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Titel
Kalifat und Königtum. Herrschaftsrepräsentation der Fatimiden, Ottonen und frühen Salier an religiösen Hochfesten


Autor(en)
Oesterle, Jenny Rahel
Reihe
Symbolische Kommunikation in der Vormoderne
Erschienen
Anzahl Seiten
407 S.
Preis
€ 49,90 (WBG); € 79,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Almut Höfert, Historisches Seminar, Universität Basel

Transkulturell angelegte Vergleiche sind besonders vertrackt. In der methodischen Debatte ist zu Recht auf die Gefahr hingewiesen worden, dass Vergleiche durch die Setzung ihrer Vergleichseinheiten die Grenzen von Nationen oder Kulturen – in diesem Fall zwischen „Europa“ und dem „Islam“ – eher verstärken als relativieren, wenn die komparative Perspektive nicht durch Elemente verflochtener Geschichte ergänzt wird. Allerdings gerät der Vergleich hier zu Unrecht allein ins Kreuzfeuer der Kritik – auf jede Europageschichte, jede Überblicksdarstellung über die Geschichte des Islams, auf transkulturelle Migrationsgeschichten und Kulturtransferanalysen trifft zu, dass sie mit historiographischen Kulturgrenzen arbeiten und diese damit direkt oder indirekt untermauern können. Die Überwindung des Eurozentrismus (und anderer Ethnozentrismen) ist ein langwieriges, schwieriges und methodisch faszinierendes Projekt, in dem der Vergleich an der Seite der Entangled History weiterhin seinen Platz haben wird, auch gerade weil durch ihn so viele Grundsatzfragen ans Licht kommen.

Jenny Oesterle hat sich mit ihrer Studie daher an ein risikoreiches Pionierprojekt gewagt. Die in Münster entstandene Dissertation knüpft an die dortige Ritualforschung an und entstand im Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“ sowie dem Münsteraner Sonderforschungsbereich „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution.“ Bei dieser Arbeit handelt es sich um die erste Untersuchung überhaupt, die die Fatimiden als Vergleichseinheit zu Dynastien im lateinischen Mittelalter heranzieht – unter anderem deshalb, weil sie gemeinhin nicht als „typisch“ islamische Dynastie gelten. Die Fatimiden, die 909 im Maghrib als schiitisch-ismailitische „Imam-Kalifen“ den Abbasiden in Bagdad die Universalherrschaft über die islamische Welt streitig machten und sich 969 mit der Gründung Kairos im Mittelmeerraum als Großmacht etablierten, werden jedoch zu Unrecht als schiitischer Sonderfall in einer vermeintlich sunnitisch dominierten islamischen Welt eingestuft: Erstens trug das Gegenkalifat der Fatimiden maßgeblich dazu bei, die erst ab dem 9. Jahrhundert überhaupt fassbaren Grenzen zwischen Schiiten und Sunniten zu konsolidieren, zweitens sah es im „schiitischen (= 10.) Jahrhundert“ vor den Eroberungen der Seldschuken eher danach aus, als ob die islamische Welt mehrheitlich schiitisch, nicht sunnitisch werden würde. Die Fatimiden waren daher keine Ausnahmeerscheinung, sondern bestimmten als islamische Großmacht maßgeblich die Zeitläufte – ein Vergleich mit den zeitgenössischen lateinischen Kaisern verspricht daher, spannend zu werden.

