W. Mathiak: Das preußische Einkommensteuergesetz

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Titel
Das preußische Einkommensteuergesetz von 1891 im Rahmen der Miquelschen Steuerreform 1891/93.. Vorgeschichte, Entstehung, Begleitgesetze, Durchführung


Autor(en)
Mathiak, Walter
Reihe
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 41
Erschienen
Anzahl Seiten
441 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhold Zilch, Arbeitsstelle "Preußen als Kulturstaat", Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Der umfangreiche Band greift mit dem preußischen Einkommensteuergesetz von 1891 und den damit zusammenhängenden weiteren Bestandteilen der Miquelschen Steuerreform ein zentrales Thema der Finanzgeschichte des Wilhelminischen Deutschlands auf. Der mit mehreren Arbeiten1 zur Steuergeschichte des 19. Jahrhunderts bekannt gewordene Walter Mathiak muss sich daran messen lassen, was er über die inzwischen zum Standardwerk gewordene über 1000seitige Monographie von Andreas Thier zu den "Staatssteuerreformen in Preußen 1871–1893"2 hinaus bringt. Mathiak ist sich dieser Herausforderung bewusst, nennt Thiers Arbeit "monumental" (S. 31), betont jedoch, vor allem in den Abschnitten zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes von 1891 und seinen Nebengesetzen Neues zu bieten. Damit reduziert sich der nach Selbsteinschätzung des Autors weiterführende Textanteil aber im Wesentlichen auf die Seiten 186 bis 213 und 317 bis 370.

Die Gliederung folgt minutiös und vor allem anhand der Stenographischen Berichte des Abgeordnetenhauses sowie des Herrenhauses einschließlich der Drucksachen dem mehrstufigen Gesetzgebungsprozess. In der Einführung werden nicht nur Johannes (von) Miquel biographisch vorgestellt und das in Preußen bis 1891 geltende Steuerrecht skizziert, sondern mit Ausführungen über die grundsätzliche Haltung Bismarcks zu Steuerfragen sowie zum Gesetzgebungsverfahren und Parteiengefüge wichtige Grundlagen für das Nachfolgende fixiert. Kapitel II behandelt die Entwicklung der Einkommensteuer von 1869 bis 1890 unter Einbeziehung verschiedener Reformversuche. Das dritte Kapitel hat die Entstehung des Einkommensteuergesetzes von 1891 zum Gegenstand. Die Detailgenauigkeit geht so weit, dass die Debatten im Abgeordnetenhaus zu einzelnen Paragraphen wie zum Beispiel denen über die Steuerbefreiungen in der ersten und dann, mit mehreren Seiten Unterbrechung, nochmals anlässlich der zweiten Lesung referiert werden. Verwunderlich wirkt es, wenn die häufigen Aktenbelege zu ungedruckten Dokumenten im Geheimen Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Regel mit einem Verweis auf Thier verbunden sind und anscheinend nicht auf einem selbständigen Aktenstudium beruhen. Auch die einschlägigen Protokolle des Preußischen Staatsministeriums wurden wohl nur anhand der Regestenedition3 benutzt. Zusammen mit einigen anderen Standardwerken diente diese Edition weiterhin als Basis für die erfreulicherweise zu den meisten Hauptakteuren mitgeteilten Kurzbiographien, wobei zusätzliche Informationen zu den Beweggründen der von diesen Personen in der Steuerfrage eingenommenen Positionen wünschenswert gewesen wären.

Das vierte Kapitel behandelt die Zeit zwischen den beiden Steuerreformstufen 1891/93. Mathiak beschreibt hier, auch aus seiner früheren Berufserfahrung als Richter am Bundesfinanzhof schöpfend, die praktische Umsetzung des Gesetzes von 1891. Mit großer Sach- und Detailkenntnis zeigt er, dass Anweisungen des Finanzministeriums einige der durch die parlamentarischen Kämpfe entstandenen, nicht mit den Intentionen Miquels einhergehenden Nuancierungen im Gesetzestext modifizierten. Als wichtige, bisher von Thier und insgesamt in der Finanzgeschichtsschreibung nicht systematisch ausgewertete Quellen treten hier neben die Parlamentaria vor allem die "Mitteilungen aus der Verwaltung der Direkten Steuern im Preußischen Staate" sowie die gedruckten "Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts in Staatssteuersachen" seit 1893. Dieses sehr sperrige Material nutzbar gemacht zu haben, gehört zu den Verdiensten Mathiaks.

