P. Bormann u.a. (Hrsg.): Angst in den Internationalen Beziehungen

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Titel
Angst in den Internationalen Beziehungen.


Herausgeber
Bormann, Patrick; Freiberger, Thomas; Michel, Judith
Reihe
Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte 7
Erschienen
Göttingen 2010: V&R unipress
Anzahl Seiten
319 S., 2 Abb.
Preis
€ 46,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Biess, Department of History, University of California, San Diego

Dass die Geschichte der Emotionen Konjunktur hat, ist mittlerweile ein Gemeinplatz der neueren historischen Forschung und wird durch die wachsende Publikationsdichte in diesem Bereich immer wieder bestätigt. Es ist deshalb auch zu begrüßen, dass die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes sich der ambitionierten Aufgabe angenommen haben, die Geschichte der Emotionen mit der Geschichte der internationalen Beziehungen zusammenzuführen. Dies geschieht anhand einer inhaltlichen Fokussierung auf das Thema „Angst“ und greift somit einen Gefühlskomplex auf, der auch in der Emotionsgeschichte bisher die größte Aufmerksamkeit erhalten hat, gerade im Gefolge des 11. September 2001.

Auf diesen zeitgenössischen Kontext verweisen die Herausgeber/innen auch in der Einleitung, wo sie die wichtigsten neueren Forschungsergebnisse zur Emotionsgeschichte und zur Geschichte der Angst zusammenfassen sowie deren Relevanz für die Geschichte der internationalen Beziehungen eruieren. Angst als „Perzeptions- und Handlungsfaktor“ war und ist demnach nicht nur in Krisenzeiten oder Kriegen relevant, sondern „prägt zugleich auch in Friedenszeiten regelmäßig die internationalen Beziehungen“ (S. 15). Mit Rückgriff auf die Neuro- und Kognitionswissenschaften betonen die Herausgeber/innen die Überwindung der Dichotomie von Gefühl und Verstand. Ebenso verweisen sie auf die Vielschichtigkeit des Begriffs der Angst und unterscheiden eine objektlose „Angst“ von einer „konkreten Furcht“, selbst wenn „diese Unterscheidung weder im heutigen noch im früheren allgemeinen Sprachgebrauch konsequent angewandt“ werde (S. 29). Etwas konterkariert wird dieser Verweis auf die historische Vielschichtigkeit von Angst allerdings durch den Versuch – in der Einleitung wie auch in einigen Beiträgen des Bandes –, den Begriff mit Hilfe des „Brockhauses“ eindeutig zu definieren. Wie die jüngsten begriffsgeschichtlichen Studien der Gruppe um Ute Frevert gezeigt haben, sind solche lexikalischen Definitionen immer auch Teil einer historisch variablen Gefühlskultur und können gerade keine universale Gültigkeit beanspruchen.1

Obwohl die Einleitung wichtige konzeptionelle Schneisen schlägt, bleiben bestimmte Aspekte der neueren Emotionsgeschichte dennoch etwas unterbelichtet. Trotz des Verweises auf Peter und Carol Stearns’ Konzept der „emotionology“ wird gerade die kulturelle Vermittlung der Erfahrung und des Ausdrucks von Emotionen nicht weiter thematisiert; Verweise auf wichtige Modelle zur Konzeptualisierung des Verhältnisses von individuellen Emotionen und kulturellen Normen fehlen – wie etwa William Reddys Konzept des „emotional regime“ oder Barbara H. Rosenweins Vorstellung einer „emotional community“.2 Dies ist deshalb bedeutsam, weil sowohl die Einleitung als auch mehrere Beiträge die Grenze zwischen einer neueren Emotionsgeschichte und älteren Ansätzen der „psycho-history“ verwischen, indem sie vor allem die Bedeutung von Emotionen für die Handlungsmotivationen politischer Entscheidungsträger analysieren. Ein emotionsgeschichtlicher Ansatz müsste jedoch zunächst die übergreifenden Gefühlsregeln des jeweiligen „emotional regime“ oder der „emotional community“ klären.

Wie für einen auf Tagungsbeiträgen basierenden Sammelband nicht untypisch, sind die Aufsätze thematisch weit gefächert und methodisch heterogen. Gewisse Schwerpunkte liegen in der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, beim Kalten Krieg und der amerikanischen Außenpolitik. Georg Christoph Berger Waldenegg arbeitet beispielsweise überzeugend den weitgehend umgangssprachlichen und vagen Umgang mit der Kategorie Angst in der Historiographie zur Politik Österreich-Ungarns vor dem Ersten Weltkrieg heraus. Doch dieser Befund rechtfertigt keine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Analyse von Emotionen in der internationalen Politik, sondern unterstreicht gerade die Notwendigkeit eines reflektierten historiographischen Umgangs mit Emotionen. Ebenso rezipieren nur wenige Beiträge explizit (Alma Hannig, Rüdiger Graf, Judith Michel) die von den Herausgeber/innen zumindest partiell eingeführte theoretische Literatur zur Emotionsgeschichte. Einige Beiträge (Georg Christoph Berger Waldenegg, Andrew Dodd) fallen dagegen in die traditionelle Dichotomie von „Gefühl“ und „Vernunft“ zurück, obwohl genau dies in der Einleitung bereits problematisiert wurde.

