H. Flügel (Hrsg.): Briefe österreichischer „Mineralogen“

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Titel
Briefe österreichischer „Mineralogen“ zwischen Aufklärung und Revolution.


Herausgeber
Flügel, Helmut W.
Reihe
Scripta geo-historica 1
Erschienen
Graz 2009: Leykam
Anzahl Seiten
XVIII, 328 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kai Torsten Kanz, Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung, Universität zu Lübeck

Die Erschließung und Edition naturwissenschaftlicher Korrespondenzen gehört nach wie vor zu den Desideraten wissenschaftshistorischer Forschung. Der vorliegende Band ist dem Engagement des emeritierten Grazer Geologie- und Paläontologieprofessors Helmut W. Flügel zu verdanken, der sich mit viel Hingabe der Sammlung und Drucklegung der Briefe österreichischer „Mineralogen“ – worunter er „Geowissenschaftler“ im Allgemeinen versteht (S. ix, Anm. 1) – widmet. In der Epoche zwischen Aufklärung und Revolution, die zugleich eine zentrale Formationsphase der Geowissenschaften darstellt, sind es insgesamt acht Persönlichkeiten im Habsburgerreich, die diese Korrespondenznetzwerke aufgebaut haben: Ignaz von Born, Balsazar Hacquet, Sigismund Baron von Zois und Franz Joseph Müller von Reichenstein sind die vier bekannteren, wobei neben Zois und Hacquet noch Karl Erenbert Freiherr von Moll als die „Zentralfiguren“ (S. 3) bezeichnet werden.

Die vorliegende Briefausgabe enthält insgesamt 78 Briefe im Volltext, ferner 38 Schreiben in Auszügen; vorangestellt ist eine umfangreiche „Liste der Korrespondenzkontakte österreichischer Mineralogen“ (S. 10-22), die 212 Briefe nachweist, darunter auch einige nicht mehr existente. Chronologisch beginnt die Sammlung 1767 mit einem Schreiben Borns an Scopoli, und endet mit den Briefen von Joseph August Schultes an den Verleger Cotta 1820. Neben den Korrespondenzen der acht Hauptprotagonisten finden sich aber noch weitere Einzelbriefe, die sich in den geowissenschaftlichen Kontext an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert nahtlos einfügen. Flügels Klage, dass von einem Mann wie Müller von Reichenstein überhaupt nur zwei Briefe bekannt seien (S. xi), ist allerdings einem blinden Fleck seiner Recherche zuzuschreiben, denn allein seine fünf gehaltvollen Briefe mineralogischen Inhalts an Torbern Bergman (Hermannstadt 1783-1784) sind seit längerem ediert.1 Noch verwunderlicher ist es, dass hier nur zwei Schreiben von Hacquet an Albrecht von Haller mitgeteilt werden, während das Haller-Briefrepertorium insgesamt sieben Korrespondenzstücke nachweist.2 Einzelne Schreiben enthält auch die große Korrespondenz von Sir Joseph Banks.3 Weitere Briefe finden sich in bislang nicht herangezogenen Beständen, wie etwa Goethes Autographensammlung im Goethe- und Schiller- Archiv Weimar, die Schreiben unter Anderen von Born, Moll, Franz Ambros Reuß, Schultes und Zois umfasst.4

Die einzelnen Korrespondenten werden in einem einleitenden Abschnitt mehr oder minder ausführlich vorgestellt und die wesentlichen Briefinhalte referiert. Während Flügel sich mit Persönlichkeiten wie Born oder Hacquet gut auskennt und die entsprechenden Korrespondenzen ausführlich kontextualisiert, fehlt der Bezug zur durchaus vorhandenen Sekundärliteratur bei den Schreiben von Jean Hermann5 oder Johann Friedrich Wilhelm Widenmann6, dessen vier Reisebriefe (an Abraham Gottlob Werner) aus Ungarn hier unerwartet aber doch passend zu finden sind. Ein Teil der von Flügel vorgelegten Transkriptionen lässt sich mit im Internet verfügbaren Digitalisaten der Handschriften leicht überprüfen (so die Bestände aus Freiberg in Sachsen und aus Uppsala): Dabei zeigt sich die insgesamt große Zuverlässigkeit seiner Transkriptionen, die wenigen von ihm als unleserlich gekennzeichneten Stellen blieben auch dem Rezensenten unentzifferbar.

