R. Po-Chia Hsia: A Jesuit in the Forbidden City: Matteo Ricci

Cover
Titel
A Jesuit in the Forbidden City. Matteo Ricci, 1552-1610


Autor(en)
Po-Chia Hsia, Ronnie
Erschienen
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 37,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Nebgen, Seminar für Kirchengeschichte, Universität Mainz

Eine große Zahl von Ausstellungen und Publikationen sowohl in Europa als auch in Übersee würdigte anlässlich seines vierhundertsten Todestages das Lebenswerk des China-Missionars Matteo Ricci (1552-1610). Die zweifellos wichtigste der wissenschaftlichen Veröffentlichungen – soviel sei an dieser Stelle schon vorweggenommen – stellt die Biographie aus der Feder des renommierten Frühneuzeit-Historikers Ronnie Po-Chia Hsia dar. Die faszinierende historische Figur des Jesuitenmissionars findet in Po-Chia Hsia einen kongenialen Biographen, was nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken sein mag, dass dieser in Hongkong geboren wurde, seine akademische Ausbildung dann aber in Europa und den Vereinigten Staaten erhielt. Autor wie Protagonist der Studie teilen also die Erfahrung, sich in verschiedenen kulturellen Kontexten erfolgreich bewegt zu haben. Die große Sensibilität für die besonderen Herausforderungen, die einen solchen Lebensweg begleiten, ist eines der Elemente, die diese Biographie vor anderen auszeichnet. Hinzu tritt die sprachliche Kompetenz des Autors, die es ihm erlaubt, sich mit Leichtigkeit sowohl der in europäischen Sprachen verfassten als auch der chinesischen Quellen zu bedienen.

Weiterhin scheint Hsia – so lassen es zumindest die zahlreichen selbst aufgenommenen Fotografien erahnen – die verschiedenen Lebensstationen Riccis selbst bereist zu haben. Diese akribische und profunde Recherche prägt jedes einzelne Kapitel des Buches und lässt es zu einem wahren Lesevergnügen werden. Von Macerata, dem italienischen Geburtsort Riccis in den Marken, bis zum alten Missionarsfriedhof Zhalan in Peking, seiner letzten Ruhestätte, gelingt es Hsia in unnachahmlicher Weise, detailgenaue und plastische Beschreibungen des jeweiligen historischen Kontextes anhand verschiedenster Quellen zu geben. Es ist ein besonderer Verdienst der Studie Hsias, dass dieser dabei nicht nur die abendländische Perspektive als Hintergrund für Riccis Denken und Wirken beleuchtet, sondern gerade auch die Entwicklungen und Bedingungen der chinesischen Gesellschaft und ihren Einfluss auf das geistige wie geistliche Profil des Missionars beachtet. Hierdurch ergeben sich ganz neue Verstehenshorizonte, in denen insbesondere die Leistung und die wichtigen intellektuellen Impulse der chinesischen Diskussionspartner und hier vor allem der Konvertiten unter ihnen eine neue Wertung erhält. Jenseits irgendwelcher hagiographischen Tendenzen zeichnet Hsia hierbei das Profil eines Mannes, dessen Handeln oft genug von Scheitern und ständigen Selbstzweifeln geprägt gewesen zu sein scheint. Hierzu zählt etwa Riccis Unbehagen unter den europäischen Kolonisten sowohl in Goa als auch später in Macao, oder aber auch seine Positionierung hinsichtlich eines schleichenden Rassismus gegenüber den indischen und chinesischen Neuchristen auch innerhalb des eigenen Ordens (S. 49).

Dass der humanistisch ausgebildete Jesuit sich im Kreis der chinesischen Beamten und Gelehrten besonders wohl fühlte und hier sein apostolisches Arbeitsfeld finden sollte, war wohl nicht allein einer missionarischen Strategie geschuldet als vielmehr der persönlichen Neigung und dem Respekt vor den Errungenschaften der chinesischen Kultur. An vielen Beispielen kann Hsia aufzeigen, wie Ricci selbst als bereitwillig Lernender in einem dialogischen Verhältnis zu seinen chinesischen Gesprächspartnern und Schülern stand. Jaques Gernets Rede von einem „großen Missverständnis“ hinsichtlich der Versuche Riccis, die Botschaft des Evangeliums in die chinesische Sprache und in das vor allem durch die Lehren des Konfuzianismus geprägte chinesische Denken zu übersetzen 1, wird insofern durch Hsias Studie relativiert. Andererseits macht die vorliegende Biographie deutlich, wie nachhaltig irritierend das erste Auftreten der europäischen Missionare als „getarnte“ buddhistische Mönche aus Perspektive der chinesischen Gelehrten war. Gerade in den ersten Jahren in Zhaoqing präsentierte sich die Gruppe rund um Michele Ruggieri ganz deutlich als aus Indien kommende religiöse Reformbewegung, womit sie sich selbst in die alte buddhistische Tradition einordnete. Auch die Übernahme zahlreicher Begrifflichkeiten aus dem Kosmos der buddhistischen Lehre zur Übersetzung der christlichen Botschaft verstärkte diesen Eindruck bei den Chinesen. Als Ricci sich später massiv vom Buddhismus abzugrenzen versuchte und in den ethischen Maßgaben des Konfuzianismus gleichsam Spuren eines „anonymen Christentums“ zu finden glaubte, entstand eine bleibende Irritation, die auch von Ricci erst aufgearbeitet werden musste. Insbesondere im zehnten Kapitel seines Buches, in dem sich Hsia intensiv mit dem wichtigsten Werk Riccis „Die wahre Bedeutung der Lehre des Herrn des Himmels“ auseinandersetzt und grundlegend in das Denken des Missionars im Dialog mit der chinesischen Geistesgeschichte einführt, zeigt er auf, wie dieser Prozess zu einer dauerhaften Konfrontation mit den verschiedenen buddhistischen Schulen führte. Schade, dass an dieser Stelle die wichtigen Forschungen Iso Kerns keine stärkere Berücksichtigung durch Hsia finden konnten.2

In einem umfassenden Epilog (S. 287-308) wird schließlich der historische Bogen zwischen dem Wirken Riccis als Dolmetscher in der europäisch-chinesischen Kulturbegegnung im 16. Jahrhundert und der Bedeutung seines Erbes für die heutige Situation gespannt. Der Umstand, dass insbesondere in China ein verstärktes Interesse an diesen frühen Kulturbeziehungen und der Übersetzungsleistung Riccis wie seines chinesischen Schülerkreises festzustellen ist, macht deutlich, wie aktuell und von welch hoher Relevanz das dialogische und durch gegenseitigen Respekt geprägte Modell kultureller Begegnung nach wie vor sein kann. Die vorliegende Biographie aus der Feder Ronnie Po-Chia Hsias dürfte im Hinblick auf jede weitere Beschäftigung mit der Person Matteo Riccis den Standard setzen. Dies gilt nicht nur aufgrund ihrer akribischen und quellennahen Darstellung und Analyse, sondern auch wegen der unbestreitbaren literarischen Qualitäten des Autors, durch welche die Lektüre zu einem reinen Vergnügen wird.

Anmerkungen:
1 Jaques Gernet, Christus kam bis nach China, Zürich u.a. 1984.
2 Iso Kern, Buddhistische Kritik am Christentum im China des 17. Jahrhunderts, Bern u.a. 1992.

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