D. Reither: Rechtsgeschichte und Rechtsgeschichten

Titel
Rechtsgeschichte und Rechtsgeschichten. Die Forschung über Fehde, autonome Gewalt und Krieg in Deutschland im 19. Jahrhundert


Autor(en)
Reither, Dominik
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 314 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Dirks, Universität Erfurt

Diese wissenschaftsgeschichtlich angelegte, 2008 am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Regensburger Universität entstandene, Dissertation befasst sich mit neun ausgewählten deutschen Historikern des 19. Jahrhunderts, deren Hauptwerk sich mit dem mittelalterlichen Fehdewesen innerhalb der Rechtsgeschichte beschäftigte. Der Autor geht dabei der Fragestellung nach, wie in der deutschen Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert das Problem Fehde behandelt wurde. Er fragt danach, ob und inwieweit im gewählten Untersuchungszeitraum „der Forscher unbewusst seinen Wertekanon oder denjenigen der Zeit, in der er lebt, auf die Quellen“ übertrage und damit „zu ‚falschen‘, weil anachronistischen Ergebnissen“ komme (S. 3). Im einführenden Kapitel zum Forschungsstand (III, S. 12-21) kommt Reither nach Vorstellung der verschiedenen Forschungsansätze zum mittelalterlichen Fehdewesen im 20. Jahrhundert zu dem Fazit, dass momentan weder „Klarheit über das Wesen der Fehde“ herrsche, ja „noch nicht einmal ein Forschungsstand zu erkennen“ sei (S. 21), da Grundfragen nach dem Status der Fehde als Rechtsinstitut und der grundsätzlichen Fehdeberechtigung unbeantwortet geblieben seien.

Angesichts jüngerer und jüngster Erträge der deutschen wie der internationalen Forschung ist diese Auffassung in ihrer Absolutheit allerdings diskussionswürdig, da beispielsweise die durch den Autor selbst angeführte Arbeit von Christine Reinle über Bauernfehden zeigen konnte, wer neben Adligen noch imstande war, Fehde zu führen, und mit den ebenfalls vom Verfasser selbst angeführten Ergebnissen von Alexander Jendorff und Steffen Krieb ein ähnlicher, nuancierter Erklärungsansatz vorliegt, der die sozialen Facetten bei der Fehdeführung betont.1

Im Hauptteil der Arbeit, in dem sich Reither von den Ergebnissen der bisherigen Forschung abzugrenzen sucht (S. 6, namentlich von Ernst-Wolfgang Böckenförde, einem „Schüler“ Otto Brunners 2), werden zuerst die Arbeiten von Karl Friedrich Eichhorn als Vertreter der Historischen Rechtsschule (IV) analysiert, anschließend die Werke der national-liberalen Verfassungshistoriker des Vormärz Georg Waitz, Georg Beseler, Karl Theodor Welcker und Carl Georg von Wächter (V) sowie die Schriften Ferdinand Walters als Rechtshistoriker im Übergang (VI) zur juristischen Rechtsgeschichte. Als deren Vertreter werden hier die Ansichten zur mittelalterlichen Fehde von Johann Friedrich von Schulte, Richard Schroeder und schließlich Heinrich Brunner behandelt (VII). Dies geschieht jeweils in drei Schritten: Nach einer Kurzbiographie der ausgewählten Historiker analysiert Reither neben deren „Fehdeinterpretation“ auch das jeweilig vorhandene „Wissenschaftsverständnis“ des betrachteten Forschers, ausdrücklich unter Einbezug der politischen Einstellungen und der Motive der betreffenden, noch heute in der Forschung hoch angesehenen Personen für die Befassung mit der Rechtsgeschichte. Reither interessiert in seinen Fallstudien ausdrücklich nicht nur die Interpretation, sondern auch die jeweils vorgenommene oder erschließbare Wertung des Phänomens Fehde. Auf diese Weise geht er dem eingangs und ausgangs formulierten Ziel einer Wissenschaftsgeschichte der Fehde nach. Aussagen über die Fehde an sich kommen dabei nicht ins Blickfeld. Stattdessen befasst sich Reither mit der Einordnung und Deutung der Fehde innerhalb des Gesellschaftsbildes der ausgewählten Forscher. Kritisch zu bemerken ist hierbei, dass die anfangs (S. 3) erwähnte Kategorie einer „Rechtsidee“ im Verlauf der Untersuchung aus dem Blick gerät.

Nach Einführung in die „Situation von Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts (S. 22-32), hergeleitet aus dem Historismus (S. 22) und dem Wirken Savignys (S. 26-32), erstellt Reither also zunächst eine Kurzbiographie Eichhorns und nimmt eine Betrachtung dessen Wissenschaftsverständnisses vor. Eichhorn sei, im Gegensatz zu früherer Forschungsmeinung, nicht in Traditionen des 18. Jahrhunderts zu sehen. Vielmehr wurzle seine Auffassung in der Umbruchszeit des frühen 19. Jahrhunderts (S. 43). Auch bei der Fehdeinterpretation Eichhorns kommt Reither zu einem anderen Ergebnis als die frühere Forschung, denn Eichhorn passe die Fehde in sein Verständnis der mittelalterlichen Verfassung ein (S. 70).

