S. Wiggerich u.a. (Hrsg.): Staat Macht Uniform

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Titel
Staat Macht Uniform. Uniformen als Zeichen staatlicher Macht im Wandel?


Herausgeber
Wiggerich, Sandro; Kensy, Steven
Reihe
Studien zur Geschichte des Alltags 29
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
XV, 256 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas R. Hofmann, Leipzig

Uniformen scheinen als Teil der visuellen Kultur nicht länger in die Schmuddelecke des Militarismus oder der trivialen Knopfzählerei abgeschoben zu werden. Das Interesse der vorwiegend jungen Autorinnen und Autoren dieses aus einer Münsteraner Tagung von 2010 hervorgegangenen Bandes gilt selbstverständlich nicht vorrangig der deskriptiven Ebene. Vielmehr verstehen sie die Uniform als soziokulturelles Zeichen und Mittel der symbolischen Kommunikation. Unter diesem Aspekt steht die wissenschaftliche Forschung zur Uniformgeschichte noch ziemlich am Anfang.

Die Entschlüsselung der Semiotik von Uniformen berührt viele Felder der Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften. Grundsätzlich kommt die Unterscheidung zwischen Militär- und Ziviluniformen in den Sinn, die aber als Systematik nicht ausreicht, wie die Herausgeber Sandro Wiggerich und Steven Kensy in ihrer Einleitung darlegen. Denn einerseits stellen neuerdings die uniformierten Angestellten privater Söldnerunternehmen das militärische Gewaltmonopol von Staaten in Frage, andererseits gibt es staatlich besoldete, aber zivile Uniformierte, deren Bekleidung eine andere Aussage trifft als diejenige von Waffenträgern. Die deshalb von den Herausgebern vorgeschlagene Systematik von staatlichen und privaten Militäruniformen sowie staatlichen und privaten Ziviluniformen steht in der Realität einer Vielfalt von Misch- und Übergangsformen gegenüber. Lutz Untersehers an diese Überlegungen anschließendes „Tableau von Bedeutungen“ trägt jedoch eher zur Verwirrung bei, wenn er zwischen sechzehn Bedeutungsdimensionen von Uniformen in den vier „Sphären“ Staat, Gesellschaft, Organisation und Person unterscheidet. Insgesamt lassen die zwölf Beiträge ahnen, dass keine starre Systematik in der Lage ist, die Bedeutungsvielfalt von Uniformen in ihren konkreten historischen und soziokulturellen Zusammenhängen zu erfassen. Thematisch decken die Aufsätze eine große Bandbreite von Einzelaspekten der Uniformgeschichte vom frühen 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart ab.

Elizabeth Harding befasst sich mit den Adelsuniformen, die in den deutschen Ländern etwa seit 1770 eingeführt wurden, oft auf Initiative der adelsständischen Korporationen selbst. Harding arbeitet überzeugend heraus, dass die soziokulturelle Bedeutung diesen Uniformen nicht inhärent war, sondern ihnen erst in den zeitgenössischen Diskursen zugewiesen wurde. Diese Diskurse betonten etwa den Wunsch, sich gegen das in die Vertretungen des gutsbesitzenden Adels drängende Bürgertum abzugrenzen oder aber ein Selbstverständnis als dem Staat dienender Stand symbolisch zu kommunizieren. Ellinor Forster zeigt am Beispiel der während der napoleonischen Kriege von Bayern annektierten Gebiete Tirol, Hohenems und Castell, wie der König durch die Einführung der Beamtenuniform seinen Herrschaftsanspruch geltend zu machen versuchte. Aber auch in den bayerischen Stammlanden waren Zivil- und Militäruniformen nicht sofort als obrigkeitliches Zeichen durchgesetzt. Diese Bedeutung musste den Untertanen erst in einem längeren Aushandlungsprozess vermittelt werden, wie Jochen Ramming für den Vormärz zeigt. Bereits nach der Julirevolution wurde in Bayern die Zivilbeamtenuniform gezielt militarisiert, um die Autorität des Staates durch die öffentliche Präsenz seiner Amtsträger besser zur Geltung zu bringen.