Flügels zusammenfassende Äußerungen gehen dahin, dass die mineralogischen Netzwerke denen der Botaniker glichen, dass viele Briefkontakte zwischen Mineralogen aufgrund von Tauschbeziehungen zustande kamen, dass es kein vergleichbares Netzwerk der Montanisten gab, und schließlich, dass durch die Abschottung der Monarchie „die in ihr tätigen Wissenschaftler an dem einsetzenden Umbau der République de lettres in eine globale Scientific community so gut wie keinen Anteil nahmen“ (S. 9). Auch sind nur wenige Auslandsreisen – etwa nach Frankreich – belegbar. Dass sich an dem einen oder anderen Brief Paradigmenwechsel in der Geologie belegen lassen, ist zu erwarten, doch insgesamt erscheint das präsentierte Material doch ein wenig zu heterogen, um hierauf allgemeingültige wissenschaftshistorische Schlussfolgerungen zur „Idee internationaler Netzwerke der Wissenschaft“ (S. 135) – die im Übrigen nicht erst damals entstanden – zu gründen.

Besonders beklagen muss man das mangelhafte Endlektorat dieses Bandes, dessen Titel auf dem Umschlag nicht mit dem Titelblatt übereinstimmt (dort „Briefe im Netzwerk“), der zuweilen irreführende Lagerorte angibt (die Staatsbibliothek zu Berlin ist nicht in Dahlem, vgl. S. 10) und Absendeorte nicht normiert (S. 201f.: Ljubljana/Laibach) und dessen umfangreicher (1516) Anmerkungsteil nicht frei von Redundanzen ist (auf S. 131 und 191 identisch), während das Quellenverzeichnis unvollständig bleibt (S. 303 fehlt der Hinweis, dass die Briefe von Hacquet an Haller in der Burgerbibliothek Bern/Schweiz liegen). Einige Eigennamen konnten aufgrund fehlerhafter Transkriptionen nicht im Personenregister identifiziert werden (Butlar lies: Bühler, Albrecht Christoph von; Onder lies: Oeder, Georg Christoph; Pasqui lies: Pasquay, Peter; Rills lies wohl: Hill, John; mit „May“ ist übrigens keine Person, sondern der Wonnemonat gemeint; Zach ist Franz Xaver von Zach).

Dieser kritischen Hinweise ungeachtet muss man dem Herausgeber sehr dankbar sein, dass er in einer Zeit, in der Briefeditionen im akademischen Bereich kaum noch angemessen gewürdigt und nur noch die ganz großen Namen wie Leibniz, Humboldt oder Schelling im Rahmen von Akademienvorhaben adäquat ediert werden, einen gewichtigen Beitrag zur Erschließung von weniger bekannten mineralogischen Korrespondenzen geleistet hat. Flügel hat mittlerweile selbst eine Reihe von weiteren Briefen oder Briefwechseln ediert7, die willkommene Ergänzungen zu diesem Band darstellen. Es ist zu hoffen, dass sich durch weitere Brieffunde ein noch facettenreicheres Bild der Genese der geowissenschaftlichen Disziplinen ergeben wird.

Anmerkungen:
1 Göte Carlid (Hrsg.), Torbern Bergmans Foreign Correspondence. Vol. 1: Letters from foreigners to Torbern Bergman (Lychnos-Bibliotek 23), Stockholm 1965, S. 265-278; auf S. 6-9 auch vier Briefe (1777-81) von Born an Bergman.
2 Urs Boschung u.a. (Hrsg.), Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724-1777. 2 Bde (Studia Halleriana VII/1-2), Basel 2002; Bd. 1, S. 411.
3 William R. Dawson (Hrsg.), The Banks letters, London 1958, S. 121 (Born, 1 Brief, 1791), S. 379 (Hacquet, 1 Brief, 1787), S. 737 (Schultes, 1 Brief, 1819).
4 Goethes Autographensammlung. Bearbeitet von Hans-Joachim Schreckenbach, Weimar 1961.
5 Vgl. Kai Torsten Kanz, Beckmanns Briefwechsel mit dem Straßburger Zoologen Johann Hermann (1738-1800) und dessen Beiträge zur „Physikalisch-ökonomischen Bibliothek“, in: Johann-Beckmann-Journal 7/1993 (1994), S. 5-24; dort mit weiteren Nachweisen zu Hermanns Korrespondenznetzwerk.
6 Vgl. Klaus Bauer, Johann Friedrich Wilhelm Widenmann (1764-1798) und Max Hermann Bauer (1844-1917). Das Leben und die Bedeutung der beiden Mineralogen, in: Württembergisch Franken 75 (1991), S. 215-263.
7 Helmut Flügel, Benedikt Hermanns Briefe an seinen Verleger Nicolai in den Jahren 1782 bis 1790, in: Mensch – Wissenschaft – Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 26 (2009), S. 75-91; ders., Benedikt Hermanns letzter Brief an Nicolai – ein Nachtrag, in: Ebd. 27 (2010), S. 165-166; ders., Joseph von Leithners Briefe an Sigmund Freiherr von Zois 1792-1800, in: Ebd. 28 (2011), S. 85-100.

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