J. Stobart u.a. (Hrsg.): Modernity and the Second-Hand Trade

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Titel
Modernity and the Second-Hand Trade. European Consumption Cultures and Practices, 1700-1900


Herausgeber
Stobart, Jon; Van Damme, Ilja
Erschienen
Basingstoke 2010: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
£55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Stöger, Fachbereich Geschichte / Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Salzburg

Sekundäre Märkte und Transfers, das heißt die Zirkulation von gebrauchten Gegenständen, sind von der deutschsprachigen Historiographie bislang allenfalls am Rande wahrgenommen worden, obgleich sich in den letzten Jahrzehnten einige Monographien1 und – leider wenig rezipierte – Sammelbände2 diesem Themenbereich gewidmet haben. Der vorliegende Band wendet sich – im Gegensatz zu den meisten bisher erschienenen Publikationen, die mehrheitlich die Frühe Neuzeit, vor allem das 18. Jahrhundert, in den Blick nehmen – auch dem Handel mit und der Konsumption von Gebrauchtem während des 19. Jahrhunderts zu; in dieser Hinsicht wird also Neuland erschlossen.

Mit der Moderne steht eine Phase im Mittelpunkt, die infolge der Industrialisierung einen mittelfristigen Preisverfall für Neuwaren (besonders für Kleidung, die für den vormodernen Gebrauchtwarenhandel zentral war) mit sich brachte und den Handel mit wie auch die Konsumption von Gebrauchtem veränderte – gleichzeitig bestanden aber in diesen Bereichen auch erhebliche Persistenzen vormoderner Praktiken. Der Band fragt also danach, ob alternative Konsumpraktiken ein Relikt vormoderner Ökonomie bilden, als Reaktion auf Defizite moderner Produktion und Distribution zu sehen oder als wichtige und keineswegs anachronistische Bestandteile der modernen Alltagsökonomie zu erachten sind. Konzeptionell ist der Sammelband in der Konsumgeschichte zu verorten, er schließt jedoch in einem erweiterten Blick auch Distributionsformen, also die Angebotsseite mit ein.

Den Beiträgen vorangestellt ist eine konzise Einleitung, die einen Überblick über die Komplexität des Gebrauchtwarenhandels gibt, konstitutive Elemente sekundärer Märkte und Transfers sowie deren multiple Bedeutung umreißt und eine Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte der nachfolgenden Untersuchungen gibt. Die Einzelstudien sind in zwei Hauptteile ("The Nature of Second-Hand" und "Buying and Selling Second-Hand Goods") gegliedert, wobei diese Zuordnung bei manchen Beiträgen schlüssig erscheint, bei anderen etwas willkürlich. In räumlicher Hinsicht dominiert die Stadt, doch wenden sich einzelne Aufsätze auch ländlichen Gebieten zu, was die bisherigen, eher stadtbezogenen Studien zum Gebrauchtwarenhandel sinnvoll ergänzt. Die Mehrzahl der Beiträge wählt englische Untersuchungsgebiete, je zwei Kapitel widmen sich Schweden und den Niederlanden; hinzu kommen Studien zu Indien und Südafrika, die jedoch im kolonialhistorischen Kontext verbleiben. Dabei sind drei Zugänge auszumachen: einerseits über Räume, andererseits über Gegenstände (Kleidung, Möbel, Antiquitäten, Bücher) bzw. über Transaktionsformen (Handel, Auktionen, Makler).

Die Beiträge verdeutlichen insgesamt die Relevanz von Gebrauchtem in der alltäglichen Konsumption bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und konstatieren nur einen partiellen Bedeutungsverlust sekundärer Märkte und Transfers. Die Konsumption von Nicht-Neuem war vielfältig und komplex, teils ökonomisch induziert (Kauf von billigen, gebrauchten Gegenständen, Veräußern aus Mobilitätsgründen oder Verkäufe von Nachlässen), konnte aber auch mit Versorgungsschwierigkeiten zusammenhängen (wenn etwa spezifische Neuwaren nicht oder nur begrenzt vorhanden waren) oder eine Möglichkeit zum Erwerb von Waren mit symbolischer Bedeutung bilden (also beispielsweise zur Imitation von Moden). Gleichzeitig waren Verbindungen zwischen dem Gebrauchtem und Neuem im Handel wie in der Konsumption vielfältig, Gebrauchtwarenhändler/innen boten oft auch Neuwaren an – die Dichotomie "alt" und "neu" bildete sich offenbar erst im Verlauf der Moderne heraus.

Dem Gebrauchtwarenhandel kam eine erhebliche Relevanz als Erwerbstätigkeit zu, vielfach für Frauen. Groß war auch die Bedeutung informell agierender Händler/innen, deren Tätigkeit mitunter als mittel- und kurzfristige "household strategy for survial" fungierte – dementsprechend ausgeprägt waren informelle, teilweise auch illegitime und illegale Transfers. Viele Beiträge weisen – was partiell eine Folge der verwendeten Quellen ist – auf Versteigerungen als wichtiges "outlet" für Gebrauchtes hin; insgesamt wird auch eine Segmentierung und Fragmentierung der sekundären Märkte deutlich, obwohl vielfach Überschneidungen zwischen den einzelnen Marktbereichen bestanden. Wenngleich der Gebrauchtwarenhandel – vor allem im 19. Jahrhundert – eine Ökonomie von und für Unterschichten bildete, waren auch die "middling sort" und höhere soziale Schichten in sekundäre Transfers eingebunden, die jedoch eigene Märkte bzw. Marktbereiche bildeten.

