J. Hildebrandt: Gewerkschaften im geteilten Deutschland

Cover
Titel
Gewerkschaften im geteilten Deutschland. Die Beziehungen zwischen DGB und FDGB vom Kalten Krieg bis zur Neuen Ostpolitik 1955 bis 1969


Autor(en)
Hildebrandt, Jens
Reihe
Mannheimer Historische Forschungen 31
Erschienen
Anzahl Seiten
723 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Wilke, Berlin

Gewerkschaftsgeschichte hat in der derzeitigen historischen Forschung und Debatte nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Um so bemerkenswerter ist die vorliegende Dissertation von Jens Hildebrandt, die zeigt, dass die Disziplin mehr ist als nur Verbandsgeschichte oder gar die Selbstbespiegelung von Funktionären. Verdeutlicht doch diese asymmetrische „Parallel- und Abgrenzungsgeschichte“ zwischen den beiden sehr unterschiedlichen deutschen Gewerkschaftsbünden vor allem den Riss zwischen der kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im gespaltenen Deutschland. Der Autor konzentriert sich auf die Zeitspanne zwischen der Souveränität der beiden Teilstaaten 1955 und der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition 1969. Im Kalten Krieg – der vor 1955 begonnen hatte und nirgendwo 1969 endete – war die staatlich verfestigte Systemauseinandersetzung in Deutschland ein Konflikt, in dem „eine Nation um sich selbst kämpft“ (S. 55).

1955 ging es in der Deutschlandpolitik beider Staaten noch um die Wiedervereinigung, zumal das Thema weiterhin auf der Agenda der internationalen Politik stand. Beide Staaten beanspruchten, Kernstaaten für das ganze Land zu sein, und diesem Selbstverständnis folgten DGB und FDGB. Der DGB lehnte jeden Kontakt zum FDGB ab und sprach der SED-Massenorganisation den Charakter einer Gewerkschaft ab. Der Aktionseinheitspolitik des FDGB, die dieser in der Bundesrepublik mit sozialdemokratischen Gewerkschaftern zu etablieren versuchte, begegnete der DGB mit einem Kontaktverbot zu FDGB-Emissären für seine Funktionäre und Mitglieder. Zur Asymmetrie dieser konfliktorischen Beziehungsgeschichte gehört es, dass ein eigenständiges Agieren westdeutscher Gewerkschafter in der DDR ausgeschlossen war, galten sie doch den kommunistischen FDGB-Funktionären als „Reformisten“ und ihre programmatischen Überzeugungen als „Sozialdemokratismus“, für den sich im Alltag der DDR vor allem das MfS interessierte.

Trotzdem kam es auch in den 1950er-Jahren immer wieder zu politischen Kontakten von DGB-Gewerkschaftern zu FDGB-Funktionären. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der Konflikt im wirtschaftswissenschaftlichen Institut des DGB 1955, als dessen Leiter Victor Agartz und sein Mitarbeiter Theo Pirker entlassen wurden, weil sie in der Kampagne gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik mit Funktionären der SED zusammentrafen, um eine gemeinsame nationale Politik gegen die Westintegration der Regierung Adenauer zu beraten.

Erst im Schatten der Mauer und im Vorfeld der neuen Ostpolitik begannen auf Basis des Status Quo der Teilung die wechselseitige Anerkennung von DGB und FDGB. 1969 hob der DGB seinen Beschluss zum Kontaktverbot zum FDGB auf, dies geschah im Kontext der neuen Ostpolitik der SPD.

Der Autor hat den Anspruch, die geteilte Gewerkschaftsgeschichte in eine integrierte deutsche Nachkriegsgeschichte einzubetten. Mit seiner materialreichen Fleißarbeit betritt er nicht gerade Neuland, aber er zeigt überzeugend, wie wichtig dieser Ansatz ist, um die Konflikte zwischen der SED und SPD und DGB für die Nachgeborenen überhaupt begreifbar zu machen.

Entsprechend dem gewählten methodischen Ansatz sind die ersten beiden Kapitel dem Ursprung und der Entwicklung des deutsch-deutschen Beziehungskonflikts sowie der Einordnung der gespaltenen Gewerkschaftsgeschichte in diesen Kontext gewidmet. Der gewerkschaftliche Neubeginn fand in einem besetzten Land statt. Die Gründer des DGB entschieden sich für den Westen, für eine demokratische Einheitsgewerkschaft, und vertraten einen demokratischen Sozialismus. Zu dieser Gesellschaftskonzeption lieferten die SBZ und der totalitäre Machtanspruch der Kommunisten den negativen Gegenentwurf. Das Programm des FDGB wurde von der Gewerkschaftskonzeption der „Moskau Kader“ der KPD bestimmt. Walter Ulbricht, der spätere SED-Generalsekretär, wurde 1946 auf dem ersten Kongress des FDGB in dessen Bundesvorstand gewählt.

