T. Welskopp: Amerikas große Ernüchterung

Titel
Amerikas große Ernüchterung. Eine Kulturgeschichte der Prohibition


Autor(en)
Welskopp, Thomas
Erschienen
Paderborn 2010: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
660 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gudrun Löhrer, John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, Freie Universität Berlin

Die Vereinigten Staaten haben eine lange und ereignisreiche Geschichte im Kampf um die Mäßigung des Alkoholkonsums und der Einschränkung von Verkauf, Transport und Produktion von „intoxicating liquor“.1 Die Auseinandersetzung um ein nationales Alkoholverbot hatte sich besonders in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg zugespitzt. Mit der Ratifizierung des 18. Verfassungszusatzes, der die Herstellung, den Verkauf und den Transport von berauschenden Getränken verbot, mündeten diese Kämpfe im Jahr 1920 in der nationalen Prohibition. Das „noble Experiment“ wurde erst 1933 durch den 21. Verfassungszusatz wieder aufgehoben. Vollständig aus der Mode ist die Temperenzbewegung nie gekommen, noch heute sind über zweihundert Counties ‚trocken‘. Vornehmlich in den Südstaaten ist der Verkauf von Alkohol auf die eine oder andere Weise eingeschränkt oder verboten.2

Im kulturellen Gedächtnis hat sich die amerikanische Prohibition besonders durch Figuren wie Al Capone und die klassischen Gangsterfilme wie „Little Caesar“, „Scarface“ und „The Public Enemy“ eingeprägt. Doch neben den Gangstern prägten auch die Flappergirls, jene jungen modischen Frauen mit Kurzhaarschnitten, die sich ausgelassen dem verbotenen Rausch hingaben und bei jeder Gelegenheit den Flachmann aus der Handtasche zückten, nachhaltig die Repräsentation der Ära. Die Prohibition leitete einen kulturellen Wandel ein; war der Saloon noch eine weitgehende Männerdomäne, so führte die Illegalisierung des Verkaufs von Alkohol zu einer Untergrundkultur der Flüsterkneipen (Speakeasies), in denen sich diese Geschlechtertrennungen weitgehend auflösten.

Die besondere Leistung von Welskopps Kulturgeschichte der Prohibition besteht darin, dass sie über diese ikonischen Repräsentationen hinaus eine sehr viel tiefer gehende Analyse anbietet. „Amerikas große Ernüchterung“ erfasst eine schier unglaubliche Fülle und viele Facetten der Prohibition und ihrer Auswirkungen. Das Buch ist in sieben Kapitel unterteilt, in denen Thomas Welskopp die Vielzahl von Konfliktlinien aufzeigt, die sich durch die Prohibitionsgesetzgebung aus rechtlicher, ökonomischer, kultureller, politischer und gesellschaftlicher Sicht ergaben. Selbst auf den ersten Blick nicht offensichtliche Verbindungen, wie die zwischen den einflussreichsten Lobbyorganisation der Prohibitionsbewegung, der „Anti-Saloon League“ (ASL) und ihrem „heimliche[n] Verbündete[n]“, dem Ku-Klux-Klan (S. 402). Auch hier zeigt sich, dass zuweilen merkwürdige Koalitionen im Kampf für die Prohibition eingegangen wurden. Beide Organisationen, der Klan und die ASL unterstützten den Kampf für das Frauenwahlrecht, wenn auch nur, um sich der Stimmen der Frauen zu versichern. Die Leserin erhält nicht nur einen Einblick in die kulturellen und sozialen Einschnitte der Ära, sondern auch in die medien- und verfassungsgeschichtlichen Aspekte der Prohibition.

Juristisch stand der 18. Verfassungszusatz im eklatanten Widerspruch zu einer Reihe von Grundrechten und Verfassungsprinzipien. Der Prohibitionsartikel war der einzige aus dem Katalog der Grundrechte, der nicht den Staat, sondern die Bürgerinnen und Bürger regulierte und der darüber hinaus die „Form einer drastischen und unilateralen Ausübung von Polizeigewalt“ enthielt (S. 57).3 Die Prohibition sollte qua Dekret einen gesellschaftlichen Sollzustand herbeiführen, der zu allererst moralisch begründet wurde. Welskopp zeigt überzeugend auf, wie die nationale Prohibition unter anderem deshalb durchgesetzt werden konnte, weil sich die massiv gestiegene Urbanisierung der Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht in der Repräsentation im Kongress niedergeschlagen hatte. Im Ergebnis bedeutete dies, dass eine relativ konservative Landbevölkerung einen einschneidenden Einfluss auf die tendenziell liberaleren, städtischen Ballungszentren hatte.

