G. Woolf: Tales of the Barbarians

Cover
Titel
Tales of the Barbarians. Ethnography and Empire in the Roman West


Autor(en)
Woolf, Greg
Reihe
Blackwell Bristol Lectures on Greece, Rome and the Classical Tradition
Erschienen
Chichester 2011: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
VIII, 168 S.
Preis
£ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Scherr, Internationales Graduiertenkolleg „Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert“, Frankfurt am Main / Innsbruck

Spätestens seit dem Erscheinen seines Werkes „Becoming Roman“1 kann Greg Woolf als Experte für die Geschichte der Barbaren gelten. Mit seiner neuesten Monographie zur antiken Ethnographie über die Völker im Raum der westlichen Hälfte des Imperium Romanum setzt er die Arbeit auf diesem Gebiet in gewisser Weise fort und befasst sich nun zentral mit den Geschichten der Barbaren und denen über die Barbaren.

In einer kurzen, recht essayistisch beginnenden Einleitung (S. 1–7) schildert Woolf klar sein Vorhaben und ordnet dieses knapp in die Forschungslandschaft ein. Die Arbeit soll, so Woolf, als Untersuchung der „creation of new histories in the Roman West“ verstanden werden; in diesem Sinne fasst er Ethnographie als „new knowledge, and the process by which it was created“ (S. 3). Mithilfe exemplarischer Quellenanalysen und unter Heranziehung des aus der Kolonialismusforschung stammenden Konzepts des „middle ground“ will Woolf verständlich machen, wie und unter welchen Umständen antike Schriftsteller wie Strabon, Diodor und Plinius der Ältere sich und ihren Lesern ein Bild von den Barbaren machten und wie und wo das Material zustande kam, auf dem solche literarischen Berichte aufbauen.

Das erste der vier Hauptkapitel („Telling Tales on the Middle Ground“, S. 8–31) erfüllt die Aufgabe, den Forschungsgegenstand, die wissenschaftliche Perspektive und die Besonderheiten der Quellen der Arbeit näher einzuführen. Ersteres bewältigt Woolf mittels einer exemplarischen Untersuchung der Beschreibung Nordafrikas durch den älteren Plinius (Nat. 5,1–30) im Unterkapitel „Pliny on Safari“ (S. 8–13). Daran schließt sich unter dem Titel „Ethnography, Ancient and Modern“ (S. 13–17) eine Problematisierung des Begriffs der Ethnographie und eine Abhandlung der jeweiligen antiken und modernen Konzepte in Abgrenzung zueinander an. Im darauffolgenden Unterkapitel „Getting to know the Barbarians“ (S. 17–19) legt Woolf den von ihm verfolgten Ansatz des „middle ground“ dar, den er aus einer Studie Richard Whites zur kulturellen Entwicklung im Gebiet der nordamerikanischen Großen Seen zwischen 1650 und 1815 adaptiert.2 Mit diesem Terminus wird „a relatively stable world created out of the fragments left over from unplanned consequences of […] expansion“ (S. 18) bezeichnet, in der Woolf die wichtigste Kontaktzone zwischen ‚barbarischer‘ und griechisch-römischer Kultur vermutet. In der Anwendung auf antike Verhältnisse krankt dieses Konzept von Beginn an daran, dass – wie Woolf auch konzediert (S. 19) – die Ergebnisse der Kontakte im „middle ground“ größtenteils nicht erhalten sind, sondern allenfalls durch Kompilationen wie Diodors „Bibliotheke“ oder Plinius’ „Naturalis Historia“ erschlossen werden können.

In den drei sich daran anschließenden Unterkapiteln „Domesticating the Keltoi“ (S. 19–24), „The Archaeology of Spain“ (S. 24–27) und „Native Wisdom?“ (S. 27–31) versucht Woolf darzulegen, inwieweit das Konzept des „middle ground“ auf antike Ethnographie anwendbar ist und wie wir uns den Prozess und die Ergebnisse der Schöpfung solch ‚neuen Wissens‘ in den Provinzen des Imperium Romanum vorzustellen haben. Eine wichtige erste Erkenntnis besteht hier darin, dass beide Seiten in gewisser Weise davon profitierten: „Telling stories on the middle ground was a process of gift exchange, one that created relationships of value to both sides, and in the process created new valuables, new cultural goods that might immediately be appropriated by others and put to new ends“ (S. 28). Im Kapitel „Explaining the Barbarians“ (S. 32–58) befasst sich Woolf mit antiken Erklärungsansätzen zur Frage, weshalb es Völker mit unterschiedlichen Eigenheiten gebe, und so zugleich mit Antworten auf die Frage, weshalb es die Barbaren gebe und woher sie kommen. Der Autor diagnostiziert für die antike ethnographische Literatur, dass diese in hohem Maße ‚theoriegeleitet‘ bzw. von bestimmten literarischen Topoi bestimmt, zugleich vielfach widersprüchlich und wirklichkeitsfern sei (Unterkapitel „A Plurality of Paradigms“, S. 32–38). Er begründet diese Eigenheiten einerseits mit der nicht auf praktische Anwendung gerichteten Darstellungsabsicht, andererseits mit dem fachlich-methodischen Stand und der ‚Wissenschaftskultur‘ der antiken Ethnographie insgesamt. Woolf identifiziert zwei zentrale Stränge der Erklärung regionaler bzw. ethnischer Eigenheiten, jenen genealogischer und den klimatischer, geographischer und astrologischer Ansätze. Entsprechend wird beiden ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Im ersten, „The Uses of Genealogy“ (S. 38–44), demonstriert Woolf anhand von Livius’ Version der gallischen Besiedlung Norditaliens, inwieweit das ‚genealogische Paradigma‘ Sinn und Ordnung in die Vorstellungswelt barbarischer Völker bringen konnte, indem sich diese in einen weiteren kulturellen Kontext einbetten konnten. Den Barbaren war es so durch die Herleitung der Herkunft ihres Stammes von einem der Gefolgsleute des Herakles möglich, sich unter neuen Bedingungen selbst neu zu verorten und auf diese Weise mit Hilfe ihrer griechischen oder römischen Gesprächspartner im ‚middle ground‘ Identitätskonstruktion zu betreiben. In „Geographical Understandings“ (S. 44–51) widmet sich Woolf dann sowohl astrologischen als auch klimatisch-geographischen Erklärungsansätzen für die Unterschiedlichkeit verschiedener Völker.