Da die Fatimiden keine nachweisbaren direkten diplomatischen Kontakte zu den Ottonen und Saliern hatten, kann sich Oesterle nicht auf das derzeit als sicher gepriesene Terrain der Verflechtungsgeschichte zusätzlich methodisch stützen. Stattdessen wählt sie eine interessante Alternative als Einstieg: Sie beginnt zunächst mit zeitgenössischen Vergleichen und zeigt, wie sowohl auf der lateinischen (Jakob von Vitry, Wilhlem von Tyrus) als auch der arabischen (Ibn al-Athir, Ibn Khaldun) Seite der (abbasidische) Kalif mit dem Papst verglichen wurde und erörtert dabei methodische Grundsatzfragen. In einem zweiten Schritt geht sie von Byzanz als für beide Seiten wichtige Bezugsgröße aus und vergleicht eine arabische und eine lateinische Außensicht aus dem 10. Jahrhundert auf die Festkirchgangsprozession des byzantinischen Kaisers. Während der ottonische Gesandte Liudprand von Cremona dieser Prozession jegliche rituelle Kohärenz abspricht und einen aufgeblasenen, kriechenden Kaiser inmitten schäbig gekleideter Höflinge als negatives Gegenbild zum ottonischen Hof zeichnet, zeigt Harun ibn Yahya in seiner bewundernden Beschreibung ein ausgesprochenes Interesse vor allem für jene Teile des Rituals, die für arabische Herrscherfestzüge charakteristisch waren.

Im zweiten Kapitel analysiert Oesterle zunächst die fatimidischen Herrscherprozessionen und geht dabei über die allgemeine Ritualstudie von Patricia Sanders hinaus.1 Die Prozessionen des ersten Fatimidenkalifen in Kairo weisen bereits wesentliche Elemente der fatimidischen Herrschaftsrepräsentation in Ägypten auf: Der Imam-Kalif erschien einerseits als ismailitischer Imam und damit religiöses Oberhaupt, andererseits als Kalif und weltlicher Herrscher aller Untertanen, die mehrheitlich Christen und Sunniten waren. Unter al-Aziz (975-996) kam es zu einer gleichzeitigen Militarisierung und Liturgisierung der Prozessionen. Für den Kalifen al-Hakim (996-1021) schließt sich Oesterle der vor allem von Heinz Halm vorgegebenen Linie an 2, in der wechselhaften Religionspolitik des Kalifen bestimmte Grundmuster auszumachen und analysiert die gleichfalls radikalen Wandlungen der Herrscherrepräsentation in diesem Kontext, schöpft aber das Potential dieser für den Forschungsblick grandiosen Konstellation nicht ganz aus. Überdies hätte sich hier ein guter Ansatzpunkt geboten, um mit der Einbeziehung der harschen antichristlichen Politik al-Hakims auf die insgesamt eher knapp gehaltene Thematik der nichtmuslimischen Untertanen schlaglichtartig einzugehen. Nach der Restauration unter al-Zahir (1021-1036) spiegelten die spätfatimidischen Prozessionen die Position des Wesirs als inzwischen eigentlichen Machthaber und die gestiegene Bedeutung der Militärtruppen wieder, während der Kalif seine zeremonielle Vorrangstellung mit exklusiven Elementen behielt.

Anschließend zeichnet Oesterle eine ähnlich zunehmende rituelle Verdichtung der Herrschaftsrepräsentation unter den Ottonen und frühen Saliern nach. In den 960er-Jahren kam es zu wesentlichen Veränderungen, wobei die schriftliche Fixierung in den ordines nicht zu einer rituellen Erstarrung, sondern zu lokal flexibel gestalteten Varianten führte. Dabei bildete sich neben der eigentlichen Krönung und den üblichen Festkirchgängen die Festkrönung (= wiederholte Krönungen an hohen Festtagen) als neues Ritual heraus, das im Rahmen der zunehmenden Liturgisierung stand. Bei der Krönung Konrads II. 1024 stellt Oesterle den Bericht des salischen Hofkaplans Wipo in ein neues Licht: Auf der Prozession zur Krönungsmesse befasst sich der künftige König trotz der zur Eile drängenden Kleriker mit dem Anliegen einer Witwe. Damit integriert Konrad einen Akt weltlicher Herrschaftsausübung in die liturgische Handlung und erweist sich in seiner Sorge um Witwen und Waisen als würdiger vicarius Christi, der durch die folgende Salbung Anteil am Priestertum erhält und über die Sterblichen erhöht wird. Der weltlich-geistliche Doppelcharakter der ottonisch-frühsalischen Könige entfaltete sich im Reich mit Klerus und weltlichem Adel unter ganz anderen Voraussetzungen als die weltlich-geistliche Doppelrolle der fatimidischen Imam-Kalifen, führte aber im Ritual zu strukturell ähnlichen Auszeichnungen des gottnahen, von den Sterblichen abgehobenen Herrschers.

