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Titel
Verlagslizenzierungen in der Sowjetischen Besatzungszone (1945-1949).


Autor(en)
Jütte, Bettina
Reihe
Archiv für Geschichte des Buchwesens 8
Erschienen
Berlin 2010: de Gruyter
Anzahl Seiten
390 S.
Preis
€ 119,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Barbara Baerns, Berlin

Die verschiedenartigen Lizenzierungsprinzipien der vier Besatzungsmächte beschäftigten die Forschung seit den 1960er-Jahren. Die Befunde begründeten in den Lehrbüchern über Medien in Deutschland die unterschiedlichen Strukturen der Pressesysteme in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Das Verlagswesen fand – gegenüber Zeitung und Zeitschrift, Rundfunk, Nachrichtenagentur und Film – vergleichsweise weniger Beachtung. Untersuchungen über Verlage, oft (aber nicht nur) Einzeldarstellungen von Buchverlagen, nehmen seit der Öffnung der DDR-Archive nach der Vereinigung zu. Bettina Jüttes buchwissenschaftliche Dissertation an der Universität Mainz aus dem Jahr 2007 markiert die Schnittstelle: Sie verfolgt das ehrgeizige Ziel, eine „erste eigenständige wissenschaftliche Arbeit über die Verlagslizenzierungen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“ (S. 9) vorzulegen, also eine Gesamtdarstellung. Sie rekonstruiert die Entstehungsbedingungen, Entwicklungen und Auswirkungen der Lizenzierungspolitik der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Arbeitsweise und Einfluss der neu geschaffenen deutschen Verwaltungsorgane werden berücksichtigt.

Die Publikation zeichnet sich durch umfangreiches Quellenstudium aus. Denn sie basiert auf akribischen Recherchen in den relevanten Beständen nicht nur des Bundesarchivs Berlin sondern auch der einschlägigen Staats- bzw. Landesarchive in Ostdeutschland sowie des Leipziger Stadtarchivs, des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und des Buchwissenschaftlichen Archivs des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Gesetzgebung, Strukturen und Funktionen der SMAD werden demgegenüber im Wesentlichen aus deutschsprachigen Editionen der sowjetischen Quellen und aus den Analysen des Zeithistorikers Jan Foitzik erschlossen. Letztere dürfen aus heutiger Sicht als Vorstudien zum 2001 vereinbarten und 2009 veröffentlichten deutsch-russischen Kooperationsprojekt „SMAD-Handbuch“ bezeichnet werden, an dem Foitzik maßgeblichen Anteil hat.1

Im Einzelnen behandelt Jütte erstens die Institutionen, zweitens die Verfahren entlang den hinreichend bekannten gesetzlichen Bestimmungen zur Literatursäuberung und Lizenzierung und drittens die Organisationsformen der Verlage, die eine Lizenz erhielten. Zumal nicht nur die SMAD-Zentrale in Berlin, sondern auch die Verwaltungen der Sowjetischen Militäradministration in den Ländern Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen bzw. in den Provinzen, später Ländern, Mark Brandenburg und Sachsen-Anhalt betrachtet wurden, gelingt der Nachweis unterschiedlicher Handlungsbedingungen und -spielräume. Unklarheiten in den Zuständigkeiten (S. 51ff.) hätten in Kenntnis des SMAD-Handbuchs, das über verschiedene Zeitpunkte hinweg Organisationspläne und, soweit zugänglich, das Personalarchiv der SMAD auswertet, zwar nicht ausgeräumt, aber sicherer dargestellt und beurteilt werden können.

Im Hinblick auf den – zunächst uneinheitlichen – administrativen Auf- und Ausbau und auf das Tätigkeitsfeld der deutschen Behörden (dazu gehört der Mitte 1946 in Anbindung an die Deutsche Verwaltung für Volksbildung eingerichtete Kulturelle Beirat für das Verlagswesen) verfolgt Jütte von Anfang an die Annahme, die Mitarbeiter der deutschen Verwaltungen hätten auf zentraler und regionaler Ebene die wesentlichen Arbeiten geleistet, während sich die zuständigen Institutionen der sowjetischen Besatzungsmacht in der Regel an deren Vorschlägen und Entscheidungen orientierten (S. 11). Die Quellenanalyse stützt diese These nicht durchweg (vgl. S. 37f.: Lizenzvergabe; S. 49: Annullierung vereinbarter Papierzuteilungen; S.119ff.: Genehmigung von Verordnungen deutscher Verwaltungen, usw.) wohl aber weitgehend. Als Hindernisse gelten Personalmangel und Arbeitsüberlastung, Verständigungsschwierigkeiten, Koordinierungsprobleme und widersprüchliche Auffassungen. Um die Anzahl der Lizenzen für Privatverlage niedrig zu halten, wurden in der Fachwelt regionale Zusammenschlüsse und überregionale Kooperationsmodelle diskutiert und realisiert (wie Verlagsgemeinschaft GmbH Jugend und Welt, Berlin; Arbeitsgemeinschaft Thüringischer Verlage, Jena; Arbeitsgemeinschaft Medizinischer Verlage, Verlagsgesellschaft mbH mit Sitz in Berlin; Arbeitsgemeinschaft der Fachbuch- und Fachzeitschriften-Verlage mit Sitz in Berlin und Leipzig) oder geplant und wieder fallengelassen (wie Verlags-Gemeinschaft Sachsen-Anhalt, Halle; Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Verleger; Arbeitsgemeinschaft der Musikverlage usw.).

