K. v. Beyme: Geschichte der politischen Theorien

Cover
Titel
Geschichte der politischen Theorien in Deutschland 1300-2000.


Autor(en)
Beyme, Klaus von
Erschienen
Anzahl Seiten
609 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dirk Jörke, Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Greifswald

Klaus von Beyme gehört zu den führenden Politikwissenschaftlern in Deutschland. Seine Bücher, etwa über die politische Klasse im Parteienstaat oder das politische System der Bundesrepublik Deutschland sind Standardwerke des Faches.1 Von Beyme zählt darüber hinaus zu den Wissenschaftlern, die sich nicht dem Trend zur immer stärkeren Spezialisierung verschrieben haben. Im Gegenteil, obwohl sein Forschungsschwerpunkt in der vergleichenden Politikwissenschaft liegt, umfassen seine Publikationen nahezu alle Teilbereiche des Faches. So hat er denn auch bereits drei umfangreiche Monographien zur Politischen Theorie und Ideengeschichte verfasst, etwa „Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien“.2 Dort hatte er den durchaus originellen Versuch eines Theorievergleiches zwischen dem politischen Denken der zentralen europäischen Nationen vorgenommen. In seinem neuen Buch verlässt er zunächst die vergleichende Perspektive – in den abschließenden Bemerkungen kommt er jedoch auf sie zurück – und wendet sich der Geschichte politischer Ideen in Deutschland vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart zu. Allerdings, und damit hängen viele der unten angeführten Probleme zusammen, handelt es sich bei der jetzt vorliegenden Monographie über weite Strecken um eine Auskoppelung aus dem vorigen Werk.

Doch zunächst zu den Vorzügen: Das Buch mit einem Umfang von gut 600 großformatigen und eng bedruckten Seiten zeugt gleichermaßen mit Blick auf die Quellen als auch hinsichtlich der Forschungsliteratur von einer eindrucksvollen Belesenheit von Beymes. Die Literatur ist zudem nicht wie üblich in einem endlosen Verzeichnis am Ende des Buches zusammengefasst, sondern sie steht zu Beginn der jeweiligen Abschnitte über die einzelnen Denker. Dadurch wird der Band zu einem nützlichen Handbuch, denn die Darstellungen bieten nicht nur eine erste Orientierung, sondern sie liefern wichtige Literatur gleich mit. Hervorzuheben ist aber insbesondere der Umstand, dass von Beyme sich nicht darauf beschränkt, die großen Klassiker ein weiteres Mal zu referieren, sondern sich auch Denkern „zweiten Ranges“ (S. 10) widmet. Dies ist ihm zufolge in der Sache begründet, denn bis zum 19. Jahrhundert sei Deutschland mehr „Nehmerland“ denn „Geberland“ in den „internationalen Bewegungen politischer Theorien“ (S. 559) gewesen. Will heißen, bis Kant, Hegel und Marx habe es in Deutschland keine „große“ politische Theorie gegeben. So werden in 30 Kapiteln mehr als hundert Theoretiker abgehandelt, von denen es viele bislang nicht bis in die einschlägigen Handbücher geschafft haben. Doch auch von Beyme nimmt eine Gewichtung insofern vor, als den „großen“ wie Hegel, Marx, Weber und Habermas wesentlich mehr Platz eingeräumt wird, als den Denkern aus der zweiten und dritten Reihe wie Hermann Conring, August Wilhelm Rehberg oder Bruno Bauer.

Von Beyme geht chronologisch vor und sortiert die politischen Denker zu Gruppen wie „Spätaufklärung“ mit Moser, Möser und Achenwall, „deutscher Idealismus“ mit Kant, Wilhelm von Humboldt, Fichte und Hegel „romantischer Konservatismus“ mit Novalis, Müller und Schelling, oder „Sozialdemokratismus“ mit Lasalle, Kautsky und Bernstein. Dadurch gewinnt der Leser einen Überblick über die Entwicklung des politischen Denkens in Deutschland, er kann sich aber auch gezielt mit einzelnen Strömungen befassen.

