M. Jones: The Print in Early Modern England

Cover
Titel
The Print in Early Modern England. An Historical Oversight


Autor(en)
Jones, Malcolm
Reihe
Paul Mellon Centre for Studies in British Art
Erschienen
Anzahl Seiten
452 S.
Preis
€ 75,44
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Boris Queckbörner, Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität Marburg

Birgit Emich charakterisierte die Frühe Neuzeit einmal als „besonders visuelles und als besonders intermediales Zeitalter“.1 Dieses Diktum wird durch die Studie von Malcolm Jones zur Druckgraphik im England des 16. und 17. Jahrhunderts mehr als bestätigt. Obwohl der Autor diesen selbst gesetzten zeitlichen Rahmen mehrfach überschreitet, kann man sagen, dass hier ein ausgewiesener Fachmann eine im Ganzen gesehen hervorragende Überblicksarbeit vorgelegt hat, mit der er unmittelbar an sein 2002 veröffentlichtes Werk zur hoch- und spätmittelalterlichen Ikonographie anknüpft.2

Das erklärte Ziel von Malcolm Jones ist es, die Beschränkung vor allem der Kunstgeschichte auf die „hohe Kunst“ zu durchbrechen und demgegenüber die facettenreiche Bilderwelt und die Bedeutung der Bilder innerhalb der unteren Schichten der englischen Gesellschaft sichtbar zu machen (Vorwort, S. VIII-X). Damit einher geht die Forderung, auch die volkstümlichen images als Quellen eigenen Rechtes zu betrachten und dementsprechend auszuwerten (Vorwort, S. X). Dafür erscheint dem Autor vor allem die Druckgraphik geeignet, für die er eine umfassende Verbreitung und Wirkung in den unteren Schichten konstatiert (Einleitung, S. 1-14). Neben dem Desinteresse der Kunstgeschichte nennt Jones als weiteren Beweggrund für seine Studie das Fehlen einer derartigen Überblicksarbeit für den englischen Raum. Durch eine solche Arbeit würden jedoch nicht nur ältere Behauptungen einer „visuellen Anorexie“ im populären Bereich widerlegt, sondern die Studie diene auch als Korrektiv einer westlichen Kultur und Wissenschaft, die allzu sehr dem Text verhaftet sei (Vorwort, S. VIII-X). Bei diesem Versuch, klassische geschichtswissenschaftliche Arbeiten um eine bildliche Dimension zu erweitern, kann der Autor auf zahlreiche wichtige und grundlegende Vorarbeiten zurückgreifen.3

Vor diesem Hintergrund entwirft Jones in vier thematischen Blöcken mit insgesamt fünfzehn Kapiteln ein breites Bild der frühneuzeitlichen englischen Gesellschaft, ihrer Bilderwelt und Bildsprache. Weitgehend chronologisch geordnet, zeigt sich hier ein ausgedehntes Feld der Imaginationsmöglichkeiten einer politischen (Teil II), moralischen (Teil III) und sozialen Ordnung (Teil IV). Ein Themenblock zu seriellen und schematischen Ordnungsvorstellungen (Teil I), in dem der Autor auf die Kategorisierung und Darstellung des Wissens von der Welt etwa am Beispiel der vier Kontinente, der sieben Todsünden oder der neun Weisen eingeht, vervollständigt den Hauptteil der Studie. Diese Ausführungen werden ergänzt durch eine Einleitung zu Herstellung, Verkauf und Gebrauch der gedruckten Bildobjekte sowie ein kurzes Resümee, in dem Jones die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammenfasst.

Eindeutig hervorzuheben sind die 378 zum Teil farbigen Reproduktionen der Bilder, die teils nur mehr als Unikate vorliegen und das etwas unhandliche Format des Bandes mehr als entschuldigen. Sicherlich finden einige der präsentierten Abbildungen früher oder später ihren Weg in andere Arbeiten zum englischen Druckwesen oder zur Ikonographie der Zeit. Im Umgang mit dem dargebotenen Material bemüht sich der Autor darum, analog zu einem quellenkritischen Textverständnis eine Quellenkritik des Bildes durchzuführen. Dazu zählt unter anderem der Nachweis einer Bildgeschichte, die nicht bei der Sichtung englischen Materials stehen bleibt, sondern als ‚räumliche Interkulturalität‘ (Rolf Reichardt) kontinentale Vorbilder aufzeigt. Darüber hinaus bewährt sich die Studie auch im Feld der Intermedialität, wo es Jones gelingt, sowohl die unmittelbare Bild-Text-Beziehung herauszustellen als auch die gegenseitige Beeinflussung und Durchdringung unterschiedlicher Medien klar zu machen. Einerseits verfolgt Jones die Themen der Bilder in der Literatur und kann somit die Aufnahme bekannter Bildmotive in der zeitgenössischen Literatur wie auch eine Reaktion der Drucker und Graveure auf bestehende literarische Vorbilder nachweisen. Andererseits zeigt sich, dass gedruckte Bilder sowohl als Vorlage für höhere Kunst dienten, als auch dieser nachempfunden werden konnten. Generell ist es das Verdienst des Autors, das Changieren der Motive zwischen unterschiedlichen Medien und die Einfügung der Bildobjekte in Alltagsgegenstände und den alltäglichen Gebrauch aufzuzeigen. Derart erfährt die Leserin/der Leser beispielsweise etwas über die Tradierung von Märtyrergestalten aus „John Foxe’s Book of Martyrs“ an Rückwänden von Feuerstellen oder wie bekannte populäre Bilder ihren Weg auf Schnupftabak- und Pillendosen, Geschirr, Schneidebrettchen oder Spielkarten fanden.

