, des Judentums und der Gnosis auf das Christentum zu bewerten sind. Danach definiert sie, was ein Held ist, wobei sie „Held“ und „Heros“ begrifflich nicht unterscheidet. Insgesamt ist diese Gleichsetzung problematisch zu bewerten, da das griechische Wort heros vielschichtig ist und man durchaus zwischen verschiedenen Konzeptionen von Heroen unterscheiden kann und muss.2 Zentral für Zillings Definition ist jedoch das Exzeptionelle, Kämpferische, Quasi-Göttliche. Für sie steht zudem außer Zweifel, dass im Rahmen des Christentums die Heiligen an die Stelle der Heroen treten. Dies sei aber keinesfalls als einseitiger Prozess der Christianisierung anzusehen, in dem der Heilige den Heros ersetze; der Heros habe ebenso das Bild des Heiligen beeinflusst, auch wenn dabei viele Motive des Mythos neu ausgelegt wurden.

Der nächste Teil des Buches widmet sich dann der Umdeutung des Kreuztodes. Zunächst habe der Glaube an das Kreuz ein „Skandalon“ bedeutet. Für die heidnische Welt sei unverständlich geblieben, wie man sich einem Mann anschließen könne, der die Strafe für Hochverrat erlitten hatte. Die christlichen Texte dagegen hätten die Passion und Kreuzigung in eine Heldengeschichte umgewandelt. In einer historisch-kritischen Analyse insbesondere der Evangelien stellt Zilling heraus, wie Jesus trotz der nicht heldenhaften Todesangst vor der Verhaftung gegenüber Pilatus standhaft bleibt. Das Leiden und die Verhöhnung nimmt Jesus schweigend hin, und schon darin deutet sich seine Erhöhung an. Zilling zeigt, dass gerade innerhalb der paulinischen Mission die Passionsgeschichte von den hellenistischen Vorstellungen eines heroischen Stellvertretertodes, der dem Wohl der Gemeinschaft dient, beeinflusst ist (S. 73). Und auch in der Himmelfahrtsbeschreibung bei Lukas findet Zilling Parallelen zur paganen Tradition. So vermutet sie, dass Lukas bekannte Bilder verwendete, um die Geschichte der Auferstehung nahe zu bringen (S. 78).

Danach konzentriert sich Zilling auf Odysseus. Die zentrale Platzierung des Sirenenabenteuers innerhalb der Odyssee deutet sie etwas ungenau als Episode zwischen dem Abstieg in den Hades und der Heimkehr nach Ithaka (S. 81f.). Dieses Abenteuer ist jedoch vielmehr in die Phäakengeschichte eingebettet, die den Dreh- und Angelpunkt des Epos bildet. Auf der Insel der Phäaken berichtet Odysseus von seinen Abenteuern und eben auch von den Sirenen. Die Gefahr durch die Sirenen geht damit nicht, wie Zilling suggeriert, der glücklichen Ankunft auf Ithaka unmittelbar voraus. Die Bedeutung dieser Geschichte für die Odyssee müsste damit etwas relativiert werden. Doch ist dies für Zillings Ausführungen ohnehin nicht so entscheidend. Zentral ist eher, dass sie die Verfolgung durch Poseidon, das Erleiden von Schiffbruch und vor allem das Leiden am Mast als Martyrium interpretiert, wobei das Anbinden an den Mastbaum das Überleben des Helden ermögliche.

Die Zuversicht spendende Erzählung von Odysseus sei nun in den Schriften der Kirchenväter aufgenommen worden. Die christlichen Autoren hätten im Schiff die Kirche und im Mastbaum das Kreuz gesehen. Der Mythos des Odysseus habe so eine Umdeutung erfahren: beide, der Christ und Odysseus, müssen an Verlockungen vorbeisteuern, doch während das Heil des Odysseus auf Ithaka liege, befinde sich das des Christen im Jenseits. Zu den Verlockungen eines Christen hätten jedoch nicht nur weltliche Laster gezählt, sondern auch alternative religiöse Strömungen. Demzufolge habe das Sirenenabenteuer einen besonderen Platz im Rahmen der Häresiebekämpfung eingenommen. Zilling legt hier das Augenmerk auf Hippolyt und die Situation der römischen Gemeinde, die vor der Gefahr der gnostisch-häretischen Verlockung geschützt und gefestigt werden sollte.

