Cover
Titel
Heimkehr: Eine zentrale Kategorie der Nachkriegszeit. Geschichte, Literatur und Medien


Herausgeber
Agazzi, Elena; Schütz, Erhard
Reihe
Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 23
Erschienen
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birgit Schwelling, Forschungsgruppe "Geschichte + Gedächtnis", Universität Konstanz

Der hier vorzustellende Sammelband enthält bereits im Titel eine These, die in den vergangenen Jahren in mehreren Studien belegt werden konnte – die These nämlich, dass die Heimkehr ein bestimmendes Motiv und Thema des deutschen Nachkriegs gewesen sei.1 Ganz besonders gilt dies wohl für die Gestalt des Heimkehrers, der seit dem Ende der 1940er-Jahre zu einer hoch emotional besetzten Identifikationsfigur avancierte. Im zeitgenössischen Vokabular bezeichnete der Begriff vor allem die aus den Kriegsgefangenenlagern zurückkehrenden ehemaligen Soldaten der Wehrmacht, deren Schicksal vielfältige Anknüpfungspunkte bot für eine Gesellschaft, die sich zunehmend als Opfer des Kriegs, der bedrückenden Situation der Nachkriegszeit, der Alliierten sowie der beginnenden Ost-West-Konfrontation definierte. Der Begriff war auch im juristischen Kontext geläufig – beispielsweise im westdeutschen Heimkehrergesetz von 1950, das die Wiedereingliederungshilfen für ehemalige Kriegsgefangene regelte. Heimkehr war ein vielbemühtes Schlagwort im politisch-gesellschaftlichen Diskurs insbesondere der 1950er-Jahre und diente nicht zuletzt als Selbstbeschreibungsformel – etwa derjenigen ehemaligen Kriegsgefangenen, die sich im „Verband der Heimkehrer“ organisiert hatten.

Die ehemaligen Kriegsgefangenen finden sich auch in diesem Band berücksichtigt, der auf eine Tagung am Italienisch-Deutschen Historischen Institut in Trient im Jahr 2008 zurückgeht. Der Begriff der Heimkehr wird jedoch über die oben kurz skizzierte Bedeutung hinaus erweitert; zusätzlich einbezogen werden die Schicksale von Flüchtlingen und Vertriebenen, von Rückkehrern aus dem Exil und von jüdischen Überlebenden. Warum gerade „Heimkehr“ eine geeignete Klammer für die Analyse solch unterschiedlicher Formen von Migration und Zwangsmigration sein soll, wird indes nicht recht deutlich. Die Herausgeber Elena Agazzi und Erhard Schütz argumentieren in der Einleitung, dass „das Bewusstsein, eine Katastrophe ohne Gleichen überlebt zu haben“, das grundlegende Empfinden des Heimkehrers sei, unabhängig davon, „ob es sich dabei um einen ehemaligen Kämpfer an der Front handelt, einen Flüchtling oder Vertriebenen [...], um einen ehemaligen Gefangenen der unzähligen Arbeitslager in den USA oder in der UdSSR oder [...] um einen der wenigen den Vernichtungslagern entkommenen Juden“ (S. 10). Abgesehen davon, dass das Verbindende dieser Aufzählung weniger in der Heimkehr liegen dürfte als vielmehr in der Erfahrung von extremer Gewalt in verschiedenen Formen und Kontexten, lässt sich hier der Eindruck gewinnen, dass der methodische Ausgangspunkt bei den jeweiligen Wahrnehmungen gesucht wird – dass das Verbindende also in der „Heimkehr“ im Sinne einer durchgängigen Selbstthematisierungsformel gesehen wird. Bereits im zweiten Beitrag muss diese Lesart jedoch verworfen werden, denn Rainer Schulze beschreibt die Schicksale von Umgesiedelten, Flüchtlingen und Vertriebenen zwar als „eine Art kollektiver Heimkehr“, weist jedoch zugleich darauf hin, dass es sich dabei um eine Fremdzuschreibung „führender Politiker“ handelte, die diese Form der erzwungenen Migration als „Heimkehr nationaler Minderheiten in den nationalen bzw. ethnischen Verband“ gerechtfertigt hätten (S. 22). Die Betroffenen selbst hingegen hätten Flucht und Vertreibung „nicht als eine wie auch immer definierte Heimkehr erlebt, sondern in erster Linie als eine traumatische Entwurzelung und einen Heimatverlust“ (S. 25). Und spätestens mit Simone Costaglis Beitrag über das filmische Schaffen von Rainer Werner Fassbinder oder mit Alexandra Tackes und Geesa Tuchs Analyse des Themenkomplexes der Flucht von Frauen in den Spielfilmen „Nacht fiel über Gotenhaften“, „Die Flucht“ und „Die Gustloff“ verliert sich die Spur der Heimkehr und des Heimkehrers nahezu vollständig.

