K. Harper: Slavery in the Late Roman World

Cover
Titel
Slavery in the Late Roman World, AD 275-425.


Autor(en)
Harper, Kyle
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 611 S.
Preis
£ 85,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Schipp, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Eigentlich hat sich in der Forschung schon in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrtausends immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Sklaverei in der Spätantike fortbestand. Nicht zuletzt zeugt die Erweiterung der Freilassungspraxis um die manumissio in ecclesia von der anhaltenden Bedeutung der Sklaverei auch nach der Krise des 3. Jahrhunderts. Nachdem Moses Finley zu Recht feststellte, dass die Sklaverei in der Spätantike nicht gänzlich durch andere Formen der Unfreiheit (etwa dem Kolonat) ersetzt worden sei, und Hermann Nehlsen die Fortführung der Sklaverei im Frühmittelalter nachwies1, kann auf Grundlage der seit diesen Studien erschienenen Einzeluntersuchungen eine Synthese der Sklaverei in dieser Epoche verfasst werden.

Kyle Harper hat sich in seiner nun publizierten Dissertation die nicht wenig ambitionierte Aufgabe gestellt, die Sklaverei in der Spätantike darzustellen. Schon im Titel wird die Studie jedoch auf den Untersuchungszeitraum von 275–425 n.Chr. eingeschränkt. Als Begründung wird lediglich auf das lange 4. Jahrhundert verwiesen, in dem die Sklaverei eine „vigorous institution“ geblieben sei (S. 3f.), was wohl so verstanden werden darf, dass Harper vom Fortbestand einer Sklavenhaltergesellschaft in der Spätantike ausgeht (so auch S. 60f.). Im Weiteren verweist er dann auch auf die christlichen Autoren, die diese Auffassung zu bestätigen scheinen. Diese Einsicht ist aber nicht neu:2 Erst im Übergang zum Frühmittelalter veränderte sich das Institut der Sklaverei grundlegend. Gleichwohl kann Harpers Darstellung verschiedener Aspekte der Sklaverei in der Spätantike durchaus Anregungen liefern.

Das Werk ist in drei Teile gegliedert, welche nochmals in je vier Kapitel untergliedert werden. Zuerst behandelt Harper ökonomische Aspekte der Sklaverei. Es wird der Nachweis geführt, dass der Sklavenbestand trotz des nachlassenden Zustroms von versklavten Kriegsgefangenen hoch geblieben ist. Die Sklaven kamen in der Spätantike aus dem eigenen Bestand (S. 69–78), wurden importiert oder durch Raub und Selbstversklavung generiert (S. 78–99), so dass noch immer jeder Sklavenhalter eine gewisse Anzahl an Sklaven besaß. Dies rechnet Harper detailliert vor und stellt seine Ergebnisse in kleinen Tabellen anschaulich zusammen (so etwa zur Quantifizierung der Haushalte, S. 59, oder zum Sklavenbestand auf Thera, S. 75). Die Tätigkeitsbereiche, in denen Sklaven nachgewiesen werden können, zählt Harper im dritten und vierten Kapitel auf (S. 100–200). Er unterscheidet dabei Sklaven in privaten Haushalten von Sklaven im produzierenden Gewerbe (am Beispiel der Textilproduktion) und von Landwirtschaftssklaven. Die Ergebnisse dieser Analyse bilden im zweiten Teil die Grundlage für die Einschätzung des Verhältnisses von Herr und Sklave.