Die national-liberalen Verfassungshistoriker des Vormärz fassten den Umgang mit der mittelalterlichen Fehde ihrerseits politisch auf, da sie selbst politisch tätig waren. Schon zu dieser Zeit habe es keine eindeutige Forschungsposition zur Fehde gegeben, da sich beispielsweise die Thesen Wächters von denen eines Georg Waitz unterschieden. Wächter sah die Fehde demnach nur als Notmittel an (S. 186).

Ferdinand Walter wird als heute weitgehend vergessener Forscher eingeführt, der sich als Anhänger einer „großdeutschen Lösung“ von vielen seiner Zeitgenossen abgegrenzt habe (S. 195 und S. 200). Das Fehderecht sah Walter nach Reither als subsidiär an. Nur dann, wenn es keine Bußregeln gegeben habe, sei es zur Anwendung gekommen (S. 208). Für Walter sei Geschichte „nicht zur Legitimation für Veränderung, sondern zur Legitimation für das Bestehende“ geworden (S. 217).

Die gewandelte Situation nach 1871 führte dazu, dass es den Rechtshistorikern nun nicht mehr darum gegangen sei, „für die Zukunft wünschenswertes aus der Vergangenheit zu ermitteln, sondern Bestehendes zu begründen und zu legitimieren“ (S. 223). So erkenne man bei Schulte liberale Einstellungen seiner Zeit an dessen Auffassung, die Gemeinschaft sei Garant von Rechten, Sicherheit und Freiheit gewesen (S. 234). Die Fehde habe Schulte bereits in der Germanenzeit als randständig angesehen und werde für das Mittelalter nur dann thematisiert, wenn sie eingedämmt wurde. Damit und durch eine Betonung des Königs als Stifter von Ordnung und Frieden projiziere Schulte den „Staat der Bismarck-Zeit in die Vergangenheit“ (S. 242). Richard Schroeder habe demgegenüber ein Gegenbild der eigenen Zeit entwerfen wollen, in der das Recht kompliziert sei (S. 263). Fehde stelle hier eine Folie für die legitime Anwendung von Gewalt in der Außenpolitik des deutschen Kaiserreichs (S. 264) dar. Heinrich Brunner schließlich habe der Fehde nur für die germanische Zeit positiv gegenübergestanden, in späterer Zeit bis zum Spätmittelalter habe sie sich dann als ein „die staatliche Ordnung gefährdender Fremdkörper“ erwiesen (S. 295).

Im kurzen Fazit (VIII, S. 297-300) seiner Studie kommt der Autor zu dem Schluss, dass es weder der Mediävistik des 19. noch der des 20. Jahrhunderts gelungen sei zu klären, „ob es ein Rechtsinstitut Fehde gibt, und wenn ja, was darunter zu verstehen ist“ (S. 300). Wenn Reither kurz darauf aber postuliert, den Begriff ‚Fehde‘ als heuristische Kategorie aufzugeben, und damit der Forderung Hans-Henning Kortüms folgt (der gegenüber ‚Fehde‘ eine Alternative – ,Privatkriege‘ – angeboten hatte 3), ist dies eine bemerkenswert harte Forderung und hätte für künftige Forschungen weitreichende Konsequenzen. Dabei ist zu bemerken, dass Reither bereits im Titel den Begriff der „autonomen Gewalt“ verwendet. Der Titel selbst lässt sich anhand des Zugriffs und der Ergebnisse der Studie dahingehend interpretieren, dass die für Fallstudien herangezogenen Forscher innerhalb der Rechtsgeschichte den Umgang mit Fehde für ihr eigenes Gesellschaftsbild zu nutzen vermochten. Die im Titel anklingende Kategorie des Krieges klingt in den Fallstudien an, wenn es einerseits um Sippenfehde in germanischer Zeit geht (von einigen behandelten Forschern als Krieg bezeichnet, beispielsweise S. 281), andererseits um die Sicht auf König und Heeresdienst innerhalb der Gesamtinterpretation der Fehde. Auch die Kapitelüberschriften konzentrieren sich auf die Kategorie Fehde.

Die Arbeit Reithers regt zu weiteren Fragen zum Fehdewesen an, und es ist im Übrigen auffallend, dass sich in der noch andauernden Diskussion um die Fehde viele jüngere Studien noch nicht von den Thesen Otto Brunners zu lösen vermochten. Ein Register hätte der weiteren Erschließung des Buches gut getan.

Anmerkungen:
1 Christine Reinle, Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern, Stuttgart 2003. Vgl. dazu Claudia Moddelmog: Rezension zu: Reinle, Christine: Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern. Stuttgart 2003, in: H-Soz-u-Kult, 21.09.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-3-175> (08.12.2010); Alexander Jendorff / Steffen Krieb, Adel im Konflikt. Beobachtungen zu den Austragungsformen der Fehde im Spätmittelalter, in: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), S. 179-206. Hier ist darüber hinaus zu verweisen auf den Sammelband Jeppe Büchert Netterstrøm / Bjørn Poulsen (Hrsg.): Feud in Medieval and Early Modern Europe, Aarhus 2007.
2 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, Berlin 1961 (Neudruck Berlin 1995).
3 Vgl. Hans-Henning Kortüm, Kriegstypus und Kriegstypologie, in: Dietrich Beyrau / Michael Hochgeschwender / Dieter Langwiesche (Hrsg.), Formen des Krieges, Paderborn 2007, S. 71-98, hier S. 94.