C. Collado Seidel: Die Basken

Titel
Die Basken. Ein historisches Portrait


Autor(en)
Collado Seidel, Carlos
Reihe
Beck`sche Reihe
Erschienen
München 2010: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 12,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jesus Casquete, Dpto. Derecho Constitucional e Historia de la Teoría Política, Universidad del País Vasco, Leioa

Es ist kein Leichtes, die Geschichte eines Volkes in weniger als 200 Seiten zu umreißen. Genauso verhält es sich mit den Basken, einem Volk mit einer Jahrtausende alten Geschichte, um das sich eine Vielzahl ungelöster und möglicherweise nicht lösbarer Rätsel ranken, durch dessen Gebiet immer wieder neue Grenzen verliefen, und das symbolträchtige Merkmale aufweist, deren Deutung sich je nach Zeitumstände veränderte: Wie definiert sich überhaupt die baskische Identität? Treten hierbei ethnische Aspekte in den Vordergrund? Steht hierfür eher die baskische Sprache, oder handelt es sich hierbei um ein herkunftsunabhängiges kulturell begründetes Gefühl der Zugehörigkeit? Das Baskentum umgibt letztlich allzu viel Unbekanntes. Entsprechend brachte es Kurt Tucholsky auf einer Reise entlang der Pyrenäen im Jahr 1925, die im Baskenland ihren Anfang nahm, auf den Punkt: “Man weiß nicht, wer sie sind, weiß nicht, woher sie stammen, was für eine Sprache das ist, die sie sprechen – nichts.” Dieser Satz fasst in unvergleichlicher Weise die Aura des Mysteriums zusammen, das den Ursprung dieses Volkes und die Insellage des Verbreitungsgebietes der baskischen Sprache umgibt. Keinem Linguisten ist es bislang gelungen, eine Verwandtschaft des Baskischen mit einer anderen bekannten Sprache nachzuweisen.

Das Buch von Carlos Collado Seidel nimmt den Leser mit auf eine Reise von den fernen Ursprüngen der Basken bis in die Gegenwart hinein. Es handelt sich um eine gelungene Synthese. Konzis und präzise, ohne sich in Überflüssigem zu ergehen, geht der Autor auf jene Ereignisse und zentralen Aspekte ein, die die Geschichte der Basken geprägt haben. Die acht Kapitel des Buches können in zwei Blöcke unterteilt werden: In dem ersten, der vier Kapitel umfasst, skizziert der Autor zunächst die verschiedenen Theorien zur Herkunft der Basken und zu den vorgeschichtlichen Ursprüngen der Sprache. Hier werden auch die Jahrhunderte zwischen der weitgehend ausbleibenden Romanisierung in der Antike, dem mittelalterlichen Feudalsystem und den Karlistenkriegen des 19. Jahrhunderts durchschritten. Dieser erste Abschnitt ist von besonderer Bedeutung, weil die als Sternstunden wahrgenommenen Ereignisse dieser Zeitspanne die Mythologie des späteren baskischen Nationalismus begründen werden. Hierzu gehört die Regierungszeit von Sancho el Mayor als König von Navarra im 11. Jahrhundert, als der gesamte baskische Siedlungsraum, der sich heutzutage auf sieben Provinzen und zwei Staaten verteilt, zum einzigen Mal politisch vereint war. Hierzu gehören auch der Mythos des Universaladels, der auf dem Konzept der Blutreinheit der Basken beruhte, sowie die Interpretation des baskischen Foralsystems als protodemokratischem Regierungssystem und als Abkommen zweier gleichberechtigter Partner: der Krone Kastiliens und den baskischen Territorien. Stets handelt es sich hierbei um aus der Retrospektive heraus gedeutete Konstrukte historischer Prozesse, die auf die Eigenarten bei der Konfiguration des historischen Gedächtnisses zurückzuführen sind; die Geschichtskonstruktion entsteht aber vor allem im Dienste der Interessen und der Bedürfnisse späterer politischer Akteure. Diesbezüglich ist positiv hervorzuheben, dass der Autor der vorliegenden Studie angesichts eines Geschichtsfeldes, das gegensätzliche und sogar gänzlich unvereinbare Deutungen hervorgebracht hat, guter historiographischer Praxis entsprechend dem Leser unterschiedliche Interpretationen aufzeigt und sich dabei, abgesehen von jenen Fällen, in denen die wissenschaftliche Erkenntnis eine eindeutige Sachlage bietet, keine interessensgeleiteten Präferenzen zeigen.

