Cover
Titel
Argula von Grumbach: Schriften.


Herausgeber
Matheson, Peter
Reihe
Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 83
Erschienen
Anzahl Seiten
168 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tilman Moritz, Historisches Institut, Universität Paderborn

Widerspruch öffentlich zu üben habe sie zunächst „mit schwermuetigkait vnderlassen; ursach, das Paulus sagt […]: Die weiber sölle[n] schweigen vn[d] nit reden in der Kirchen“ (S. 67). Dass die bayrische Adlige Argula von Grumbach (1492-1556/7) schließlich doch in offenen Briefen gegen die landesherrliche Kirchenpolitik und für die Reformation Stellung bezog, schien ihr unumgänglich, da sie „dyser artz kain man sehe, der reden wil noch darff“ (ebd.). Ganz bewusst also fiel sie aus der ihr – theologisch wie gesellschaftlich – zugewiesenen Geschlechterrolle. Genau diese Übertretung wiederum galt den Zeitgenossen als die eigentliche Sensation. Entsprechend groß war das mediale Echo auf den Protest, den Grumbach 1523 bei Herzog Wilhelm IV. von Bayern und der Universität Ingolstadt gegen die Verfolgung der lutherischen Lehre einlegte: Umgehend erschienen diese beiden ersten Schriften im Druck und erlebten binnen zwei Monaten bereits 15 Auflagen.

Umso überraschender ist, dass sich die Forschung bislang nur sporadisch mit Person und Wirken Argulas von Grumbach auseinander gesetzt hat. Die Unzugänglichkeit der Quellen, die teilweise in Hans-Joachim Köhlers Flugschriftensammlung erfasst sind1, mag ein wesentliches Hindernis gewesen sein. Allein dieses endlich auszuräumen ist bereits ein unschätzbarer Verdienst der hier anzuzeigenden Edition. Besorgt wurde sie von Peter Matheson, einem durch zahlreiche Veröffentlichungen ausgewiesenen Kenner der Materie.2 Diese Vertrautheit mit der Biographie Grumbachs, mit ihren Texten und deren zeitgenössischer wie moderner Rezeption schlägt sich nicht zuletzt in der großen Sorgfalt nieder, mit der die Edition eingerichtet wurde.

Insgesamt versammelt der Band acht Flugschriften Argulas von Grumbach.3 Hinzu kommt ein Abdruck der reformatorisch gefärbten „Siebzehn Artikel“, die der Ingolstädter Student Arsacius Seehofer verbreitet hatte und zu deren öffentlichem Widerruf er 1523 gezwungen wurde. Nicht zuletzt an diesem Vorgang entzündete sich Grumbachs ursprünglicher Protest, und dementsprechend wurden die Artikel einigen Auflagen ihrer ersten Schrift angehängt. Ganz überwiegend handelt es sich um kurze Texte – die Spanne reicht von anderthalb bis zwanzig Druckseiten –, die die Anlage als Brief erkennen lassen. Jedem Quellentext sind die Einordnung in den historischen bzw. biographischen Kontext, eine Zusammenfassung des Inhalts sowie umfängliche Bestandsangaben vorangestellt. Erlebte eine Schrift mehrere Auflagen, tritt ein Abschnitt zur Druckgeschichte hinzu. Erwähnenswert ist hier, dass in einigen Fällen auch handschriftliche Textzeugen aus der Entstehungszeit vorliegen; weisen sie doch auf eine – von Argula von Grumbach antizipierte, wenn nicht intendierte – Zirkulation der Schriften schon vor der Drucklegung hin. Die Wiedergabe der Texte folgt jeweils einer einzelnen Vorlage und wird von einem hilfreichen Anmerkungsapparat, getrennt nach textkritisch vergleichenden und sprachlich-inhaltlichen Erläuterungen, ergänzt. Hier ist dem Herausgeber insbesondere die Fleißarbeit hoch anzurechnen, Grumbachs ausschweifende Bibelexegese minutiös mit Stellenverweisen aufbereitet zu haben. Die Zitate sind darüber hinaus durch ein eigenes Register erschlossen, das zugleich einen optischen Eindruck von den stupenden Bibelkenntnissen der Autorin vermittelt.

Ebenfalls zu loben ist der Ansatz, die mediale Rahmung der Flugschriften einzubinden. So sind den ersten beiden Texten Abbildungen und kurze Erläuterungen einiger Titelholzschnitte beigegeben. Freilich beschränkt sich die Auswahl auf bildliche Darstellungen und die Analyse auf ikonographische Deutungen. Mediengeschichtliche Fragestellungen bleiben daher ausgeklammert. Generell aber kann von einem Mangel an Anschlussmöglichkeiten weiterer Forschung keine Rede sein. Schon das der Edition vorangestellte Literaturverzeichnis offenbart, dass sich Untersuchungen zu Argula von Grumbach bislang fast ausschließlich auf regional- oder kirchengeschichtliche Aspekte konzentrierten. Allenfalls gelang der gelegentliche Vorstoß in den Bereich der gender studies. Nahezu unbeleuchtet ist dagegen beispielsweise die Adlige, deren Selbstverständnis das öffentliche Auftreten durchdringt. Auch Grumbachs Radikalität, ob im Umgang mit obrigkeitlichen Instanzen, in ihrer Bildungsskepsis oder der Ablehnung von Gewalt, scheint noch nicht hinreichend in die geistigen Strömungen ihrer Zeit eingeordnet.

Für die Beantwortung dieser und anderer Fragen die definitive Grundlage geschaffen zu haben, ist die herausragende Leistung von Peter Matheson. Der Edition ist zu wünschen, dass sie nicht nur die Forschung, sondern vielleicht auch manches Hochschulseminar mit einem faszinierenden Gegenstand bereichern wird.

Anmerkungen:
1 Hans-Joachim Köhler (Hrsg.), Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts. 1501-1530, Leiden 1978-1987.
2 Exemplarisch sei verwiesen auf: Peter Matheson, Argula von Grumbach. A Woman’s Voice in the Reformation, Edinburgh 1995.
3 Nicht berücksichtigt ist die Privatkorrespondenz, die der Herausgeber an anderer Stelle teilweise ausgewertet hat: Peter Matheson, Form and Persuasion in the Correspondence of Argula von Grumbach, in: Jane Couchman / Ann Crabb (Hrsg.), Women’s Letters across Europe. 1400-1700, Aldershot 2005, S. 275-295.

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