Das dritte Kapitel vergleicht direkt die jeweils involvierten Herrschaftsräume bei Fatimiden einerseits und den Ottonen und frühen Saliern andererseits. Während im ausgeprägten schiitischen Priesterkönigtum der fatimidische Imam durch seine Anwesenheit Palast und Moscheen heiligte, waren die Ottonen und frühen Salier auf die Weihehandlungen des Klerus angewiesen. Das vierte Kapitel über „Herrschaftszeiten“ stellt das gemeinsame, kontinuierlich gesteigerte Interesse an religiösen Hochfesten für die Herrschaftskonzeptionen heraus.

Durch die kluge Struktur der Darstellung verhindert Oesterle, in die Falle falscher Gleichsetzungen zu geraten. Die Unterschiede zwischen beiden Seiten waren beträchtlich und erhalten ihren Raum: Die unterschiedlichen Gruppen von Akteuren einschließlich des Gegensatzes der multireligiösen Bevölkerung im zentralistischen Fatimidenreich und der religiösen Einheitlichkeit im polyzentrischen ottonisch-salischen Reich schufen sehr verschiedene gesellschaftliche Kontexte. Überdies sollte die beträchtliche materielle Asymmetrie nicht vergessen werden, in der sich die ottonisch-salischen Preziosen vor dem immensen Reichtum am fatimidischen oder byzantinischen Hof überaus bescheiden ausnehmen – ein Umstand, der Liudprand unangenehm aufgefallen sein mag. Die strukturellen Gemeinsamkeiten, die Oesterle herausarbeitet, sind daher erstaunlich: Auf beiden Seiten vertraten die Herrscher einen Universalanspruch und verdichteten die liturgischen Elemente ihrer Herrschaftsrepräsentation, in der sie sich als heilige Imame und vicarii Christi hierokratisch legitimierten – eine Legitimationsform, die sowohl in Ägypten als auch im Reich ab dem 13. Jahrhundert keine Option mehr darstellte. Obgleich Oesterle abgesehen von einer vorsichtigen Relativierung (S. 59) durchgängig von zwei getrennten, prinzipiell nicht miteinander in einem direkten Bezug stehenden Kulturen ausgeht, bringt ihr Vergleich diese allmächtige Kategorisierung ins Wanken. Wenn man in diese Konstellation nun Byzanz als gemeinsamen Referenzpunkt einbezieht, ergibt sich ein Dreieck von priesterähnlichen Universalmonarchen – mit anderen Worten: ein gemeinsames kulturelles Muster von Herrschaftslegitimation, das jeweils unterschiedlich variiert wurde.

Jenny Oesterle hat in dieser Arbeit zwei Forschungsfelder und jeweils komplexe Quellenüberlieferungen mit einem unbeirrbar kritischen Blick bewältigt und auf einer kohärenten Ebene miteinander verbunden. Diese mutige, viele weitere Perspektiven eröffnende Pionierstudie zeigt souverän, dass wir auf den Vergleich nicht verzichten können – auch wenn sich Oesterle nach diesem substanziellen Beitrag zur transkulturellen Geschichte dem Club derer anschließen sollte, die nach der erfolgreichen Durchquerung des tückischen komparativen Dschungels den Stab an andere weiterreichen.

Anmerkungen:
1 Patricia Sanders, Ritual, Politics, and the City in Fatimid Cairo, New York 1994.
2 Heinz Halm, Die Kalifen von Kairo, München 2003.