In Auseinandersetzung mit den Modellen von Moses Finley (S. 149) und Walter Scheidel (S. 150) und als Zusammenfassung seiner Ergebnisse entwickelt Harper ein eigenes Modell, das die Institution Sklaverei in der Spätantike abbildet (S. 152). Die bereits untersuchte und dargestellte Generierung der Sklaven, die Nachfrage nach Sklavenarbeit, die gesetzliche Reglementierung des Arbeitsmarktes und die institutionelle Dynamik der Arbeitsverhältnisse und -bedingungen bilden die Parameter seines Modells. Die Abgrenzung zum Kolonat kann indes nicht überzeugen, da Harper von unzutreffenden Annahmen ausgeht: Der Kolonat wird von Harper als ein Produkt der Reformen Diokletians und Konstantins angesehen; er habe fiskalische Ursachen gehabt (S. 153f.). Der Kolonat war aber eher ein Ergebnis der Gesetzesentwicklung im 4. Jahrhundert.3 Das erste Gesetz zum Kolonat von Konstantin dem Großen aus dem Jahr 332 (Cod. Theod. 5,17,1) bildete nicht das Ende einer progressiven Entwicklung, sondern den Beginn einer restriktiven politischen Haltung der Kaiser gegenüber den Kolonen, was schließlich Ende des 4. und Anfang des 5. Jahrhunderts zum Kolonat (mit Standesbindung, Bodenbindung und eingeschränkter Vermögensfähigkeit) führte. Während der gleichen Zeitspanne veränderten sich, wie Harper zutreffend beschreibt (S. 144–200), die Verhältnisse für Sklaven, vor allem in der Landwirtschaft. Diese Aussage könnte man etwa noch mit einem Vergleich der kaiserlichen Gesetze zur Flucht von Kolonen und Sklaven belegen, zwischen denen in dieser Hinsicht kaum noch ein Unterschied bestand.4

Der zweite Teil ist dem Verhältnis von Sklave und Herr gewidmet (S. 203–348). Neben dem Einfluss der fortschreitenden Christianisierung werden die Methoden der Herrschaftsausübung über die Sklaven untersucht. Dabei stellt Harper fest, dass die Art der Sklavenarbeit entscheidenden Einfluss auf die Methode der Beherrschung und das Binnenverhältnis Sklave-Herr hatte. Weitere Faktoren, die ein bestimmtes Beherrschungsmuster zur Folge hatten, waren Raum und Geschlecht. Der christliche Einfluss sorgte nicht für stabilere Familienverhältnisse unter den Sklaven, weswegen dessen Auswirkung auf die Sklaverei wohl eher gering zu veranschlagen ist. Das Wohlergehen der Sklaven hing auch in der christlichen Spätantike nur von der Gnade des Herrn ab. Allerdings wurden Sklavinnen weitaus seltener sexuell ausgenutzt, da eine Tendenz zur Monogamie bestand. Harper vermeidet es, in diesen Fragen die vergangenen Debatten um eine moralische Bewertung der Sklaverei fortzuführen. Es geht ihm nicht darum nachzuweisen, wie schlecht die römische Sklaverei gewesen sei, er ist vielmehr an den zugrunde liegenden Gestaltungsoptionen und deren Auswirkungen auf das Leben der Sklaven interessiert. Ob eine solche Einsicht bereits bei Moses Finley vorhanden gewesen ist, wie Harper glaubt (S. 246), sei dahingestellt.

Im dritten Teil untersucht Harper verschiedene Rechtsfragen: Bürgerrecht und Sklavenstatus in der Zeit nach der Constitutio Antoniniana, Kindesaussetzung und Versklavung von Kindern sowie besondere Formen der Freilassungspraxis in der Spätantike und die Rechte der Freigelassenen (S. 351–493). In der Zeit Diokletians habe sich der personenrechtliche Status der Bürger und der Sklaven nicht verändert, da sich der Kaiser in seiner Gesetzgebungstätigkeit eher rechtskonservativ zeige, wie aus den Inschriften von Leukopetra und den Reskripten Diokletians hervorgehe (S. 367–390). Erst mit Konstantin habe sich die Gesetzgebung bezüglich der Sklaverei aus pragmatischen Gründen gewandelt (S. 391–423). Vor allem die Gesetze zur Versklavung ausgesetzter Kinder hätten die sozialen Verhältnisse berührt. Befördert worden sei diese Gesetzgebung durch die miserable Wirtschaftslage, so dass ökonomische Gründe für diese Gesetze angeführt werden können. Im elften Kapitel analysiert Harper die ehe- und kindschaftsrechtlichen Folgen von Sklavenbeziehungen (contubernia). Die Rechtsstellung von Sklavenkindern wie auch die Beziehung von freien Frauen mit Sklaven (unter dem besonderen Rechtsinstitut des senatus consultum Claudianum) sowie die umgekehrte Konstellation werden auf der Grundlage der umfangreichen Forschungsliteratur diskutiert. Etwas zu kurz kommen hierbei die einschlägigen deutschsprachigen Untersuchungen, die nur en passant erwähnt werden (S. 439, Anm. 91, S. 443, Anm. 110 u. S. 452, Anm. 168). Die Analyse der Gesetzesänderungen wird durch eine Erörterung der Freilassungspraxis und der Rechte der Freigelassenen abgeschlossen. Harper kommt hierbei zu dem Schluss, dass die von Konstantin eingeführte manumissio in ecclesia die Freilassungspraxis nicht, wie man meinen könnte, revolutioniert habe; man habe lediglich in den Bischöfen Mittler der Freilassung gewonnen. An den dreigegliederten Untersuchungsteil schließt sich eine Zusammenfassung und zwei instruktive Appendizes an (S. 497–523): eine Liste der Sklavenerwähnungen im Codex Hermogenianus und eine Begriffsbestimmung des Terminus oiketes, hinter dem sich nichts anderes als Sklaven verbergen. Abgeschlossen wird der Band mit einem Editionsverzeichnis und einer umfangreichen Bibliographie sowie einem hilfreichen Sachindex.

