C. Zimmermann u.a. (Hrsg.): Medienlandschaft Saar

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Titel
Medienlandschaft Saar. Von 1945 bis in die Gegenwart


Herausgeber
Zimmermann, Clemens; Hudemann, Rainer; Kuderna, Michael
Erschienen
München 2009: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XVIII, 1529 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Edgar Lersch, Institut für Medien, Kommunikation & Sport, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Herausgeber der ungewöhnlich opulenten Veröffentlichung, die einen sehr eng umgrenzten Kommunikationsraum behandelt, bekunden in der Gesamteinleitung, dass ein so „umfang- wie facettenreiches Werk über die ‚Medienlandschaft Saar‘ seit 1945“ sowohl „die großen Linien der medialen Nachkriegsentwicklung“ wie die sich „schon bei einem flüchtigen Hinsehen“ offenbarenden „spezifischen Ausprägungen und Abweichungen“ (I, S.1) abbilden solle. An dieser Maxime soll es im Folgenden gemessen und eingeordnet werden. Ein detailliertes Eingehen auf die 1500-seitige Darstellung, die sich in viele Einzelthemen verzweigt, ist nicht möglich, wo doch bereits die unerlässliche Skizzierung des Inhalts fast den vorgegebenen Rahmen zu sprengen droht.

Band eins präsentiert eine Gesamtdarstellung der Entwicklung von Presse und Rundfunk im Kontext der französischen Besatzungsherrschaft seit 1945 bzw. der vorübergehenden engeren politischen sowie wirtschaftlichen Anbindung des Saargebiets an Frankreich bis zur Abstimmung über das Saarstatut und der Rückgliederung an die Bundesrepublik Deutschland, die zum 1. Januar 1957 vollzogen wurde.

Die Bände zwei und drei beschäftigen sich mit der Mediengeschichte des Saarlandes zwischen 1955 und 2005, in der dieses Bundesland wieder Teil der Medienordnung und medialen Gesamtentwicklung Westdeutschlands war. Behandelt werden die periodische Presse und der Rundfunk: Die Produktion und/oder Distribution von Buch und Film kommen nicht vor, was das ganze Unternehmen zum eigenen Nachteil auf ein publizistikwissenschaftliches Medienkonzept einengt.

Der zweite Band analysiert zunächst allgemeine – saarlandbezogene – medienpolitische und vor allem institutionen- bzw. organisationsgeschichtliche Entwicklungen von Rundfunk und Presse – Zeitschriften und Anzeigenblätter eingeschlossen. Im zweiten Teil folgen Beiträge zur Binnen- und Außenkommunikation von „Saarländischem Rundfunk“ (SR) und „Saarbrücker Zeitung“ (SZ). Letztere etablierte sich spätestens ab den 1970er-Jahren als Monopolzeitung nach dem Ende der in der ‚Franzosenzeit‘ (1945-1955/56) bestehenden Vielfalt. Im Gesamtwerk konzentriert sich die Pressegeschichte bzw. -analyse somit im Wesentlichen auf die SZ. Eine Darstellung der Hörerforschung im SR und ein dritter Teil mit Aufsätzen zu „Berufsorganisation und Berufsbilder“ schließen sich an.

Im dritten Band, „Mediale Inhalte, Programme und Region“ überschrieben, werden in drei Beiträgen Aspekte der Programmgeschichte des SR und in sechs weiteren „Inhalte und Angebote in der Printpresse“ behandelt. Neben einer zwangsläufig allgemein gehaltenen Analyse des Wandels in der „Berichterstattung“ der SZ und einem Beitrag über die Veränderungen von deren Visualisierungsstrategien widmen sich drei inhaltsanalytische Studien merkwürdigerweise der Berichterstattung und Kommentierung der Migrationsproblematik.1 Im letzten Teil der Gesamtdarstellung geht es um den spezifischen Umgang der Saarpresse bzw. des Rundfunks mit der Region sowie um die Wahrnehmung und Kommentierung von „Neuen Sozialen Bewegungen“ durch die SZ. Alle drei Bände werden von den Herausgebern eingeleitet, jeweils an deren Ende formulieren sie ein Resümee sowie am Schluss des dritten Bandes ein „Gesamtresümee des Forschungsprojekts und der Forschungsfragen“ (III, S.529ff.).

Im Folgenden wird bei der Einschätzung des Projekts bzw. der Publikation zwischen dem ersten und den beiden nachfolgenden Bänden unterschieden. Die im ersten Band ganz auf die französische Phase konzentrierten Forschungen beschreiben und analysieren Presse und Rundfunk im Kontext der politischen und der sonstigen sich auf alle Bereiche des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens auswirkenden Sonderentwicklungen im Saargebiet. Als solche sind sie Teil der Nachkriegsgeschichte und stehen für sich, darüber hinaus sind sie mögliche Ursachen für Folgewirkungen in der Zeit danach.