Unter dem Titel „Ethnography and Empire“ möchte Woolf in seinem dritten Hauptkapitel darlegen, wie stark die kaiserzeitliche Ethnographie ‚Kind ihrer Zeit‘ und Ergebnis ganz spezifischer Umstände ist. Er befasst sich im Unterkapitel „Greek Ethnographers and Roman Generals“ (S. 59–66) dazu mit dem Verhältnis zwischen griechischen Gelehrten und römischen Generälen, maßgeblich orientiert an seinem Fallbeispiel Scipio und Polybios. Er stellt fest, dass derartige Konstellationen „only one of a range of possible relationships between empire an ethnography“ seien und dass sein Fallbeispiel genaugenommen einen beinahe einzigartigen Ausnahmefall darstelle (S. 59f.). Eben darum beschäftigt er sich im folgenden Unterkapitel („The Libraries at the Centre of the World“, S. 66–72) mit der aus seiner Sicht weitgehend spontanen, ungeplanten Häufung der Anwesenheit griechischer Gelehrter und der zunehmenden Existenz größerer Bibliotheken in Rom seit der spätrepublikanischen Zeit. Woolf erklärt in diesem Kontext die Beschäftigung mit ethnographischen Themen zu einer weitgehend in Bibliotheken stattfindenden, der Welt des otium angehörenden Tätigkeit, die allerdings auf eine durch die Bildung und Expansion des Imperium Romanum stark veränderte Welt bezogen war. Mit „The World viewed from the Library“ (S. 72–79) vertritt Woolf diesen Standpunkt – den der weitgehenden Unabhängigkeit kaiserzeitlicher Ethnographie von realen Entwicklungen – noch einmal explizit und macht deutlich, dass Ethnographen wie etwa Strabon am besten als „orientated on a bookworld that did not quite coincide with the territorial reach of Rome“ gesehen werden sollten (S. 79). Im nun folgenden Unterkapitel „Wondering Generals“ (S. 80–88) setzt sich Woolf mit dem Verhältnis zwischen ethnographischer Information und territorialer Expansion auseinander und stellt zurecht fest, dass letztere lediglich ganz spezifische Arten von Information benötigte, die die zeitgenössische Ethnographie in dieser Art und Weise nicht liefern konnte und auch nicht liefern sollte, was er exemplarisch an der starken Differenz zwischen den Gallier- und Germanenexkursen Caesars und der restlichen Schilderung im „Bellum Gallicum“ darlegt.