Zwei Unterabschnitte über die erste und zweite Veranlagung zur Einkommensteuer 1892/93 bieten sodann Gelegenheit, das Wirken der neuen Rechtsbestimmungen und die weitere Umsetzung in der Praxis zu analysieren. Dabei werden erstaunliche Angaben, die in keiner Weise mit dem landläufigen Bild der perfekt funktionierenden preußischen Bürokratie korrespondieren, über die gravierenden Probleme mitgeteilt, die vor allem in immerhin 312.473 Einsprüchen gegen die Steuereinschätzungen (S. 200) ihren Ausdruck fanden. Mathiak zitiert als Quelle besonders die Kölnische Zeitung, die Thier nicht herangezogen hat. Leider erfährt der Leser außer dem in einer Anmerkung versteckten Hinweis, dass dieses Blatt den "Nationalliberalen nahestand" und "eingehend für die umfangreiche Tagespresse zitiert" werde, "die die Steuerreform mit großem Interesse und Sachverstand begleitete" (S. 127, Anm. 35), nichts über die Gründe für die Auswahl dieses Organs. Hier wären weiterführende Informationen zur Stellung des wichtigen Blattes und der Rolle seines Berliner Korrespondenten Franz Fischer, dessen Aktivitäten schon von den Zeitgenossen genauer beobachtet wurden4, angebracht gewesen.

Auf Seite 203 findet der Leser endlich auch Angaben zu den finanziellen Erträgen aus den ersten beiden Steuerveranlagungen nach dem Gesetz von 1891. Bedauerlich bleibt, dass diese Zahlen und auch weitere, im Band verstreute Daten zwar knapp im Text genannt, jedoch nicht in Tabellen zusammengefasst werden, wofür zum Beispiel die amtliche, ab dem Finanzjahr 1892/93 veröffentlichte "Statistik der preußischen Einkommensteuer-Veranlagung" reichliches Basismaterial geboten hätte. Die inhaltlich weiterführende Frage, ob und wie die Ergebnisse des neuen Gesetzes durch die konjunkturelle Entwicklung beeinflusst wurden, wird nicht gestellt. Ebenso bleibt man im Unklaren darüber, ob der Ertrag in jenen Gemeinden, in denen es, wie Mathiak beispielhaft anhand zeitgenössischer Kritiken nachweist, Probleme bei der Steuerveranlagung gab, geringer war als in Kommunen, in denen die Umsetzung der neuen Rechtsbestimmungen reibungsloser verlief.

Das fünfte Kapitel behandelt die zweite Stufe der Miquelschen Steuerreform und ähnelt im Aufbau dem dritten. Eine vom Finanzministerium vorgelegte Denkschrift, die Mathiak genau an der jeweiligen Stelle im Ablauf des parlamentarischen Verfahrens bespricht, bietet die Gelegenheit, die bisherigen Ergebnisse der Steuerreform zu skizzieren. Leider wird die Chance nicht genutzt, diese offiziöse Darstellung auf ihren Wert zu prüfen und mit kritischen Stimmen aus der Öffentlichkeit zu konfrontieren; selbst die Stellungnahme der Abgeordnetenhauskommission zu der Denkschrift wird nur referiert und nicht um weiteres Material ergänzt.

Das Kapitel VI bietet mit einer geradezu enzyklopädischen Auswertung vor allem der Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts sowie von Verfügungen des Finanzministeriums eine detaillierte Analyse der Ausgestaltung der Steuergesetzlichkeit durch die Judikative von 1892/93 bis zur Jahrhundertwende. Doch auch hier wünscht sich der Leser mehr über die Auswirkungen der rechtlichen Veränderungen auf die Staatseinnahmen sowie die Lebenslage der Bevölkerung zu erfahren. Selbst die Angaben zu den konkreten Strafgeldern in einzelnen Steuerstrafverfahren, die Mathiak nennt, vermitteln etwas vom Zeitkolorit, das bei den auf die juristischen und finanztechnischen Fragen beschränkten Ausführungen des Bandes ins Hintertreffen gerät. Kapitel VII schließlich enthält einen gedrängten Überblick der Entwicklung der Einkommensteuergesetzgebung bis 1919/20. Ein hier zu findender abschließender Rückblick auf den Band ist mit gerade zwei Druckseiten zu knapp, um eine tiefergehende Zusammenfassung des Bandes zu bieten, der insgesamt einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt.

Anmerkungen:
1 Vgl. z. B. Walter Mathiak, Zwischen Kopfsteuer und Einkommensteuer: die preußische Klassensteuer von 1820, Karlsruhe 1999; ders., Das sächsische Einkommensteuergesetz von 1874/78: Entstehung und Durchführung; ders., Genese des Maßgeblichkeitsgrundsatzes, Dresden 2005.
2 Andreas Thier, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie. Staatssteuerreformen in Preußen 1871–1893, Frankfurt am Main 1999.
3 Vgl. Hartwin Spenkuch (Bearb.), Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38, Bd. 7 und 8; Reinhold Zilch (Bearb.), Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38, Bd. 9 und 10, Hildesheim 1999 / 2003.
4 Vgl. z.B. die mehrfachen Erwähnungen in: John C. G. Röhl (Hrsg.), Philipp Eulenburgs politische Korrespondenz, Bd. 1–3, Boppard am Rhein 1976-1983.

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