Während der baskische Raum nördlich der Pyrenäen eine vollständige institutionelle Homogenisierung innerhalb Frankreichs bereits in der Folge der revolutionären Ereignisse des Jahres 1789 erfuhr, führten die beiden Karlistenkriege, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts auf baskischem Boden ausgetragen wurden, ebenfalls zu einer Einpassung des baskischen und des navarresischen Foralsystems in den im Geiste des Liberalismus entwickelten nationalen spanischen Verfassungsrahmen. Dies stellt einen Wendepunkt in der Geschichte des Baskenlandes dar. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts gewinnt hier wiederum ein Modernisierungsprozess an Dynamik, dessen Intensität und Geschwindigkeit im innerspanischen Vergleich einzigartig sind. Er erfasst die beiden baskischen Küstenprovinzen Vizcaya und Guipúzcoa und bewirkt eine nachhaltige Industrialisierung, Verstädterung, Immigration von Arbeitskräften sowie Säkularisierung der Gesellschaft. Hier setzen jener Wohlstand und jene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein, die das Baskenland von anderen Gegenden Spaniens abheben. Diese Etappe bietet darüber hinaus den Schlüssel, um die jüngste baskische Geschichte und vor allem die Entwicklung in der durch Vizcaya, Guipúzcoa und Álava gebildeten Autonomen Gemeinschaft Euskadi zu verstehen (Navarra stellt indes ein eigenes Autonomiegebiet dar; die französischen Provinzen des Baskenlandes befinden sich wiederum innerhalb des Département Pyrénées Atlantiques und bilden keine eigenständige politische Einheit).

Als Reaktion auf diesen rasanten sozialen Wandel entsteht nämlich der baskische Nationalismus als politische Bewegung: 1895 gründet Sabino Arana den Partido Nacionalista Vasco (PNV) mit einer gegenläufigen und exkludierenden Botschaft. Während die baskische Sprache dabei zunächst noch nicht im Vordergrund steht, werden die katholische Religion und die Rasse zu den Wesenselementen der baskischen Identität erhoben. Ab diesem Zeitpunkt wird es im weiteren historischen Verlauf nicht mehr möglich sein, sich der Strahlkraft des baskischen Nationalismus zu entziehen. Innerhalb weniger Jahrzehnte gewinnt dieser rasant an Bedeutung und entwickelt sich in den beiden an der Küste gelegenen Provinzen Vizcaya und Guipúzcoa zur dominierenden und zuweilen sogar hegemonischen politischen Kraft. In Navarra sowie in Álava bleibt er allerdings eine minoritäre und auf französischer Seite eine lediglich vereinzelt wahrnehmbare Erscheinung. Die Positionierung des baskischen Nationalismus auf Seiten der Republik und damit gegen die franquistische Erhebung im Jahr 1936 wird im Ergebnis das gleiche Schicksal zeitigen, das auch der Sozialismus als weitere große im Bürgerkrieg unterlegene politische Bewegung erlitt.

Es folgten vier lange Jahrzehnte als Durststrecke, in die aber auch die Geburt im Jahr 1959 und der Aufstieg der Terrororganisation Euskadi ta Askatasuna (ETA) fielen. Diese sollte wiederum in den letzten Jahren der Diktatur an Protagonismus gewinnen und darüber hinaus das politische Leben im seit 1977 demokratisch verfassten Spanien prägen. Innerhalb des neuen demokratischen Gemeinwesens sollten die politischen Gemeinschaften von Euskadi und Navarra alsbald auch einen weitreichenden Autonomierahmen und damit Kompetenzen erhalten, die sogar jene innerhalb typischer föderaler Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland bei weitem übertreffen. So verfügen beide Autonomen Gemeinschaften im Rahmen eines in Spanien einzigartigen Finanzabkommens (Concierto Económico) über die Steuerhoheit. Im Zuge periodisch neu ausgehandelter Verträge wird wiederum eine Finanzquote festgesetzt, die der Staatskasse überwiesen wird. ETA ist auch ein halbes Jahrhundert nach der Gründung aktiv, und obgleich sich die Terrororganisation aufgrund der durch die Zivilgesellschaft und die Politik unternommenen Anstrengungen zur Entlegitimierung des „Kampfes“ sowie aufgrund der Fahndungserfolge der Sicherheitsorgane gegenwärtig im Siechtum befindet, stellt sie die gravierendste Anomalie innerhalb eines Landes dar, das mit den blühendsten europäischen Regionen auf Augenhöhe steht. Im September 2010 erklärte ETA das Ende des Terrors. Mit einem tatsächlichen dauerhaften Ende der politisch motivierten Gewalt und der damit einhergehenden Befreiung von für moderne zivilisierte Gesellschaften anachronistischen Bedrohungen sollte sich jenseits der Ergebnisse des Buches ein Szenario eröffnen, das auf eine Normalisierung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens weist. Innerhalb einer globalisierten Welt und ohne die mit der terroristischen Bedrohung verbundene Nötigungssituation wären die Basken aber auch gezwungen, ihre Identitätszeichen zu überdenken und neu zu erfinden.

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