Das Buch folgt in seiner periodischen Gliederung den unterschiedlichen Phasen der wechselseitigen Deutschlandpolitik ab 1955. Die Hoffnung des DGB auf Wiedervereinigung bestand noch bis 1958. 1957 war seine Erklärung zur Wiedervereinigung noch das zentrale Thema seiner Maikundgebungen. In dieser Erklärung war die Sowjetunion die entscheidende Macht, die den Deutschen das Recht auf Selbstbestimmung verweigerte. Zur selben Zeit begann das Kontaktverbot zum FDGB innerhalb des DGB zu erodieren. Funktionäre der IG Druck und Papier hatten sich nach der Publikation des sowjetischen Friedensvertragsentwurfs für Deutschland im Januar 1959 mit Funktionären des FDGB getroffen, um mit ihnen über diesen Entwurf zu diskutieren. Dies führte zu heftigen Kontroversen im DGB.

Der FDGB musste nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 die neue sowjetische Linie der Politik der „friedlichen Koexistenz“ auf seine „Westarbeit“ übertragen. Das neue Schlüsselwort hieß fortan „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen FDGB und DGB. Noch waren aber im DGB die Kräfte politisch maßgebend, die an der Politik des Kontaktverbots und einer „Abwehrarbeit“ gegen kommunistische Infiltration – die KPD war 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten worden – sei es durch die illegale KPD oder den FDGB festhielten. Erst in den 1960er-Jahren befassten sich die deutschlandpolitischen Debatten im DGB mit der Normalisierung der Beziehungen auch zum FDGB.

Nach Chruschtschows Berlin-Ultimatum von 1958 waren die Jahre bis zum Mauerbau 1961 bestimmt durch Konfrontation. Eine konfrontative Atmosphäre herrschte damals vor allem in Berlin. Der DGB-Landesbezirksvorsitzende Ernst Scharnowski erwirkte im DGB einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die gleichzeitige Mitgliedschaft von SED- und FDGB-Mitgliedern in einer DGB-Gewerkschaft in West-Berlin. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten über 50.000 „Grenzgänger“ in West-Berlin, die in Ost-Berlin oder dem Umland wohnten. Der Mauerbau am 13. August 1961 forderte vom FDGB einen besonderen Beitrag zur Sicherung des SED-Staates, er sollte Streiks in den Betrieben gegen die Teilung Berlins durch Stacheldraht unterbinden. Die FDGB-Berichte notierten 36 Arbeitsniederlegungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Grenzabriegelung standen.

In dieser Phase der offenen Konfrontation bescherte der Protest gegen die Atomwaffen, zunächst gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr 1958, dann in der Form der sich entwickelnden Ostermärsche in der Bundesrepublik, der FDGB-Westarbeit eine neue Plattform für ihre Politik der Aktionseinheit. „Der FDGB versuchte hingegen von Anfang an auf die öffentliche Diskussion um die Atombewaffnung in der Bundesrepublik einzuwirken und den DGB zu außerparlamentarischen Aktionsformen gegen die Bundesregierung zu provozieren.“ (S. 263)

„Deutschlandpolitik im Schatten der Mauer“ überschreibt der Autor seine Darstellung der Jahre 1961 bis 1964. Die Entführung des IG Metall-Redakteurs Heinz Brandt durch das MfS aus West-Berlin im Sommer 1961 und der Mauerbau kurz darauf verfestigten die Konfrontation. Die Darstellung der Neuausrichtung der Westarbeit des FDGB bildet einen Schwerpunkt dieses Kapitels. Die neue Taktik des FDGB gipfelte darin, „in Westdeutschland mit der Programmatik der IG-Metall aufzutreten“(S.467). Mit den Auschwitzfahrten der IG Metalljugend 1960 begann im Namen der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS-Regimes die Durchlöcherung des Kontaktverbots zu den kommunistischen Staatsgewerkschaften. 1964 erlaubte der DGB-Bundesvorstand Fahrten zu „den Gedenkstätten des Naziterrors in den Ländern des Ostblocks“ (S. 452) – mit Ausnahme der DDR. Trotzdem war das Eis des Kontaktverbots gebrochen.

Knapp 160 Seiten umfasst das Kapitel, das der „Deutschlandpolitik als Ostpolitik“ gewidmet ist. Eingeleitet wird es durch die neue außenpolitische Konzeption Kennedys im Umgang mit der Sowjetunion und den Thesen von Egon Bahr zum „Wandel durch Annäherung“. Damit wird noch einmal der enge Zusammenhang zwischen den Diskussionen im DGB und jenen über die neue Ostpolitik der SPD unterstrichen. Im Mittelpunkt stehen die innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen im DGB um eine neue Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik und um die Anknüpfung von Beziehungen zwischen DGB und FDGB.

Das abschließende Kapitel widmet sich den Biografien jener Funktionäre, die im DGB die gewerkschaftliche Deutschlandpolitik formulierten oder im FDGB die Westarbeit organisierten.

Der Band stellt die konfliktorische Beziehungsgeschichte zwischen DGB und FDGB überzeugend als Teil einer integrierten deutschen Nachkriegsgeschichte dar.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch