E. Heidenreich: Sakrale Geographie des Dschihad

Titel
Sakrale Geographie. Essay über den modernen Dschihad und seine Räume


Autor(en)
Heidenreich, Elisabeth
Reihe
Global Studies
Anzahl Seiten
325 S.
Preis
€ 27,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Shadia Husseini de Araújo, Institut für Geographie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,

Mit ihrem „Essay über den modernen Dschihad und seine Räume“ rekonstruiert Elisabeth Heidenreich technische, sakrale und seelische Räume islamistischer Terroristen. Dabei zeigt sie, dass die Terroristen entlang einer „religiösen Geopolitik“ handeln, die sie mit ihrer Untersuchung aufzuschlüsseln versucht. Entsprechend ihrer analytischen Kategorisierung von technischen, sakralen und seelischen Räumen ist ihr Werk in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil fragt Heidenreich nach „dem Wo des islamistischen Terrorismus“ (S. 8, Hervorhebung im Original) und nimmt das „islamistische Schlacht- und Operationsfeld“ (S. 9) in den Blick, in dem „alles das vertreten [ist], was seit vielen Jahrzehnten die moderne technische Lebenswelt prägt und heute weltweit mehr oder weniger dicht verbreitet ist“ (S. 9), wie beispielsweise moderne Verkehrs- und Kommunikationsmittel. Die durch diese Mittel und Einrichtungen konstituierten Räume versteht die Autorin als „beweglich“ (S. 9, Hervorhebung im Original), was dem Terroristen ermögliche, seinen „Feind von innen anzugreifen“ (S. 9, Hervorhebung im Original). Im zweiten Teil widmet sich Heidenreich dem, was sie „die sakrale Geographie des globalen Dschihad“ (S. 11) nennt, und stellt die Frage nach dem „Worum“ (S. 11, Hervorhebung im Original) des islamistischen Terrorismus in den Vordergrund. Damit zielt sie auf eine Rekonstruktion der „geistige[n] Landkarte“ (S. 11) der Terroristen ab, deren Logik die Autorin durch den Rückbezug auf die „Vorstellungen des mittelalterlichen Islam über den Kosmos“ (S. 12) bzw. „de[n] klassischen Hochislam“ (S. 77) zu erklären versucht. Im dritten Teil des Essays geht es um „das Wie“ (S. 15, Hervorhebung im Original) des „modernen Dschihad“ (S. 15), in dem „die seelisch-geistigen Innenräume des islamistischen Selbstmordattentäters erschlossen werden“ (S. 15) sollen. Ziel dieses Kapitels ist es, die Selbsttechniken des Terroristen zu beleuchten. Dazu unternimmt Heidenreich „eine längere Reise durch die weltlichen und religiösen Praktiken der Selbstveränderung […], die in der Antike beginnt und bis hinein ins 19. Jahrhundert führt“ (S. 15). Auf dieser Reise aufbauend entwickelt sie ein Schema verschiedener Selbsttechniken, in die sie „die überlieferten islamischen Praktiken“ (S. 15) einordnet und zur Erklärung der Selbsttechniken des Terroristen heranzieht. Das Buch schließt mit einem Nachwort des Soziologen Peter Waldmann, der die Arbeit zusammenfasst und kommentiert.

In der ganzen Flut an wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit islamistischem Terrorismus, die spätestens seit dem 11. September 2001 die Büchermärkte überschwemmen, bietet der Essay von Heidenreich insofern etwas Neues, als dass er den Aspekt der Raumkonstruktion auf unterschiedlichen Ebenen in den Vordergrund setzt. Anders als der Titel ihres Essays „Sakrale Geographie“ vermuten lässt, knüpft die Autorin jedoch in keiner Weise an die aktuellen raumtheoretischen Debatten in der Geographie an. Dadurch verbaut sie ihrer eigenen Arbeit nicht nur die Anschlussfähigkeit an die Geographie, sondern lässt auch einen ganzen Werkzeugkasten an konzeptionellen Ansätzen ungenutzt, mit dem sie ihre eigene Analyse stringenter hätte untermauern können. So operiert Heidenreich mit einem „sehr großzügig definierte[n] Raumbegriff“ (S. 316), wie es im Nachwort von Peter Waldmann heißt, der im Rahmen ihrer Analyse eine ganze Vielfalt an Raumkonzepten zu umfassen scheint, die jedoch nicht expliziert und systematisiert werden. Arbeiten wie das im Jahr 2009 erschienene Werk „Terror and Territory“ des Geographen Stuart Elden 1 hätten Heidenreich sicher helfen können, ihre raumtheoretischen Überlegungen im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus konzeptionell schärfer zu fassen.

