C. Panayotakis (Hrsg.): Decimus Laberius, The Fragments

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Titel
Decimus Laberius, The Fragments. Edited with introduction, translation, and commentary


Herausgeber
Panayotakis, Costas
Reihe
Cambridge Classical Texts and Commentaries 46
Erschienen
Anzahl Seiten
XXIX, 512 S.
Preis
£ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Theologische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin

Selbst Studierende der Klassischen Philologie sind bei dem Namen Laberius mitunter überfragt. Und wer möchte es ihnen verdenken? Gerade einmal 90 Fragmente sind von diesem Zeitgenossen Caesars und Ciceros erhalten, insgesamt kaum mehr als 150 Verse. Und doch war er einer der einflussreichsten Autoren der späten römischen Republik und der wohl populärste Vertreter einer Literaturgattung, die zwar (ähnlich dem Roman) nie den Segen der antiken Literaturkritik fand, sich aber ungebrochener Beliebtheit erfreute: des Mimus.

Gegen Ende der Republik erlebt der auf griechischem Boden gewachsene und im Hellenismus zum Publikumsmagneten gewordene Mimus mit seinem Faible für Slapstick und Obszönitäten auch in Rom eine Blüte und wird zur populärsten Gattung des Bühnenspiels. Die Aufführungen zeigen bunte Alltagsszenen, in denen Herren und Sklaven, Krämer und Köche, Wursthändler und Wirtsleute, gehörnte Gatten und rührige Liebhaber die Bühne bevölkern (vgl. Ov. trist. 2,497–518). Doch bietet der Mimus mehr als nur Burleske. Der unbestechliche Blick auf das menschliche Treiben kann ihm satirische, ja moralische Züge verleihen. Und mitunter erzielt er eine eminent politische Wirkung. Zu literarischen Würden verhelfen ihm spätrepublikanische Autoren wie Publilius Syrus und – Laberius.

Wer sich mit Laberius befassen wollte, konsultierte bislang Otto Ribbecks klassische Edition in den Comicorum Romanorum Fragmenta (3. Aufl., Leipzig 1898), die dem Leser die bloßen Fragmente präsentiert, oder Mario Bonarias Romani Mimi (Roma 1965), die dem Text zwar eine italienische Übersetzung und philologische Erläuterungen zur Seite stellen, inhaltlich aber Etliches offen lassen. Nicht nur Philologen werden daher begrüßen, dass es nun eine Ausgabe gibt, die diesem eminenten Autor rundum gerecht wird; denn in Costas Panayotakis, der seit langem an der Universität Glasgow tätig ist und dem wir eine höchst lesenswerte Studie zu Petron verdanken 1, hat Laberius einen kongenialen Exegeten gefunden.

Konzise charakterisiert die große Einführung das Phänomen Mimus und verfolgt die Geschichte dieser Gattung von den griechischen Ursprüngen bis in die Spätantike. Die antiken Testimonien zu Laberius werden auf ihren historischen Gehalt geprüft. Zwanzig reiche Seiten gelten Laberius’ Sprache und Metrik. Zuletzt diskutiert Panayotakis die komplexe Quellenlage der Fragmente sowie ihre Editionsgeschichte seit Petri Crinitis editio princeps (Florenz 1505), in der Friedrich Heinrich Bothe (Poetae Scenici Latinorum, Bd. 5, 2: Fragmenta comicorum, Halberstadt 1824) und der erwähnte Otto Ribbeck zurecht Ehrenplätze einnehmen.

Hohes Lob verdient die Entscheidung, die Fragmente samt ihrem Kontext (bei Gellius, Macrobius, Nonius usw.) abzudrucken. So wird meist auf Anhieb klar, warum antike Autoren ein prägnantes Wort, einen Vers, eine Passage aus Laberius zitieren. Wie viele Informationen sich im Kontext oft verbergen, belegt der Kommentar auf fast jeder Seite. Damit nicht genug, übernimmt Panayotakis (anders als etliche Vorgänger) die Zitate nicht einfach aus den einschlägigen Editionen. Um den handschriftlichen Befund der Quellen so verlässlich wie möglich zu referieren, hat er die maßgeblichen Manuskripte durchgehend neu geprüft.2 Die Autopsie der Handschriften, die nüchterne Bewertung der zahlreichen Konjekturen, die seit der Renaissance zu Laberius vorgeschlagen wurden, die hellhörige Analyse der diffizilen Metrik, eine beneidenswerte Vertrautheit mit Fragen griechischer und lateinischer Phono- und Morphologie, aber auch mit dem Textkorpus der römischen Komödie und nicht zuletzt eine glückliche Hand für editorische Entscheidungen beschenken uns mit einem Laberiustext, der als neuer Standard gelten darf.