Ngozi Okidegbe führt in ihrem Beitrag die Schwierigkeiten vor, auf die die Einführung einer uniformierten Polizei nach Londoner Vorbild im New York der 1840er- und 1850er-Jahre stieß. Die zeitgenössischen Kritiker befürchteten, dass eine uniformierte Polizei ähnlich der stehenden Armee von der Exekutive als Repressionsinstrument missbraucht werden könnte. Bis heute, so Okidegbe, bestehe die „ambiguous relationship“ fort, in der sich die amerikanische Polizei sieht, die einerseits staatliches Exekutivorgan, andererseits durch die lokale Community legitimierte Ordnungsmacht ist. Daran knüpft Elisabeth Hackspiel-Mikosch mit ihrer These an, dass die seit 2003 in der Bundesrepublik nach amerikanischen Vorbildern eingeführten neuen Polizeiuniformen möglicherweise ein dem härter werdenden sozialen Klima angepasstes Einschüchterungspotential entfalten sollen. In der Geschichte der deutschen Polizei habe es seit ihren Anfängen in den 1830er-Jahren ein von dem jeweiligen politischen Regime abhängiges Wechselspiel zwischen bürgernäheren (oft grünen) und eine größere ordnungspolitische Autorität ausstrahlenden, stärker an das Militär angelehnten (oft blauen) Uniformen gegeben.

Carmen Winkel zeigt anhand der preußischen Armee des 18. Jahrhunderts, wie sich die Uniform zum Statussymbol mit einer großen Bedeutungsvielfalt entwickelte, das sowohl der innermilitärischen Differenzierung als auch der Abgrenzung gegenüber der Zivilbevölkerung diente. Alexander Querengässer beschreibt die seit 1810 unter französischem Einfluss vorgenommene Reform der sächsischen Armeeuniformen. Sandro Wiggerich exemplifiziert an der Entwicklung des preußischen Militärzopfes im 18. Jahrhundert und den für die Bundeswehr geltenden Vorschriften zur Haartracht, dass auch der „Körper als Uniform“ verstanden werden kann, weil sich der Staat den Zugriff auf die Körper seiner uniformierten Bediensteten vorbehält. Schließlich befasst sich Christian Senne mit dem „Gibraltar-Ärmelband“, das der hannoversche Kurfürst und englische König Georg III. 1784 an die an der Verteidigung der Mittelmeerfestung beteiligten Truppen seines Stammlandes verlieh. Kaiser Wilhelm II. stiftete 1901 das Ärmelband neu für die hannoverschen Traditionsregimenter, um symbolisch die Beilegung der Welfenfrage und die innere Konsolidierung der deutschen Gesellschaft unter seiner Herrschaft zum Ausdruck zu bringen.

Die zwei abschließenden Beiträge befassen sich mit Gebrauch und Bedeutung von Uniformen in kommunistischen Systemen. Elena Huber stellt die Uniformierung der frühen Roten Armee vor, die symbolisch die Abkehr von zaristischen Traditionen ebenso wie revolutionären Elan ausdrücken sollte, allerdings aufgrund von Versorgungsengpässen auf Improvisationen angewiesen blieb. In einem unpassenderweise mit „Zivilgesellschaft“ überschriebenen Abschnitt beschreibt die Autorin daneben die Entwicklung der sowjetischen Zivilmoden bis zu den frühen 1930er-Jahren, in denen sich trotz aller Kritik an „bourgeoisen“ Verhaltensweisen immer wieder der Wunsch nach modischem Individualismus gegen Uniformierungsversuche in den Massenorganisationen Bahn brach. Dieser Beitrag hätte in dem ansonsten zufriedenstellend redigierten Band eine gründliche muttersprachliche und möglichst auch slawistisch-osteuropawissenschaftlich informierte Überarbeitung verdient. Besonders ärgerlich sind kostüm- und uniformkundliche Missgriffe (was sind „Bastschuhe aus Leder“?, S. 211). Schließlich führt Marc Zivojinovic am Beispiel der Ikonographie des Josip Broz Tito vor, wie sich in dessen Verwandlung vom schlicht uniformierten Partisanenkommandeur der frühen Kriegsjahre in den aufwendiger ausstaffierten „Marschall Jugoslawiens“ die Anfänge des Personenkults sowie Macht- und Herrschaftsanspruch symbolischen Ausdruck verschafften.