Das letzte der vier Hauptkapitel, „Enduring Fictions“ (S. 89–117), ist der Entwicklung der „tales of the barbarians“ gewidmet, wie sie sich nach der von Woolf konzipierten Entstehung im „middle ground“ darstellte. Im Unterkapitel „Irreducible Barbarians“ (S. 89–94) befasst sich Woolf insbesondere mit der kontinuierten Barbarentopik in der ethnographischen Literatur der Prinzipatszeit und ihrer tendenziellen Unveränderlichkeit. Vor allem mit dem Hinweis auf narrative und literarische Notwendigkeiten begründet Woolf, dass sich hier ein zunehmend nur noch als schriftstellerische Fiktion bestehender Topos entwickelte, den er als „Rome’s permanent barbarian theme park“ tituliert. Die sich daraus ergebende Diskrepanz „between fabulous text and lived experience“ thematisiert Woolf anschließend in den Unterkapiteln „Further Variations“ (S. 95–98) und „Getting to know the Germans“ (S. 98–105). Im Zentrum seiner Erklärung für dieses Phänomen steht dabei die Feststellung, dass es das hauptsächliche Anliegen antiker Ethnographie gewesen sei, die ‚Anderen‘ verständlich zu machen. Dies habe aber viel eher zu einer Kategorisierung und Stereotypisierung als zu einem echten Kennenlernen der Barbaren geführt: „Writing peoples enshrines a moment of miscomprehension or wonder into text from which tropes emerge that have their own currency. Neither conquest nor cultural change completely effaced the tales first told of barbarians in the last generations of the republic.“ (S. 105) Dies versucht Woolf dann im folgenden Unterkapitel „A stratified Ethnography of Gaul“ (S. 105–111) am Beispiel des ethnographischen Exkurses über die Gallier in Ammians res gestae (Buch 15) zu veranschaulichen und zu untermauern. Woolf bemüht sich dabei zu zeigen, dass Ammians Gallienbild um Jahrhunderte veraltet sei und der Realität seiner Zeit keineswegs entsprochen habe und dass die Begründung für Ammians Textgestaltung in seiner Darstellungsabsicht und seiner Antizipation der Vorstellungen und Erwartungen seiner Leser zu suchen sei. Entsprechend liege der Sinn antiker Barbarentopik oftmals vorwiegend in literarischen bzw. ‚dekorativen‘ Motiven begründet – „it was the very diversity of barbarian stereotypes that gave them such staying power in an increasingly Roman world“ (S. 111). Weitere Überlegungen zur Langlebigkeit der Barbarentopik und anderer ethnographischer Motive sowie zu deren Nachleben bis in mittelalterliche Zeit beschließen zuletzt im Unterkapitel „The Fate of Myth“ (S. 111–117) das Werk.

Trotz eines insgesamt überaus positiven Eindrucks, den der Rezensent von Greg Woolfs neuer Monographie gewinnen konnte, verbleiben doch auch einige Kritikpunkte: Einerseits ist hier die Benennung der Kapitel – vor allem der zahlreichen Unterkapitel – anzuführen, die den Inhalt oft nicht wirklich erahnen lässt, sowie das Faktum, dass im Inhaltsverzeichnis des Buches nur die Hauptkapitel aufgeführt sind. Andererseits erstaunt die knappe, zuweilen wichtige Titel gerade aus der deutschsprachigen Forschung vernachlässigende Bibliographie, was angesichts dessen, dass ein Teil des Werks nach Woolfs eigener Angabe (S. 7) im Max-Weber-Kolleg an der Universität Erfurt entstanden ist, besonders überrascht.3 Dass Woolf es unterlässt, zentrale Begrifflichkeiten – insbesondere den Terminus des ‚Barbaren‘ – näher zu bestimmen und zu problematisieren, ist auch andernorts bereits kritisiert worden.4 Zumindest problematisch und zuweilen kontraproduktiv ist zudem, dass in diesem Buch Quellenzitate ausschließlich in englischer Übersetzung wiedergegeben werden, wobei Woolf allenfalls einmal selektiv Einzelbegriffe originalsprachlich danebenstellt. Schließlich seien noch einige Worte zur Gestaltung des Buchs verloren, die aber wohl nicht oder nur in geringem Umfang vom Autor zu verantworten ist: Das Buch hat Endnoten, was die Arbeit mit ihm ungemein erschwert. Die Gestaltung des Registers ist ebenfalls problematisch. Auf etwas mehr als drei Seiten wird ein überaus spärlicher und grober, ohne alle Hierarchisierungen oder auch nur Gliederungen auskommender „General Index“ geboten, der in dieser Machart nahezu überflüssig ist. Auch im Hinblick auf Druckfehler aller Art ist das Buch mit wenig Sorgfalt bearbeitet worden. Die genannten Punkte können aber den sehr positiven Gesamteindruck nicht ernstlich trüben. Die „Tales of the Barbarians“ werden insbesondere mit ihrer Anwendung des „middle ground“-Konzepts auf die antike Ethnographie zweifellos bei zukünftigen Arbeiten zur Ethnographie der Völker im westlichen Teil des Imperium Romanum berücksichtigt und bedacht werden müssen.

Anmerkungen:
1 Greg Woolf, Becoming Roman. The Origins of Provincial Civilization in Gaul, Cambridge 1998.
2 Richard White, The Middle Ground. Indians, empires and republics in the Great Lakes region, 1650–1815, Cambridge 1991.
3 Explizit genannt seien etwa folgende Arbeiten: Johannes Engels, Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia, Stuttgart 1999; Kurt Tomaschitz, Die Wanderungen der Kelten in der antiken literarischen Überlieferung, Wien 2002; Karl Christ, Römer und Barbaren in der hohen Kaiserzeit, in: Saeculum 10 (1959), S. 273–288; Gerold Walser, Rom, das Reich und die fremden Völker in der Geschichtsschreibung der frühen Kaiserzeit. Studien zur Glaubwürdigkeit des Tacitus, Basel 1951.
4 Vgl. die Rezension zu Woolf von M. Shane Bjornlie in: Bryn Mawr Classical Review 2011.07.45 (<http://bmcr.brynmawr.edu/2011/2011-07-45.html> [10.02.2012]).

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