Eine Geschichte der Prohibition kann selbstverständlich nicht ohne die Geschichten von korrupten Polizisten, Maschinengewehren und glamourösen, über die Maße gut gekleideten Gangstern auskommen. Dennoch ist es erfrischend, dass Welskopp nicht mit dem immergleichen Bündel von Anekdoten zur Prohibition beginnt. Stattdessen zeigt er auf, wie die Kampagne der Anti-Saloon League sich aktiv der Anti-Immigrations-Rhetorik und des wissenschaftlichen Rassismus bediente. Anders als die Temperenzbewegung der 1870er-Jahre setzte sich die Kampagne für die nationale Prohibition weniger mit häuslicher Gewalt als Folge verstärkten Alkoholkonsums auseinander. Der Saloon wurde als Treffpunkt von Immigranten, Katholiken, Juden, African Americans und von insgesamt unerwünschten Subkulturen verteufelt und erhielt den Status eines „gastronomisch-politische[n] Komplex[es]“ (S. 37). Die kumulative Feindbildproduktion des frühen 20. Jahrhunderts und ihre Verbindung mit Alkoholkonsum ist gerade vor dem Hintergrund der unsäglichen Integrationsdebatte in Deutschland sehr aufschlussreich. Auch im Amerika der 1910er- und 1920er-Jahre glaubte man eine Vielzahl ‚nicht-integrierbarer‘ Individuen und Gruppen vorzufinden, darunter nicht zuletzt die Bier trinkende und Bier produzierende „fünfte Kolonne des Kaisers“, die deutschen Einwanderer (S. 47).

Nahezu zeitgleich mit Welskopps „Amerikas große Ernüchterung“ ist in den USA Daniel Okrents „Last Call: The Rise and Fall of Prohibition“ erschienen.4 Auch Okrent untersucht die nativistischen Aspekte der Prohibitionskampagne und zeigt auf, wie die Kampagne schließlich in einem Verfassungszusatz mündete. Besonders für die deutschsprachige Leser/innen/schaft versammelt Welskopps Buch jedoch alle wichtigen Aspekte aus der vielfältigen Literatur und den Quellen zum Thema Prohibition. „Amerikas große Ernüchterung“ ist eine umfassende, informative und interessante Kulturgeschichte der Prohibition.

In seiner „Gebrauchsanleitung“ (S. 7) hat Welskopp bereits eine Kritik an seinem Buch vorweggenommen, denn es ist in der Tat „ein dickes Ding“, dennoch, es lädt zu beidem ein, zum Querlesen ebenso wie zum intensiven Studium. Welskopps Geschichte der Prohibition ist bisweilen kurzweilig geschrieben und interessierte Laien kommen sicherlich ebenso auf ihre Kosten wie Historiker/innen und Studierende. Zu überprüfen bliebe allerdings noch, ob der Vater von John F. Kennedy, Joseph Kennedy, nun tatsächlich ein Bootlegger war oder nicht. Welskopp erzählt die Geschichte (S. 332f.), Okrent hingegen stellt sie in Frage und schreibt, dass es in den Quellen keinen Hinweis darauf gäbe.5 Bedauerlich aber verständlich ist, dass die bibliografischen Angaben nur in den Fußnoten und nicht in einer gesonderten Bibliografie vorhanden sind.

Anmerkungen:
1 Alkohol und besonders die Prohibitionszeit sind in der Literatur umfassend behandelt worden. Für einen Überblick über die verschiedensten Verwendungszwecke von Alkohol und die Kämpfe der Temperenzbewegungen von der frühen Republik bis ins 19. Jahrhundert vgl. William Rorabaugh, The Alcoholic Republic. An American Tradition, New York 1979; für eine geschlechtergeschichtliche Dimension vgl. Catherine Gilbert Murdock, Domesticating Drink. Women, Men, and Alcohol in America, 1870-1940, Baltimore 1998; für die Auswirkungen der Prohibition in New York vgl. Michael Lerner, Dry Manhattan. Prohibition in New York City, New York 2007.
2 David J. Hanson, Dry Counties, <http://www2.potsdam.edu/hansondj/Controversies/1140551076.html> (25.02.2011)
3 Zitiert in: Lamar T. Beman, Selected Articles on Prohibition. Modification of the Volstead Law, New York 1924, S. 219f.
4 Daniel Okrent, Last Call. The Rise and Fall of Prohibition, New York 2010.
5 Ebd., S. 369f.

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