Die Perspektive der betroffenen Verlage erhellt eine (1996 schon einmal vorgetragene und 1997 veröffentlichte)2 Fallstudie des in Jena alteingesessenen Gustav Fischer Verlags. Die Geschichte dieses Verlages von der Wiederaufnahme der Verlagstätigkeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Übersiedlung der Verlegerfamilie nach Stuttgart, 1953, einschließlich Enteignung und „Verstaatlichung“ des Unternehmens unmittelbar danach, spiegelt am Beispiel eindrucksvoll, was die gesamte Untersuchung vermittelt: Die Vergabe von Lizenzen orientierte sich nicht an einem von der Sowjetischen Militäradministration vorgegebenen einheitlichen Konzept. Wie schon andernorts beobachtet, haben wir es mit einer Episode zu tun, in der variable Entscheidungen und Problemlösungen möglich schienen – bis der erste Zweijahresplan (1948) und deutlicher das Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zum „Aufbau des Sozialismus“ (1952) „klare Verhältnisse“ schufen. Inzwischen hatte die (provisorische) Regierung der DDR die Verwaltungsfunktionen übernommen, die vorher die SMAD ausübte.

Die Autorin unterzieht sich des Weiteren der Mühe, auf der Grundlage ihrer Quellen ein detailliertes und verlässliches Verzeichnis der in der sowjetischen Besatzungszone lizenzierten Verlage zusammenzustellen. Dieses ersetzt nach einem halben Jahrhundert die lückenhaften und unzuverlässigen Angaben des bei de Gruyter verlegten „Handbuch der Lizenzen deutscher Verlage“, Stand März 19473, und des „Lizenzen-Handbuch Deutscher Verlage“, Stand März 1949.4 Das Verzeichnis registriert jeweils den Namen des Verlages, die Lizenznummer und die Quellenhinweise. Ursprünglich aus der Untersuchung ausgeklammert (vgl. S. 8, Anmerkung 3), erfasst es sinnvollerweise auch die Zeitungsverlage der Parteien und Organisationen, die mit der Zulassung gleichsam automatisch die ersten Lizenzen erhielten. Die einmal alphabetisch und einmal chronologisch geordneten Listen erscheinen als eigenständiges Kapitel im fortlaufenden Bericht. Dem im Klappentext des Buches beanspruchten „Handbuchcharakter“ hätte es jedoch keinen Abbruch getan, hätte man die Listen wie üblich im Anhang platziert. Dort finden sich neben dem Quellen- und Literaturverzeichnis Kurzbiografien der handelnden Personen, Dokumente zum Gustav Fischer Verlag, ein Institutionen- und Sachregister, ein Ortsverzeichnis, ein Personenregister. Der Band enthält zahlreiche Faksimiles und einige graphische Darstellungen.

Das nicht gänzlich geklärte Selbstverständnis der Buchwissenschaft umfasst die Beschäftigung mit ökonomischen Fragen, was hier unter den Stichworten Papierknappheit, Papierzuteilung und Papierbedarf am Rande geschieht. Leider fehlt dieser verdienstvollen Studie eine weitergehende, systematische Darstellung der wirtschaftlichen Zusammenhänge des Verlagswesens in der SBZ. Sie bleibt so ein Desiderat.5

Anmerkungen:
1 Horst Möller / Aleksandr O. Tschubarjan (Hrsg.), SMAD-Handbuch. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland 1945–1949, München 2009. Im Auftrag der Gemeinsamen Kommission zur Erforschung der neuesten Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen. Bearbeiter: Jan Foitzik und Tatjana W. Zarewskaja-Djakina. Redaktion: Jan Foitzik.
2 Bettina Jütte, Das Problem der „zweigleisigen“ Verlage als Folge der Lizenzierungspolitik in der SBZ am Beispiel des Gustav Fischer Verlags (1945–1953), in: Mark Lehmstedt / Siegfried Lokatis (Hrsg.), Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch, Wiesbaden 1997 (Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens. Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte 10), S. 185-197.
3 Wilhelm Seidel (Hrsg.), Handbuch der Lizenzen deutscher Verlage. Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage, Berlin 1947.
4 Ders. (Hrsg.), Lizenzen-Handbuch Deutscher Verlage 1949. Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage, Berlin 1949.
5 Die Untersuchung findet sich in guter Gesellschaft der nationalen Projekte, die das Thema ebenfalls vernachlässigen. Vgl.: Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach / Ulrich Mählert (Hrsg.), Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn 2003; Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). 9 Bände, Baden-Baden 1995.

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