Die Fülle der für die weitere Forschung an der Uniformierung als symbolischer Kommunikation interessanten Beobachtungen und Thesen kann hier nur angerissen werden. Ein für einen Tagungsband keineswegs selbstverständliches Personen-, Orts- und Sachregister erleichtert die Orientierung. Dennoch sollen am Schluss noch einige kritische Bemerkungen angeschlossen werden. Die Schwarzweißabbildungen im Textteil sind großteils von schauderhafter Qualität und lassen keine Details erkennen. Dieser Mangel wird von den wenigen Farbtafeln am Schluss, von denen zudem mehrere bereits abgedruckte Schwarzweißabbildungen doppeln, nicht ausgeglichen. Hier ist an falscher Stelle gespart worden – eine unbefriedigende Bildausstattung in einem Band zur visuellen Kultur lässt die Ausführungen buchstäblich unanschaulich, besonders längere Beschreibungen wirken dadurch steril. Mein Hauptkritikpunkt ist jedoch inhaltlich-methodischer Art. Zu Recht verweisen die Herausgeber wie verschiedene der Beiträgerinnen und Beiträger darauf, dass die Zeichenhaftigkeit der Uniform nicht als eindeutige Bedeutungszuweisung missverstanden werden darf, etwa so wie wir Verkehrszeichen verstehen. Wie Harding, Hackspiel-Mikosch und andere betonen, müssen schriftliche Quellen als Hilfsmittel herangezogen werden, um die durchaus widersprüchlichen und wandelbaren Rezeptionsweisen durch die Zeitgenossen zu ermitteln. Im Widerspruch dazu legen manche der Beiträge an ihren Gegenstand jedoch a priori ein interpretatorisches Raster an, das genauerer Überprüfung nicht standhält. Das führt gelegentlich dazu, dass dieser Gegenstand gegen die Realitäten an das Interpretationsschema angeglichen wird. Zwei Beispiele unter zahlreichen seien genannt: Der Übergang der Uniformierung von der Armee des Ancien Régime zu derjenigen des revolutionären Frankreich vollzog sich weit weniger abrupt und viel evolutionärer, als uns Alexander Querengässer glauben machen will. Überdies waren die sächsischen Uniformänderungen von 1810 keineswegs eine simple Übernahme des „revolutionären“ französischen Vorbildes, sondern nahmen umgekehrt Bekleidungsreformen vorweg, die im napoleonischen Frankreich erst zwei bis drei Jahre später umgesetzt wurden. Auch die angeblich so bürgernahe Uniform der Weimarer Polizei war keineswegs eine Abkehr vom militärischen Bekleidungsstil der wilhelminischen Polizei, sondern übernahm mit Elementen der Uniform der Jägertruppen unübersehbar ihrerseits Bestandteile des militärischen Vorbilds (Waffenrock, Stiefel und Tschako). Die Uniformkunde ist ein recht schwieriges Spezialistengeschäft, das nicht weniger Genauigkeit erfordert als jede andere historische Disziplin – ein nachlässiger Umgang damit könnte dazu führen, dass die früher so belächelten Knopfzähler ihrerseits einmal Grund finden, über die akademischen Historiker zu lachen.