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Titel
Kleine deutsche Museumsgeschichte. Von der Aufklärung bis zum frühen 20. Jahrhundert


Autor(en)
Hartung, Olaf
Erschienen
Köln 2010: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 167 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Thiemeyer, Deutsches Literaturarchiv Marbach; Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft Tübingen, Projekt wissen&museum

Das 19. Jahrhundert gilt gemeinhin als Gründerzeit des modernen Museums. Dieser Epoche, in der das Bürgertum und der Glaube an die Bedeutung der Geschichte erblühten, hat der Gießener Geschichts- und Museumsdidaktiker Olaf Hartung eine Kleine deutsche Museumsgeschichte gewidmet, die auf schlanken 111 Text-Seiten das Museum als gesellschaftlichen Faktor untersucht. „Dieses Buch möchte das Phänomen Museum nicht an seiner Oberfläche beschreiben, sondern am Beispiel der Gründung repräsentativer deutscher Museen die Anfänge des modernen Museumswesens und der dahinter liegenden Ursachen und Motive beleuchten.“ (S. VII) Entstanden ist eine kenntnisreiche Einführung in die frühe deutsche Museumsgeschichte, die Museen unterschiedlicher Fachrichtungen in den Blick nimmt und die Hartung übersichtlich in drei Teile gegliedert hat: In eine überblicksartige Zusammenschau begrifflicher und historischer Entwicklungspfade des Museums im 19. Jahrhundert („Vielfalt der Museen“), in eine Geschichte der vom Autor freigelegten sieben Museumstypen dieser Zeit („Museumstypen und Museumsgründer“) und in einen knappen Ausblick.

Hartungs Buch steht fest auf dem Boden der „Geschichtskultur“, also jener „praktisch wirksamen Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft“1, die das tägliche Handeln beeinflusst. Folgerichtig untersucht er seine Museen als soziale Phänomene, die maßgeblich durch den Historismus in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft geprägt wurden. Und er stellt deutlich heraus, dass das Museum eine bürgerliche Institution ist, die helfen sollte, bürgerliche Vorstellungen von der umfassenden Bildung des Menschen oder der Leistungsgesellschaft (als Gegenmodell zur Standesgesellschaft) durchzusetzen. Ziel vieler Museen sei es gewesen, eine staatsbürgerliche Gemeinschaft zu schaffen, die sich von den Lebensentwürfen des Adels klar abgrenzte. Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 habe sich die politische Euphorie allerdings deutlich abgekühlt.

Leider lässt sich diese Feststellung mit Hartungs thesenstarker Darstellung nicht prüfen, denn die Frühphase der deutschen Museumsgeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt kaum vor. Das ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass sich das moderne Museum in Europa im Zuge der Gründung der Nationalstaaten entwickelt hat, was das Zentrum einer Museumsgeschichte für das deutsche Kaiserreich – die Kleine deutsche Museumsgeschichte ist nämlich eine kleindeutsche Museumsgeschichte – in die Zeit um 1871 verschiebt. Befördert wird diese zeitliche Verschiebung durch die Systematik der Darstellung, die ihren Hauptteil in sieben Museums-Gattungen unterteilt: Kunstmuseen, Gewerbemuseen (die vor allem Kunsthandwerk ausstellten), kulturhistorische Museen, Heimatmuseen, Volks- und Völkerkundemuseen, naturwissenschaftliche und technische Museen sowie Sozial- und Wirtschaftsmuseen (Museen zu aktuellen Themen wie Arbeitsschutz, Hygiene oder Fragen der Wirtschaftsordnung). Da die Spezialisierung vieler Museen erst im Laufe des 19. Jahrhunderts einsetzt, fallen die Vorformen und frühen Mischformen des Museums, die so schwer zu systematisierenden Übergänge von der Kunst- und Wunderkammer und den fürstlichen Sammlungen zum Museum, durchs Raster. Wie überhaupt die Anfänge des „modernen Museums“ im Dunkeln bleiben. Die apodiktische Behauptung, diese liegen im frühen 19. Jahrhundert, hat seit Bénédicte Savoys Buch über die Kunstgalerien im 18. Jahrhundert zumindest ernsthafte Gegenargumente erhalten.2