Auch der Umgang mit islamwissenschaftlicher Literatur ist problematisch, denn Heidenreich bezieht einen Großteil ihrer Ausführungen über den Islam im Allgemeinen sowie über den so genannten „mittelalterlichen Islam“ (S. 12) bzw. „klassischen Hochislam“ (S. 77) im Speziellen auf ein Grundlagenwerk von 1944.2 Die Schwierigkeit darin zeigt sich nicht nur auf einer formalen Ebene des wissenschaftlichen Arbeitens, sondern insbesondere auch auf einer inhaltlichen. Während Heidenreich beispielsweise im Rekurs auf Hartmann 1944 „[d]ie sakrale Geographie des klassischen Hochislam“ (S. 77) in einem absolut vereinheitlichenden Duktus (nach)zeichnet und auch deren Logik als eindeutig ein- bzw. ausgrenzend beschreibt, stehen dem neuere wissenschaftliche Erkenntnisse diametral gegenüber. Beispielhaft erwähnt seien hier die Arbeiten des Islamwissenschaftlers Thomas Bauer über die „Kultur der Ambiguität“.3 Er vertritt darin die These, dass „islamische Kulturen“ vor ihren Modernisierungs- und Verwestlichungsprozessen – also das, was Heidenreich als „mittelalterlichen Islam“ oder „klassischen Hochislam“ bezeichnet – in hohem Maße ambiguitätstolerant waren und eben nicht die Logik der Eindeutigkeit, sondern die der Vielfalt entscheidend für die Gesellschaftsordnungen gewesen wäre.4 Vor diesem Hintergrund müsste die Rolle „des Westens“ in Heidenreichs Analyse eine sehr viel stärkere Berücksichtigung finden, als dies geschehen ist. Vermutlich wäre der Autorin die Unterbelichtung „des Westens“ und die Ausblendung seiner imaginativen Geographien 5 einerseits sowie die problematische Rückbindung des islamistischen Terrorismus auf einen „klassischen Hochislam“ andererseits nicht unterlaufen, wenn sie sich mit aktueller islamwissenschaftlicher Sekundärliteratur stärker auseinander gesetzt hätte.

Eng mit diesem Kritikpunkt zusammenhängend lässt sich der Autorin eine überkommene, essentialisierende Lesart „des mittelalterlichen Islam“ bzw. „des klassischen Hochislam“ 6 vorwerfen, die kaum Platz für Differenz und Vielfalt hat, durch und durch eurozentristisch ist und nicht reflektiert wird. Schon alleine der Begriff „mittelalterlicher Islam“ orientiert sich an einer europäischen Zeiteinteilung und führt Konnotationen des „europäischen Mittelalters“ mit sich, die in Bezug auf islamische Gesellschaften sowohl unangemessen erscheinen als auch wenig Erklärungsgehalt gegenüber islamischen bzw. aktuellen islamwissenschaftlichen Zeiteinteilungen bieten. Hinterfragbar ist in diesem Kontext auch die Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Erbsünde“ (S. 14) oder „Heilige Dreifaltigkeit“ (S. 85), die Heidenreich zur Beschreibung des Verhältnisses von „Gott, muslimische Gemeinschaft und Territorium“ (S. 85) im Islam nutzt.

Auf formaler Ebene ist neben einer unzureichenden Berücksichtigung geographischer und islamwissenschaftlicher Sekundärliteratur auch zu beanstanden, dass Übersetzungsarbeiten überhaupt nicht thematisiert werden. So werden Bin Laden und andere Terroristen auf Deutsch zitiert, ohne offen zu legen, woher die Übersetzungen aus dem Arabischen kommen und wie übersetzt wurde. Insbesondere weil deren Reden, bevor sie ins Deutsche übersetzt wurden, oftmals einen Umweg über das Englische und/oder das Französische hinter sich haben, sollte zumindest auf die Bedeutungsverschiebungen und die Problematiken, die mit den Hin- und Herübersetzungen einhergehen, hingewiesen werden. Bedauerlich ist ferner, dass nicht nur eine Darlegung der Transkriptionsregeln aus dem Arabischen in die lateinische Schrift fehlt, sondern auch, dass die Transkriptionen von zentralen islamischen Konzepten sowie von Gelehrtennamen, die Heidenreich anführt, häufig fehlerhaft sind. Dies betrifft unter anderem auch das islamische Glaubensbekenntnis sowie die Eröffnungsformel von 113 der 114 Koransuren (siehe bspw. S. 88).

Trotz aller Kritik bleibt festzuhalten, dass sich Elisabeth Heidenreich mit dem Fokus auf den Raum einem interessanten und wenig beleuchteten Thema im Forschungsfeld über den islamistischen Terrorismus widmet. Leider machen eine problematische Herangehensweise und eine fehlerhafte Umsetzung die Ergebnisse wenig fruchtbar für die Wissenschaft. Zu bezweifeln ist aus diesen Gründen auch, dass die Studie zum „besseren Verständnis“ islamistischer Terroristen beiträgt, so wie es Heidenreich verspricht. Vielmehr ist zu befürchten, dass die unsensible Verknüpfung von Islam und Terrorismus in dieser Arbeit den islamfeindlichen Ressentiments in Europa weiter in die Hände spielt.

Anmerkungen:
1 Stuart Elden, Terror and Territory. The Spatial Extent of Sovereignty, Minneapolis 2009, S. 33ff. Siehe auch: Stuart Elden, Terror and Territory, in: Antipode 39 (2007), S. 821-845.
2 Richard Hartmann, Die Religion des Islam, Berlin 1944.
3 Thomas Bauer, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011.
4 Thomas Bauer, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011, S. 15ff.
5 Nicht zuletzt hat Edward Said mit seinem Werk „Orientalism“ (1978) hier eine Schlüsselarbeit geleistet, auf die sowie auf deren Kritik und Weiterentwicklung sich Heidenreich hätte beziehen können.
6 Die Autorin klärt weder, was sie mit „Hochislam“ und „mittelalterlichem Islam“ überhaupt meint, noch berücksichtigt sie kritische Perspektiven, die eine Annahme von dem Islam und entsprechend dem „Hochislam“ als solchen ablehnen.

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