Die Ergebnisse materialgesättigter (Neu-)Darstellungen und Analysen der Medienlandschaft Saar korrigieren unter anderem bisher offene Forschungsfragen im Bereich des Rundfunks2 sowie hartnäckig aus dem Abstimmungskampf in Erinnerung gebliebene Ansichten über angebliche französische Pressionen auf die mediale Berichterstattung nicht nur in dieser Zeit. Ausgewählte Analysen des Programmangebots im Rundfunk belegen eine eigenständige, keineswegs der französischen Oberhoheit geschuldete Auseinandersetzung mit der Kultur des Nachbarlandes. Sie legte die Basis für die allerdings eher überschätzte Brückenfunktion, die der spätere SR im Rundfunkwesen zwischen Deutschland und Frankreich einnehmen sollte. Trotz der zeitweiligen Sonderstellung der SZ mit französischer Teilhaberschaft förderten die Franzosen eine plurale Zeitungslandschaft mit Parteizeitungen, die aber nach der Rückgliederung bald ein Ende fand. Sehr lesenswert ist das Kapitel von Andreas Fickers über die vor allem von französischer Seite betriebenen privaten Rundfunkaktivitäten („Tele-Saar“ und „Europe 1“) im Saarland. Die vom Autor selbst als „soap opera“ (S. 305) titulierte Abhandlung zeichnet die von politischem Kalkül, privaten Geschäftsinteressen, supranationaler Technologiepolitik usw. geprägte, schier undurchschaubare Geschichte mit einigen Fernwirkungen auf die Entstehung des privatkommerziellen Sektors in der Bundesrepublik nach.

Für die Bände zwei und drei fehlt den Herausgebern ein überzeugendes Konzept dafür, wie die 50 Jahre Medienentwicklung des kleinsten Flächenlandes der Bundesrepublik in anschlussfähiger und aussagekräftiger Weise so abzuhandeln wären, dass sich das Besondere der regionalen Medienentwicklung in der allgemeinen bundesrepublikanischen spiegeln könne. Dabei ist von vorneherein schon der Anspruch überzogen, dies gerade am kleinsten Flächenland der Republik exemplifizieren zu wollen.

Ein weiteres Manko kommt hinzu: Eine wohldurchdachte Analyse der Verhältnisse hätte sich genauer an die vorhandenen – leider nicht immer befriedigenden – Erkenntnisse zur bundesrepublikanischen Rundfunk- und Pressegeschichte als integrierendes Forschungsdesign anlehnen müssen. Daraus hätte sich dann entweder ein Konzept für eine kompaktere – und damit leichter rezipierbare – Darstellung oder eine solche entwickeln lassen, die präziser die Vergleichspunkte bestimmt hätte. Soweit die Einzelbeiträge den groben Rahmen der allgemeinen institutionellen Entwicklungen verlassen, beschäftigen sie sich keineswegs mit den zentralen Fragestellungen, an denen Identisches und Eigenständiges und Spezifisches sich klarer aufzeigen ließen.

Vielmehr lassen der Zuschnitt und die Auswahl der Themen eine gewisse Beliebigkeit erkennen. So fragt man sich zum Beispiel bei den Aussagenanalysen der SZ, warum gerade die Migrantenproblematik anstelle etwa des Niedergangs der für das Saarland zentralen Bergbau- und Schwerindustrie ausgewählt wurde. Ähnlich beliebig erscheinen die Abschnitte über die Binnen- und Außenkommunikation, in denen liebevoll der Aufbau der Pressearchive bzw. die Hörerforschung des SR nachgezeichnet werden. In diesen Bereichen, in denen keine gravierenden Unterschiede zum Zeitungswesen und der Rundfunkproduktion des restlichen Westdeutschland festzustellen sind, ermöglichten die beschränkten Ressourcen keine Pionierleistungen. Die Vergleichsergebnisse fallen auch deshalb nicht eindeutig aus, weil für etliche der angeschnittenen Themen, die die Geschichte etwa der Binnenorganisation und den alltäglichen Ablauf im Zeitungs- bzw. Produktions- und Sendebetrieb beschreiben, entsprechende und erst recht repräsentative Studien fehlen. Kein Wunder also, dass die Herausgeber in ihren resümierenden Einschätzungen, dass entweder die Saarmedien im Mainstream lägen oder sich unterschieden bzw. sogar Pionierfunktionen übernommen hätten, auf eher hilflos anmutende Vermutungen angewiesen bleiben (vgl. etwa II, S. 443; III, S. 523; III, S. 552).

Dies gilt auch für das Thema „Medien und Region“. Hier scheint allenfalls die SZ eine den Besonderheiten des Kommunikationsraums geschuldete Regionalberichterstattung entwickelt zu haben. Wenig überzeugend sind Versuche, regionalspezifische Besonderheiten der politischen Kultur herauszuarbeiten: so über die unterentwickelte Fähigkeit der Saarländer zur Konfliktartikulation im Zusammenhang mit der Migrantenproblematik (III, S. 325f.) oder der Versuch, das konservativ bis reaktionär-autoritäre Gehabe saarländischen Führungspersonals in Politik und Medien der 1950er-Jahre (II, S. 391ff.) zumindest partiell als spezifisch regionales Phänomen zu qualifizieren.

Fazit: Besonders gelungen und weiterführend erscheinen vor allem die Studien zur ‚französischen Phase‘ im ersten Band. Die Folgebände versammeln viele wichtige neben marginalen Einsichten. Als Grundlage bzw. Ausgangspunkt für weitere, insbesondere vergleichende Studien zur regionalen Vielfalt der deutschen Medienlandschaft sind sie gleichwohl wertvoll. Solchen Studien müssten allerdings andere Konzeptualisierungen zugrunde liegen, etwa eine kulturgeschichtliche Perspektive, die in dem zu rezensierenden Werk weitgehend fehlt.

Anmerkungen:
1 Hinzu kommt eine vergleichende Untersuchung über den Umgang mit der Halbstarken/Blousons-Noir-Problematik in der SZ und in ‚Le Républicain Lorrain‘, dem tonangebenden Blatt im benachbarten Departement Moselle zwischen 1956 und 1962.
2 Heribert Schwan, Der Rundfunk als Instrument der Politik im Saarland 1945-1955, Berlin 1974.

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