Von Beyme begreift sein Unterfangen als „eine Sozialgeschichte der politischen Theorie“ und distanziert sich vom „Textualismus“ philosophischer Studien als auch vom Ansatz der Cambridge School. Allerdings, und damit sind wir bei den Problemen des Buches, erfolgen diese Abgrenzungen ebenso knapp und pauschal wie die Vorstellung der eigenen Vorgehensweise. So gewinnt man den Eindruck, dass die seit einigen Jahren auch in Deutschlang laufende Diskussion über die Methoden der Ideengeschichte nicht zur Kenntnis genommen wird. Zwar wird immer mal wieder neben dem biographischen auch der sozialgeschichtliche Kontext eingestreut, doch dies erfolgt nicht systematisch. Dies gilt auch für die Frage nach dem spezifisch „Deutschen“ in der Theoriebildung. Von Beyme führt zwar die Provinzialität der politischen Theoriebildung in Deutschland auf die verspätete Nationalstaatsbildung und die Schwierigkeit, Souveränität, Macht und Machtkontrolle im Rahmen des Reiches zu denken, zurück, geht darüber aber kaum hinaus. Vielmehr schließt er sich geläufigen Deutungen über den deutschen Sonderweg an, so etwa im Kapitel über die politische Romantik. Damit verschenkt von Beyme einen Teil des Potenzials, das in der beachtlichen Materialsammlung liegt.

Etwas erschwert wird die Lektüre zudem durch die eingestreuten Verweise auf nicht-deutsche Denker, die zwar für das Verständnis zentral sind, deren Kenntnis aber in der Regel vorausgesetzt wird. Hier werden die Grenzen einer rein auf einen nationalen Raum beschränkten Darstellung deutlich. Gerade wenn man wie von Beyme einen Überblick und damit auch einen ersten Einstieg geben möchte, sollten die entscheidenden Rezeptionslinien doch expliziter thematisiert werden. Dies gilt etwa für Kants Lektüre von Rousseau oder für Adam Müllers Übernahme der Aufklärungskritik von Edmund Burke.

Von Beyme verschweigt nicht seine Theorievorlieben, die einem liberal-angelsächsischen, pragmatisch orientierten Denkstil gelten. So spricht er mit Blick auf die politische Theorie britischer Autoren von „einer wünschenswerten Normalentwicklung“ (S. 575). Theoretiker, die diesem Ideal nahekommen, wie die Liberalen des Vormärz oder mit Abstrichen auch Weber und Habermas, behandelt er entsprechend wohlwollend, abstraktere Theorieentwürfe wie die von Hegel, Adorno und auch Luhmann finden demgegenüber wenig Gnade. Ihnen wirft er insbesondere eine mangelnde Berücksichtigung der Empirie vor, mit Blick auf Adorno scheut von Beyme aber auch vor Angriffen auf dessen Charakter nicht zurück. Doch diese Urteile sind recht plakativ. Erkenntnisse und Debatten der Forschungsliteratur werden zwar zur Kenntnis genommen, aber nur sehr pauschal, bisweilen auch kryptisch kommentiert.

Das mit „Konklusionen: Sozialgeschichte der politischen Theorien in Deutschland“ überschriebene abschließende Kapitel vermag diese Schwächen nicht zu korrigieren. Dort erfährt man als Ergebnis einer Erhebung „quantifizierbare[r] Daten über soziale Hintergründe von politischen Theoretikern“ (S. 545) so überraschende Dinge wie die männliche Dominanz unter den Denkern des Politischen oder auch, dass sich staatliche Repressionen vornehmlich gegen die radikale Linke richteten. Auch der Verweis darauf, dass deutsche Theoretiker zu abstraktem Philosophieren neigen und deren „barocker Schwulst“ nicht selten die „Traktate schwer lesbar“ (S. 556) machen, bietet keinen größeren Erkenntnisgewinn. Nicht zuletzt wäre dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat zu wünschen gewesen. Dies betrifft die zahlreichen Passivkonstruktionen, die die Lektüre erschweren, eine Reihe von kryptischen Sätzen, Textdoppelungen, fehlende Jahreszahlen in zahlreichen Literaturangaben und vielleicht auch Sätze wie: „Der Pietismus im späten Luthertum hat freilich auch in Deutschland diese simplen Weberschen Antithesen zwischen dem Luthertum und dem Calvinismus partiell falsifiziert“ (S. 76f.).

Am Ende bleibt somit ein ambivalenter Eindruck. Auf der einen Seite zeugt das Buch von einer profunden Kenntnis des politischen Denkens in Deutschland. Von Beyme liefert insbesondere eine ebenso umfangreiche Sammlung wie hilfreiche Sortierung des ideengeschichtlichen Materials. Auf der anderen Seite gelingt es ihm nur zum Teil, diesen Stoff für die Forschung gewinnbringend aufzuarbeiten.

Anmerkungen:
1 Klaus von Beyme, Die politische Klasse im Parteienstaat, Frankfurt am Main 1993; Ders., Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 10. Aktualisierte Aufl. Wiesbaden 2004.
2 Klaus von Beyme, Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien, Wiesbaden 2002.

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