Die hier betriebene „Mikro-Historie“ führt in die Vorstellungswelt der breiten Bevölkerung ein. So wird einmal mehr belegt, dass auch wenig gebildete und illiterate Rezipienten ein ausgedehntes Wissen über verschiedenste Bereiche des gesellschaftlichen Lebens haben konnten. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Drucke selbst als Dekoration für Treppenspindel, Kaminumfassung oder Wirtshauswand dienten. In diesem Sinne ist es denn auch entscheidend, die hier präsentierten images in ihrer eigenen Wertigkeit zu sehen, da sie als moralisierende, erzieherische, politisierende und polarisierende, zuweilen laszive, auf jeden Fall aber emotionalisierende Medien eine eminent wichtige gesellschaftliche Funktion übernahmen, insofern als sie zur Etablierung einer intelligiblen Welt beitrugen.

Dass sich bei der Fülle der dargestellten Abbildungen und im Bestreben, die jeweilige Bildgeschichte auch über die nationalen Grenzen hinaus zu verfolgen, an einzelnen Stellen Ungenauigkeiten oder Versäumnisse einstellen, ist dabei nicht weiter verwunderlich. Allerdings sollte doch bei solch zentralen Motiven wie jenem der königlichen Eiche und der Symbolisierung des Gemeinwesens als Baum auf deren lange Tradition verwiesen werden, die – auf das biblische Ölbaummotiv zurückgehend – spätestens mit der Schrift „The Tree of Commonwealth“ von Edmund Dudley 1509/1510 einsetzt (S. 102-105, 126).

Weitaus bedeutsamer in diesem Zusammenhang gestaltet sich jedoch die oftmals fehlende Einbindung der vorgestellten Bilder in die konkreten historischen Abläufe, die auf die Hervorbringung eben jener Bilder einwirkten. Demgemäß bleibt denn auch die Untersuchung der Einflüsse und Auswirkungen der Drucke weitestgehend aus. So berichtet der Autor zwar von Häufungen der Darstellungen „wundersamer“ Geburten und entstellter Neugeborener zu Beginn der Regierungszeit Elisabeths I., welche nach zeitgenössischem Verständnis ein göttliches Missfallen ausdrücken würden (S. 245). Jedoch verknüpft er diese Beobachtung von Alterität hier und andernorts nur lose mit einer weitergehenden Reflexion des politischen Kontextes. Gerade dies wäre aber für die Historikerin/den Historiker von besonderem Interesse gewesen. Als Ausblick hätte man zudem einen Verweis auf die Adaption solcher Motive etwa durch Jonathan Swift in dessen epochalem Werk „Gullivers Reisen“ erwartet, welches gerade durch die umfassende Darstellung von Alterität in verschiedensten Formen die Vorstellung von englischer ‚Normalität‘ herauszufordern suchte.

In technischer Hinsicht sei angemerkt, dass der Band durch einen Anhang komplettiert wird, in dem neben Transkriptionen der häufig beigefügten Texte ausgewählter Drucke jeweils ein Verzeichnis zu deutschen und niederländischen Vorbildern sowie ein Anmerkungsapparat, eine kurze Bibliographie und ein Index beigegeben sind. Hier kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Autor zum einen zahlreiche der jüngeren deutschen und auch englischen Arbeiten zur Historischen Bildkunde überhaupt nicht beachtet hat.4 Zum andern sollte man in einem Verzeichnis der Originale auf deren vollständige Angabe Wert legen und bei internen Verweisen auf Genauigkeit achten. So wird das unter Nummer 28 angeführte deutsche Original einer englischen Schrift nicht auf Seite 177 behandelt, sondern erst auf Seite 178 und für die Nummern 20 und 21 fehlen Verweise gänzlich.

Nichtsdestoweniger bleibt am Ende der Eindruck einer überzeugenden Dokumentation frühneuzeitlicher Bildlichkeit bestehen, die nicht nur die mannigfachen Interdependenzen der Medien aufzeigt, sondern der es auch gelingt, die interkulturellen Beziehungen auf diesem Gebiet herauszustellen. Obwohl die in diesem Zusammenhang aufgestellte These der „visuellen Anorexie“ spätestens seit den 1990er-Jahren als überholt gelten darf, scheint das Buch von Jones doch geeignet, um als Ausgangspunkt einer modernen Geschichtsschreibung zu dienen, die in Fragen der Visualisierung und Vermittlung von (politischen) Ordnungsvorstellungen, der Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie im Hinblick auf die Generierung von Öffentlichkeiten zunehmend auch bildliche Quellen berücksichtigt.

Anmerkungen:
1 Birgit Emich, Bildlichkeit und Intermedialität in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), S. 31-56, hier S. 50.
2 Vgl. Malcolm Jones, The Secret Middle Ages. Discovering the Real Medieval World, Stroud 2002.
3 Stellvertretend für viele seien genannt: Wolfgang Harms / Michael Schilling u.a. (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, 7 Bde., Tübingen 1985-2005; Wolfgang Brückner, Populäre Druckgraphik Europas vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Deutschland, München 1969; Arthur M. Hind, Engraving in England in the sixteenth & seventeenth centuries. A descriptive catalogue with introductions, 3 Vols., Cambridge 1952-1964; Sheila O’Connell, The popular print in England, 1550-1850, London 1999.
4 Es fehlen u.a. die Arbeiten von Hans Belting, Bernd Roeck, Gottfried Boehm, Rainer Wohlfeil und Harry Oelke sowie von Michael Baxandall, Svetlana Alpers und David Adams.

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