An Detektivarbeit erinnert die Sorgfalt, die Panayotakis den (nicht selten entstellt überlieferten) 44 Werktiteln angedeihen lässt, die oft den einzigen Fingerzeig zum möglichen Plot des Stücks liefern.3 Realien jeder Couleur werden in mitunter enzyklopädischer Breite traktiert, ob es sich nun um anschauliche Porträts einschlägiger Berufe (z.B. den „Wäscher“, fullo, S. 255–257) oder das Amt des Augurs (S. 135f.) handelt, um die römische matrona (218f.) oder das wenig schmeichelhafte Bild der Schwiegermutter im Mimus (S. 145f.). Der balearische Kranich (S. 261) wird ebenso liebevoll skizziert wie angesagte Speisefische (S. 402f.). Gelehrte Exkurse gelten der pythagoreischen Lehre (S. 160f.) oder der Geographie und literarischen Geschichte des Avernersees in Kampanien, der als Tor zur Unterwelt galt (S. 277f.). Und augenzwinkernd referiert der kretische Philologe die stereotypen Vorurteile der Römer gegenüber den Bewohnern jener Insel, die als habgierig, schlitzohrig und notorische Lügner galten (S. 236).4 Nicht minder kompetent werden Fragen der Grammatik und Metrik erörtert. Eine lehrreiche Lektüre bieten die Einlassungen zu den knapp 50 hapax legomena und Neologismen des Laberius (vgl. S. 63f.) – denen wir übrigens das Gros der Grammatikerzitate verdanken –, wie z.B. hilaria („Heiterkeit“) oder miserimonium („Elend“), praeviridans („vor Saft und Kraft strotzend“) oder testitrahus („hodenschleppend“), conlabellare („die Lippen schürzen“) oder puellitari („sich wie ein Mädchen aufführen“).

Schon diese Kostproben lassen ahnen, dass ungeachtet seiner literarischen Qualitäten und Ansprüche Laberius sich der sinnesfrohen Wurzeln des Mimus durchaus bewusst war – wie zum Beispiel fr. 15 (aus dem „Hündchen“), fr. 45 (aus dem „Palesfest“) oder fr. 36 (aus dem „Lacus Avernus“) plastisch belegen: „scinde una <cum> exoleto patienti catulientem lupam“ (in Panayotakis’ Übersetzung: „fuck the shit out of the bitch on heat along with the shagged-out old queen“, S. 276).5

Diese exzellente Ausgabe des maßgeblichen römischen Mimographen, die über Sprache und Metrik hinaus gerade auch die Bühnenqualität der Fragmente zu erhellen sucht, verspricht nicht nur Sprachwissenschaftlern und Liebhabern archaischer lateinischer Metrik vergnügliche Lesestunden, sondern auch dem Kreis derer, die sich für antikes Theater oder das Genre des Mimus erwärmen, oder für die gerade in jüngerer Zeit lebhaft diskutierte Frage, wie sich Mimus und andere Literaturformen wechselseitig beeinflussten. Vor allem aber wird sie ihr Teil dazu beitragen, den großen (Sprach-)Künstler und Stilisten neu zu würdigen, der Laberius ohne jeden Zweifel war.

Anmerkungen:
1 Costas Panayotakis, Theatrum Arbitri. Theatrical elements in the Satyrica of Petronius, Leiden 1995.
2 Problematisch ist die Präsentation der textkritischen Noten. Während der Apparat zu den Laberius-Fragmenten unter dem Text steht, sind die kritischen Anmerkungen zum antiken Kontext in den laufenden Text integriert. Gerade bei den vielen schlecht überlieferten Noniuspassagen führt dies nicht selten zu einem schier unleserlichen Wortsalat. Zwei separate Apparate unter dem Text hätten hier Wunder gewirkt.
3 In der Regel verweisen sie auf volkstümliche Berufe (z.B. „Der Seilhändler“ oder „Der Salzverkäufer“) oder römisches Alltagstreiben (z.B. „Die heißen Quellen“, „Der Kerker“ oder „Der Geburtstag“), auf Personen von auswärts (z.B. „Cretensis“, „Galli“ oder „Tusca“) oder komische Charaktere (z.B. „Der Vergessliche“ oder „Der Schmeichler“), aber auch auf religiöse Feste (z.B. „Parilicii“ und „Saturnalia“) oder mythische Stoffe (z.B. „Lacus Avernus“ und „Necyomantia“).
4 Dem Porträt der Galli (S. 263f.), die Panayotakis als Gallier oder Kybelepriester deutet, käme ein Verweis auf Martial (u.a. 3,81; 8,75) und Apuleius (met. 8,24ff.) zugute.
5 Den (nicht nur stilistischen) Gegenpol bildet Laberius’ berühmtes ‚Proöm‘ (fr. 90; wegen metrischer Auffälligkeiten hegt Panayotakis leichte Zweifel an der Authentizität dieser 27 Verse).

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