Ebenfalls uneinheitlich ist die Thematisierung des Gegensatzes von „Furcht“ und „Angst“: Während diese Unterscheidung für einige Beiträge zentral ist – Patrick Bormanns Analyse zur deutschen Weltpolitik vor 1914 oder Jörg Ulberts Analyse langfristiger Ängste in der französischen Deutschlandpolitik –, wird die Differenzierung beispielsweise im Beitrag von Alma Hannig zu Recht problematisiert. Wie die im Band mehrfach zitierte Joanna Bourke gezeigt hat, ist eine rigide Unterscheidung von „Furcht“ und „Angst“ kaum aufrechtzuerhalten, weil beide Gefühlszustände ineinander übergehen und der Kontrast zwischen begründeter Furcht und unbegründeter objektloser Angst immer auch eine legitimatorische Funktion einnimmt.3

Andere Beiträge verweisen auf ein weiteres generelles Problem der Emotionsgeschichte, nämlich die Schwierigkeit, unterschiedliche Gefühle voneinander abzugrenzen sowie deren Interaktion zu analysieren. So erscheint beispielsweise in Alma Hannigs Analyse der österreich-ungarischen Politik vor dem Ersten Weltkrieg oder in Michael Lenz’ Diskussion amerikanischer Außenpolitik im 18. Jahrhundert die „Wahrung der Ehre“ (Hannig, S. 108; Lenz, S. 163) als mindestens genauso wichtig wie die Angst. Und Patrick Bormanns Identifizierung einer unbeherrschbaren deutschen Angst vor Russland und dem Slawentum – im Gegensatz zur beherrschbaren Furcht vor England – ist untrennbar mit zeitgenössischen rassistischen Vorstellungen verbunden.

Diese Kritik soll jedoch nicht über die Verdienste des Bandes hinwegtäuschen. Insbesondere in der Sektion zur „Angst vor der Angst“ finden sich überaus anregende Beiträge. Herauszuheben ist dabei der Artikel von Rüdiger Graf, dem es in theoretisch fundierter Weise gelingt, die Angst während der Ölkrise 1973 in eine größere Perspektive politischer Ängste einzuordnen sowie mit dem Komplementärbegriff „Sicherheit“ zu korrelieren. Auch den Beiträgen von Holger Löttel zum Angstmanagement Adenauers sowie von Judith Michel zum Angstdiskurs in der Friedensbewegung der 1980er-Jahre gelingt es, die Artikulation von Angst in einem konkreten Kontext zu historisieren. Diese und einige andere Beiträge verdeutlichen darüber hinaus die inneren Widersprüche einer gezielten „Politik der Angst“. Während ein gewisses Maß an Angst integrierend wirken konnte, sahen sich Entscheidungsträger – britische Luftkriegsexperten vor 1939 im Beitrag von Lothar Höbelt oder amerikanische Eliten im Kalten Krieg im Beitrag von Sebastian Haak – immer wieder mit dem Problem konfrontiert, überbordende Angst bis hin zu kollektiver Panik eindämmen zu müssen.

Im Gegensatz zu diesen konkreten Fallstudien erscheinen die Langzeitanalysen von Angst in vier Jahrhunderten französischer Deutschlandpolitik (Jörg Ulbert) oder in der amerikanischen Außenpolitik von 1776 bis in die Gegenwart (Thomas Freiberger) weniger überzeugend. „Angst“ nimmt hier nahezu die Form einer ahistorischen Konstante ein. Eine präzise Historisierung von Gefühlen im Kontext wechselnder Gefühlsregime erscheint über so lange Zeiträume kaum möglich und führt zu fragwürdigen Thesen. Dass das 19. Jahrhundert „den Amerikanern weitgehend ein Leben in Freiheit und Sicherheit“ bereitete, wie Thomas Freiberger behauptet (S. 305), ist angesichts der Sklaverei, des Genozids an indianischen Ureinwohnern sowie gewaltsamen Klassenkonflikten überaus zweifelhaft.

Insgesamt hinterlässt der Band einen ambivalenten Eindruck. Das Ziel der Herausgeber/innen, die Geschichte der internationalen Beziehungen und die Geschichte der Emotionen zusammenzuführen, ist lobenswert und mutig. Einige Beiträge demonstrieren den Erkenntnisgewinn einer solchen Synthese. Gleichzeitig operationalisieren die meisten Beiträge die methodischen und konzeptionellen Prämissen der Emotionsgeschichte nicht ausreichend und erfüllen somit den von den Herausgebern formulierten Anspruch nur partiell. Ebenso manifestiert sich in mehrfachen Verweisen auf das „Zeitalter der ‚kulturalistischen Wende‘“ (Höbelt, S. 167) oder auf die Schwierigkeit, die Rolle von Emotionen in den Handlungen der politischen Eliten nachzuweisen (Berger Waldenegg, S. 64; Bormann, S. 87; Hannig, S. 110), eine gewisse Restskepsis gegenüber der Analyse von Emotionen in der internationalen Politik. Möglicherweise sind die methodischen Gräben zwischen einer auf Entscheidungsträger fixierten Geschichte der internationalen Beziehungen und der Kulturgeschichte der Emotionen doch (noch) zu groß. Diese Debatte vorangetrieben zu haben ist ein unzweifelhaftes Verdienst des Sammelbandes.

Anmerkungen:
1 Ute Frevert u.a., Gefühlswissen. Eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt am Main 2011.
2 William Reddy, The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001; Barbara H. Rosenwein, Worrying about Emotions in History, in: American Historical Review 107 (2002), S. 821-845.
3 Joanna Bourke, Fear and Anxiety: Writing about Emotion in Modern History, in: History Workshop Journal 55 (2003), S. 111-133.