Im weiteren Teil ihrer Studie ermittelt Zilling die Korrespondenzen zwischen paganen und christlichen Bildern der Heraklesgestalt. Vorangestellt ist ein Forschungsüberblick, der die Möglichkeiten und Probleme einer solchen Parallelisierung diskutiert. Dies ist angebracht, da ein allgemeiner, einleitender Forschungsüberblick fehlt. Darauf stellt Zilling die pagane Herakles-Tradition in ihrer Vielfalt und Uneinheitlichkeit dar, wonach Herakles zwischen der Rolle des Erlösers und der des bestialischen Aggressors changiert. Die Parallelen zur Christusfigur deuten sich beim Lesen dieses Kapitels schon an. Das Kapitel „Biographische Schnittpunkte – Synkrisis“ geht dann genauer auf einzelne parallele Motive ein. Es berücksichtigt dabei zum einen die Geburtsgeschichten, die die Reinheit und Tugend der Mütter betonen, vor allem um die Frauen vor den Vorwürfen des Ehebruchs zu schützen, zum anderen die Gottessohnschaft, die nichtsdestoweniger ein Leben als Mensch mit sich bringt, sodann die Versuchung und moralische Prüfung, von der an beide zu wirken beginnen, und schließlich das Martyrium beider Helden.

Anders als Odysseus, der nie zu einem Gott wurde, habe Herakles durch seine Vergöttlichung nach dem Tod zum Konkurrenten Jesu werden können. Aus diesem Grund hätten die Kirchenväter versucht, die Einzigartigkeit Christi hervorzuheben, indem sie den „Sexprotz“ und „Säufer“ Herakles moralisch verurteilten. Zilling gelingt es jedoch zu zeigen, dass trotz dieser scharfen Polemik gegenüber dem Helden Prodikos’ Geschichte von „Herakles am Scheideweg“ durchaus rezipiert wurde. Als christliche „Zwei-Wege-Lehre“ habe sie sich beispielsweise in der „Didache“ und im „Hirten des Hermas“ etabliert, auch wenn diese Texte nicht explizit auf Herakles verweisen. Zilling versäumt es aber nicht, trotz der parallelen Motive auch auf deutliche Abweichungen hinzuweisen. Vor allem unterscheide sich die Erzählung des Prodikos von den christlichen Texten darin, dass es hier um den kritischen Punkt geht, an dem der Held zwischen Tugend und Laster zu wählen hat. Die christlichen Texte stellten demgegenüber die Möglichkeit der Umkehr und die Tugendkataloge in den Vordergrund.

Insgesamt stellt Zillings Buch einen wichtigen Beitrag in Hinblick auf die Transformationsvorgänge dar, die durch das Christentum eingeleitet werden. Sie hat damit einen zentralen Verbindungspunkt nicht-christlicher und christlicher Heldentradition grundlegend aufgearbeitet und lässt keinen Zweifel mehr an den motivischen Zusammenhängen, nicht ohne auch die Innovationskraft der christlichen Autoren zu betonen. Sie zeigt schließlich, auf welch vielfältige Weise man mit dem Mythos umgehen konnte. Das Christentum reagierte demnach in einer Spannbreite zwischen „Ablehnung, Übernahme und Christianisierung“ auf die paganen Traditionen (S. 221). Somit ist die Lektüre der Arbeit Zillings gewinnbringend für das Verständnis der kulturellen Basis, auf der das Christentum wachsen konnte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Theofried Baumeister, Die Entstehung der Heiligenverehrung in der Alten Kirche, in: ders., Martyrium, Hagiographie und Heiligenverehrung im christlichen Altertum, Freiburg 2009, S. 233–250, hier 234. Zuerst erschienen in: Gerhard Ludwig Müller (Hrsg.), Heiligenverehrung – ihr Sitz im Leben des Glaubens und ihre Aktualität im ökumenischen Gespräch, München 1986, S. 9–30.
2 Auf diese Besonderheit haben hingewiesen: Marion Meyer / Ralf von den Hoff, Helden wie sie – Helden wie wer? Zur Einführung, in: dies. (Hrsg.), Helden wie sie. Übermensch – Vorbild – Kultfigur in der griechischen Antike, Freiburg im Breisgau 2010, S. 10–11. Dieser Sammelband hat Zilling wahrscheinlich noch nicht vorgelegen. Hierin finden sich unter anderem auch Beiträge zu Odysseus und zu hellenistischen Heroenkulten.

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