Die – von den Beiträgen auch größtenteils aufgegriffene – zentrale Fragestellung des Bandes nach dem Verhältnis zwischen Gebrauchtwarenhandel und "Moderne" ist schon deshalb interessant, weil erstmals die Entwicklung dieser "vormodernen" Form des Handels und der Konsumption in der "Moderne" verfolgt wird; auch die Mitberücksichtigung des ländlichen Raumes stellt ein Novum dar. Eine wesentliche Stärke des Bandes bildet dessen weitgehende Kohärenz. Die Beiträge, ausschließlich empirische Arbeiten, argumentieren konzise und überlegt. Bedeutung, Flexibilität und Komplexität der sekundären Konsumption werden deutlich gemacht, was zu einem differenzierten Blick auf die "allgemeine" Konsumption des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts beiträgt.

In inhaltlicher Hinsicht bleibt nur wenig zu kritisieren: So erscheint die Feststellung, dass sich Märkte in einem "modernen" Sinn erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts herausbildeten (S. 22), nicht wirklich schlüssig. Auch ein zentraler Punkt sekundärer Konsumption, der Kauf oder Verkauf aus Gründen der Mobilität, wird mitunter nicht erwähnt. Auffällig ist, dass die Beiträge kaum quantitativ argumentieren. Vor allem die Anzahl der Händler/innen wird kaum diskutiert, aber gerade diese könnte als ein Indikator des Wandels oder von Persistenzen fungieren. Bei der gelegentlichen Quantifizierung von Käufern/innen und Gegenständen fehlt, wie auch an anderen Stellen, meines Erachtens der explizite Verweis auf die Quellenprobleme, die eine Auseinandersetzung mit sekundären Märkten zwangsläufig begleiten (etwa informelle Arbeit, kaum sichtbare Konsumenten, auch die von obrigkeitlicher Seite geprägte Überlieferung, die in der Regel sehr fragmentarisch ist). Der Fokus des Bandes liegt klar auf der Seite der Konsumenten, was legitim ist, aber gleichzeitig Lücken verursacht – eben auf der Seite der Händler/innen, über die bislang auch nur wenig bekannt ist: Größere, institutionalisierte Marktplätze für Gebrauchtwaren, die für den städtischen Gebrauchtwarenhandel sicherlich zentral waren, werden kaum thematisiert, genauso der Wander- und Hausierhandel, der nicht nur in ländlichen Gebieten von erheblicher Bedeutung war. Dies ist vermutlich auch eine Folge der verwendeten Quellen (vielfach Versteigerungsprotokolle und zeitgenössische Publikationen), die diese Bereiche selten im Blick haben. Eine abschließende Zusammenfassung fehlt ein wenig, vor allem, um nochmals Desiderate und mögliche Forschungsfelder zu sammeln, die eher implizit in einzelnen Beiträgen auftauchen.

Der Band belegt die Sinnhaftigkeit eines Längsschnitts und einer vergleichenden Perspektive in diesem Forschungsfeld, wobei in weiterer Folge auch eine Einbeziehung außereuropäischer bzw. an der Peripherie Europas gelegener Räume interessant wäre. Insgesamt verdeutlicht "Modernity and the Second-Hand Trade" die hohe Qualität der angelsächsischen Forschung in diesem Themenbereich und ist somit nicht nur für die Betrachtung von Konsumption während des "langen" 19. Jahrhunderts zentral, sondern trägt auch zu einer Perspektivenerweiterung bei. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Alltagsökonomie der Unterschichten sowie auf Formen informeller Arbeit und des lokalen Detailhandels. Aber auch die Umweltgeschichte, welche die ausgeprägten Stoffzirkulationen vor dem 19. Jahrhundert und andere Bereiche eines "nachhaltigen" Umgangs mit Ressourcen (etwa durch Reparieren und Wiederverwenden) bislang nur begrenzt im Blick hat, kann von diesen Anregungen nur profitieren.

Anmerkungen:
1 Daniel Roche, The Culture of Clothing. Dress and Fashion in the ‘ancien régime’, Cambridge u.a. 1994; Beverly Lemire, Dress, Culture and Commerce. The English Clothing Trade before the Factory, 1660-1800, Basingstoke 1997; Georg Stöger, Sekundäre Märkte? Zum Wiener und Salzburger Gebrauchtwarenhandel im 17. und 18. Jahrhundert, Wien/München 2011 [als Open-Access-Publikation unter
<http://www.boehlau-verlag.com/download/162547/978-3-205-78678-8_OpenAccess.pdf>(25.05.2011)].
2 Alexandra Palmer / Hazel Clark (Hrsg.), Old Clothes, New Looks. Second Hand Fashion, Oxford/New York 2006; Laurence Fontaine (Hrsg.), Alternative exchanges. Second-hand circulations from the sixteenth century to the present, New York/Oxford 2008; Bruno Blondé u.a. (Hrsg.), Fashioning Old and New. Changing Consumer Patterns in Western Europe (1650-1700), Turnhout 2009.

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