Neben dem gewählten Rahmen des Sammelbands ist der Ertrag der einzelnen Beiträge zu betrachten. Unter den 16 Aufsätzen kann durchaus fündig werden, wer sich für literarische, filmische oder fotografische Thematisierungen der vielfältigen, durch den Zweiten Weltkrieg ausgelösten und weit in die Nachkriegszeit hineinragenden demografischen Verwerfungen interessiert – sowie für die komplexe Aufgabe der (Re-)Integration, die die beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften zu bewältigen hatten. Zwei Beispiele seien herausgegriffen.

Aufschlussreich für den Prozess der Demokratisierung und des politischen Neuaufbaus in der Bundesrepublik sind Arnd Bauerkämpers Erläuterungen über Hans Rothfels und Arnold Bergstraesser, die in den 1930er-Jahren in die USA geflohen waren und nach dem Ende des Kriegs nach Westdeutschland zurückkehrten. Bauerkämper zeigt, dass die beiden konservativen Wissenschaftler nach 1945 eine wichtige Rolle als Vermittler einnahmen, gerade weil es ihnen gelang, demokratieferne Gruppen an das Projekt der Demokratie zu binden.2 Bisher weniger beachtete, ebenfalls interessante Aspekte bietet Henning Wrages Beitrag über den im DDR-Fernsehen während der 1960er-Jahre ausgestrahlten Mehrteiler „Gewissen in Aufruhr“. Wrage wirft ein spannendes Schlaglicht auf die deutsch-deutsche Medienkonkurrenz und belegt gleichzeitig, dass sich Erzählungen von deutschen Leiden in der DDR mitnichten auf ideologisierte Thematisierungen des „anglo-amerikanischen Bombenkriegs“ beschränkten. Es wäre sicher lohnend, dieser hier ausgelegten Spur im Sinne einer deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte weiter nachzugehen.

Der Band kann allen empfohlen werden, die sich für Formen erzwungener Mobilität im Kontext von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg sowie insbesondere für deren mediale Be- und Verarbeitung interessieren. Hier finden sich interessante Fallstudien, die zumindest teilweise bisher kaum bekannte Ausschnitte des weitreichenden Themenkomplexes beleuchten. Weniger überzeugend hingegen ist der begriffliche Rahmen, den die Herausgeber gewählt haben. Mir scheint, dass das Gemeinsame dieser heterogenen Formen und Beispiele erzwungener Mobilität weniger in der „Heimkehr“ zu suchen ist, sondern vielmehr in der häufig schwierigen Aufgabe des Neu- oder Wiederanfangens in veränderten politischen, geographischen und sozialen Kontexten.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Gerd Albrecht, Fern der Wirklichkeit. Deutsche Spielfilme der Nachkriegszeit zum Thema Kriegsgefangenschaft und Heimkehr, in: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Kriegsgefangene. Sowjetische Kriegsgefangene in Deutschland, deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion, Düsseldorf 1995, S. 100-105; Michael Stolle, Das Wunder von Friedland. Die Heimkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen und das Radio, in: Rundfunk und Geschichte 31 (2005), S. 20-30; Erhard Schütz, Von Lageropfern und Helden der Flucht. Kriegsgefangenschaft Deutscher – Popularisierungsmuster in der Bundesrepublik, in: Wolfgang Hardtwig / Erhard Schütz (Hrsg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 181-203; Frank Biess, Homecomings. Returning POWs and the Legacies of Defeat in Postwar Germany, Princeton 2006; Svenja Goltermann, Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg, München 2009; Birgit Schwelling, Heimkehr – Erinnerung – Integration. Der Verband der Heimkehrer, die ehemaligen Kriegsgefangenen und die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft, Paderborn 2010.
2 Vgl. früher bereits Arnd Bauerkämper, Demokratie als Verheißung oder Gefahr? Deutsche Politikwissenschaftler und amerikanische Modelle 1945 bis zur Mitte der sechziger Jahre, in: ders. / Konrad H. Jarausch / Marcus M. Payk (Hg.), Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970, Göttingen 2005, S. 253-280.