M. Perraudin u.a. (Hrsg.): German Colonialism and National Identity

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Titel
German Colonialism and National Identity.


Herausgeber
Perraudin, Michael; Zimmerer, Jürgen
Reihe
Routledge Studies in Modern European History
Erschienen
London 2010: Routledge
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
$ 110,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Michels, Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen", Goethe-Universität Frankfurt

In der gegenwärtigen Beschäftigung mit der deutschen Kolonialgeschichte sind zwei Forschungsrichtungen auszumachen. Der eine, seit Ende der 1990er-Jahre bemerkbare Trend bezog seinen theoretisch-methodischen Boden aus den postcolonial studies und wandte sich der Ebene der Repräsentation des Kolonialen in den Metropolen zu.1 Der zweite ist die sich intensivierende Beschäftigung mit deutscher Kolonialgewalt, angestoßen durch die Kontinuitäsdebatten zwischen dem Holocaust und dem Völkermord an den Herero.2 Der vorliegende Sammelband „German Colonialism and National Identity“ versammelt Beiträge einer Konferenz, die 2006 von den beiden Herausgebern Jürgen Zimmerer und Michael Perraudin an der University of Sheffield organisiert wurde. Der Anspruch der Konferenz und der jetzt gedruckten Beiträge war es, diese oben genannten Trends zu vereinen, also sich sowohl mit den realen als auch mit den imaginierten Kolonien zu beschäftigen. Weit ist auch der zeitliche Bogen, der von 1848 und der Paulskirche bis in die aktuelle Gegenwart gespannt wird. Diese postkoloniale Zeit wird nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Länder, die ehemals zu den deutschen Kolonien gehörten, betrachtet. Der breite Fokus lässt den Sammelband beinahe zu einem Nachschlagewerk für aktuelle Forschungen zur deutschen Kolonialgeschichte werden. Dabei fällt die Internationalität der Beitragenden ebenso positiv auf wie die Tatsache, dass die Beiträge sämtlich auf Englisch verfasst sind, was eine internationale Rezeption ermöglicht. Die in Deutschland stattfindende Forschung zeigt demgegenüber den Trend, sich schon allein aufgrund der gewählten Kommunikationssprache national abzuschließen. Die Kürze der insgesamt 22 Beiträge, die zwischen elf und 16 Seiten umfassen, ist dem Zweck eines solchen Panoramas durchaus dienlich.

Die Herausgeber, die das Werk konzise einleiten, organisierten die Beiträge in fünf Rubriken, die ganz grob einer chronologischen Gliederung folgen: So steht am Anfang: "Colonialism from before the Empire", wobei hier mit dem Beitrag von Kristin Kopp zu "Gray Zones: On the Inclusion of 'Poland' in the Study of German Colonialism" eher programmatisch die Frage gestellt wird, wie sich Kolonialismus im imperialen Sinne und die deutschen Vorstöße in den Osten vor allem in rhetorisch-ideologischer Hinsicht verbinden lassen. Im Abschnitt zu "Colonialism and Popular Utterance in the Imperial Phase" befinden sich mehrheitlich – und das ist vielleicht etwas ungewichtet – Beiträge, die sich mit Kolonialismus auf der Ebene der Repräsentation beschäftigen. Neben Beiträgen zur visuellen Darstellung von Schwarzsein und dem Hererogenozid (Volker Langbehn und David Ciarlo), bringt der Beitrag von Kenneth Orosz ein neues Thema auf, und zwar die Idee des "Kolonial-Deutsch" zur Kommunikation zwischen Deutschen und den Menschen in den Kolonien. Orosz interpretiert dies treffend als Ausdruck für die Unsicherheit, die die Deutschen in den Kolonien empfanden.

Der dritte Teil widmet sich "Colonialism and the End of Empire", in der die ehemaligen deutschen Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg von anderen Kolonialmächten verwaltet wurden. Der neue Trend der Forschung hier einen Bezug auf den Kolonialismus herzustellen, hat für diese Phase deutscher Geschichte das Ausmaß und die Breite nationaler Demütigung und des Traumas der Niederlage und des Verlustes der Kolonien veranschaulicht. Hier sind es die Beiträge von Michael Pesek zu den Kolonialhelden des Ersten Weltkriegs und der von Susann Lewerenz zur Dialektik der diskursiven Figuren des treuen Askari und des schwarzen Vergewaltigers, die dies exemplifizieren. Lewerenz' Beitrag ist der einzige, der auf die Präsenz von schwarzen Menschen in Deutschland und deren Position in Bezug zu den kursierenden Repräsentationen von Schwarzsein aufmerksam macht.