Nun liegt es in der Natur einer schlanken Einführung, nicht jede Debatte nachzeichnen zu können und sich Verkürzungen zu erlauben. Hartung hat diesen Mut zur Kürze. Insbesondere der erste Teil der Darstellung überzeugt als konzentrierte Synthese, die akzentuiert die großen Linien der Museumsentwicklung im Kontext der deutschen Gesellschaft nachzeichnet und sich an thesenartige Zuspitzungen wagt. Dabei versucht der Autor immer wieder, zu allgemeingültigen Aussagen zu kommen. Diese sind im Einzelfall diskutabel, fügen die einzelnen Institutionengeschichten aber zu einer kohärenten Museumsgeschichte, ohne die Unterschiede, Brüche und Widersprüche zu verdecken.

Aus der hier geleisteten Zusammenschau treten durch den Vergleich unterschiedlicher Museumsgattungen wichtige Gemeinsamkeiten deutlich hervor: So spaltete der vermeintliche Gegensatz zwischen „hoher Kunst“ und populärer Kultur (Alltags- und Kontextobjekte) nicht nur die Kunst- und Gewerbemuseen, die vor allem Kunsthandwerk ausstellten, sondern betraf ebenso die Volkskundemuseen, Heimat- und (kultur-)historischen Museen, in denen die Volkskunde mit ihrer Expertise für die alltäglichen Sachzeugnisse den Universitätshistorikern den Rang ablief. So etablierten sich museumspädagogische Ansätze gegen Ende des 19. Jahrhunderts in allen Museumsgattungen, und Evolutions- bzw. Fortschrittstheorien wurden zu Masternarrativen zahlreicher Präsentationen. Unverständlich bleibt vor diesem Hintergrund, warum das Buch die naturkundlichen Museen kaum würdigt.3

Stark ist Hartungs Kleine deutsche Museumsgeschichte, wo sie das Museum in die deutsche Gesellschaftsgeschichte einbettet, die ideologischen Absichten seiner (bildungsbürgerlichen) Betreiber freilegt und die unterschiedlichen Befunde zu großen historischen Linien zusammenführt. Zu ihren Schwachpunkten gehört, dass sie sich mit Fragen der visuellen Kultur, der Erziehung zum (Neuen) Sehen oder den Gesten des Zeigens nicht lange aufhält.4 Die überraschende These, die sich abseits der bekannten Pfade aus einem Detail entwickeln ließe oder wahrnehmungstheoretisch ansetzt, ist ihre Sache nicht. Die Einzelbefunde sind in der Regel erwartbar, ihre Verknüpfungen zuweilen originell. Hartung ist mehr Sammler, denn Sucher, trägt zusammen, statt zu wühlen, ordnet, statt zu entdecken und entdeckt dann doch Neues durch die Zusammenschau disparater Entwicklungen. Die gemeinsame Darstellung unterschiedlicher Museumstypen, ihre Systematisierung und die Aufräumarbeit, die der Autor leistet, sind die wichtigsten Leistungen dieser kurzen und guten Einführung in die Anfänge der deutschen Museen.

Anmerkungen:
1 Jörn Rüsen, Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: Jörn Rüsen / Klaus Füßmann / Theo Grütter (Hrsg.), Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Weimar 1994, S. 3-26, S. 5.
2 Bénédicte Savoy (Hrsg.), Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701-1815, Mainz 2006.
3 Einschlägig hierzu Carsten Kretschmann, Räume öffnen sich. Naturhistorische Museen im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Berlin 2006. Kretschmann relativiert die Rolle der Evolutionstheorie als vorherrschenden Ansatz in den naturkundlichen Museen des 19. Jahrhunderts; vgl. ebd., S. 289.
4 Vgl. hierzu Jonathan Crary, Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert, Dresden 1996; ferner auch die weitreichenden politischen Konsequenzen, die Tony Bennett dem Museum als visueller Erziehungsanstalt zugesteht: Tony Bennett, The birth of the museum. History, theory, politics, London 1995.

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