Die Untersuchungsergebnisse der theoretischen Erörterung sind kritisch zu hinterfragen, da doch ein gewisser Vorbehalt bezüglich der Allgemeingültigkeit der Quellenaussagen besteht. Ohne auf die disparate Quellenlage einzugehen, werden Kaiserkonstitutionen und Aussagen von christlichen Autoren ebenso herangezogen wie lokale Befunde – so beispielsweise ägyptische Papyri, Inschriften von Lesbos, Tralles und Thera. Hier wird die Forschung im Detail prüfen müssen, ob Harpers Aussagen Bestand haben können. Außerdem sind das Modell und einzelne Thesen Harpers auf dieser Grundlage als problematisch anzusehen, da Annahmen getroffen werden, die weder hermeneutisch noch quantitativ abgesichert werden können: So kann der Befund in den ägyptischen Papyri wohl kaum auf das ganze Imperium übertragen oder die Zahl der Sklaven in der Spätantike ausreichend zuverlässig beziffert werden, zumal die Relation zu anderen Bevölkerungsgruppen völlig ungewiss bleibt.

An dieser Stelle konnten nur einige der vielen Untersuchungsergebnisse des inspirierenden und umfangreichen Bandes angesprochen werden. Harpers Werk ist gut lesbar, und es fehlen auch nicht einige unterhaltsame Passagen (zum Beispiel S. 248). Es dürfte jedoch deutlich geworden sein, dass hier keine Geschichte der spätantiken Sklaverei vorliegt, wie der Titel suggeriert. Dennoch ist der Versuch einer möglichst umfassenden Darstellung der Sklaverei in der Spätantike zu begrüßen – dies umso mehr, als sich die deutschsprachige Sklavereiforschung vor großen Synthesen scheut und in Spezialstudien verliert.5 Zudem werden die vielen Einzelaspekte der Untersuchung Harpers zweifellos die notwendige weitere Auseinandersetzung mit dem Gegenstand befördern.

Anmerkungen:
1 Moses I. Finley, Ancient Slavery and Modern Ideology, New York 1980 und Hermann Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter. Germanisches und römisches Recht in den germanischen Rechtsaufzeichnungen, Bd. 1: Ostgoten, Westgoten, Franken, Langobarden, Göttingen 1972.
2 Zuletzt zusammenfassend Keith Bradley, Art. „Sklaverei, chronologisch, Late Antiquity“, in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei, 2. Lieferung, Stuttgart 2008.
3 Vgl. zuletzt Oliver Schipp, Der weströmische Kolonat von Konstantin bis zu den Karolingern (332–861), Hamburg 2009, S. 255.
4 Vgl. Heinz Bellen, Studien zur Sklavenflucht im römischen Kaiserreich, Wiesbaden 1971.
5 Einzige Ausnahme in jüngster Zeit ist ein Studienbuch von Elisabeth Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt, Hildesheim 2009; vgl. zu den Schwächen des Werkes die Rezension von Josef Fischer, in: Gymnasium 117 (2010), S. 616f.

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