Im Teil zu "German Colonialism in the Era of Decolonization" werden heterogene Vergangenheitsbezüge in Bezug auf den deutschen Kolonialismus in der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt. Ingo Cornils macht auf anti-koloniale Aktivitäten in der 1968er-Bewegung aufmerksam, die sich beispielsweise in Hamburg auch mit dem deutschen Kolonialismus beschäftigten. Wolfgang Struck gelingt eine herausragende Analyse des im Jahr 2000 vom ZDF ausgestrahlten Films "Die Wüstenrose". Problematisch sei der Film, weil der soziale und geographische Kontext so bedrohlich für die weiße weibliche Protagonistin sei, deutliche Verweise auf den Genozid und koloniale Gewalt anwesend seien und dennoch die Erzählung zu einem guten Ende komme. So würden koloniale Phantasien, gerade mit Bezug auf Sexualität, weiter transportiert.

Im abschließenden Teil zu "Local Histories, Memories, Legacies" versammeln sich Beiträge zum Umgang mit deutscher Kolonialgeschichte in Afrika. Nicht unerwartet liegt dabei der Schwerpunkt auf Namibia. Reinhart Kössler verbindet dabei die Erinnerungspraktiken der Herero mit denen der Nama. Ebenso wie Henning Melber verweist er auf die Unzulänglichkeit des Umgangs offizieller deutscher Vertreter mit der deutschen Kolonialvergangenheit. Erweitert werden deren Artikel durch Dominik Schallers Bemerkungen zur Spirale der Gedächtnispolitik und der Gefahr einer Hierarchisierung des Leidens. Kontrastreich dazu liest sich der Beitrag von Dennis Laumann "Narratives of a 'Model Colony'. German Togoland in Written an Oral Histories". Zwar kommt auch er zu dem Schluss, dass die Bewertung der deutschen Kolonialzeit in Togo durch Historiker aus Togo (sowohl schriftlich als auch mündlich) abhängig davon ist, was die jeweilige Person erreichen möchte. Grundsätzlich jedoch sind die Geschichten ambivalent und widersetzen sich einer grundlegenden Bewertung als ‚gut‘ oder ‚schlecht‘. Abschließend wird von Arnd Witte die Rolle der Germanistik an afrikanischen Hochschulen betrachtet. Er verweist darauf, was Kolonialvergangenheit auch alltags-institutionell in Afrika heute bedeuten kann und welche Herausforderungen sich dadurch für Germanisten in Afrika, aber auch in Deutschland ergeben.

Tatsächlich veranschaulicht der Band das, was die Herausgeber im Vorwort und im Titel hervorheben: Die koloniale ist untrennbar mit der nationalstaatlichen Idee in Deutschland verknüpft, und dies gilt ebenso für die Nationalstaaten Afrikas, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Dass der thematische Zuschnitt zufällig ausfällt und große Lücken klaffen, kann dem Band nicht angelastet werden. Es ist im Gegenteil gerade seine Stärke, dass die Unvollständigkeit auffällt, um abzubilden, in welchen Bereichen Forschung momentan eher dicht ist (Zwischenkriegszeit, Repräsentation von Schwarzsein, Herero Genozid) und wo nicht. Der Leser und die Leserin des Bandes werden aus ihren jeweiligen Perspektiven vielfältige Anknüpfungspunkte finden.

Anmerkungen:
1 Sara Friedrichsmeyer / Sara Lennox / Susanne Zantop (Hrsg.), The Imperialist Imagination. German Colonialism and its Legacy, Ann Arbor 1998; Birthe Kundrus (Hrsg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt am Main 2001.
2 Jürgen Zimmerer, Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust, Berlin 2011; jüngst Susanne Kuß, Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 2010.

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