Bayerische Akademie der Schönen Künste (Hrsg.): Kunst in Ost und West

Cover
Titel
Kunst in Ost und West seit 1989. Rückblicke und Ausblicke


Herausgeber
Bayerische Akademie der Schönen Künste
Reihe
Kleine Bibliothek der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 4
Erschienen
Göttingen 2010: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
196 S., 9 Abb.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Tack, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Mit der Ausstellung „Sechzig Jahre. Sechzig Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von '49 bis '09“1, die sich explizit der Kunst aus der DDR verschloss, hatten die Kuratoren das Wiederaufbrechen eines Dauerkonflikts provoziert – des seit 1990 geführten deutschen „Bilderstreits“. Dies löste auch eine Kette von Reflexionen über Stand und Perspektiven der deutschen Vereinigung in kultureller Hinsicht aus. Die provokative und von zahlreichen Beobachtern des „Bilderstreits“ längst als überholt bewertete Ansicht der Kuratoren, Kunst könne nur in Freiheit entstehen, nahmen auch die Herausgeber des vorliegenden Buches zum Anlass, um zu fragen, „ob denn Kunst und Kultur in den vergangenen zwanzig Jahren zusammengefunden haben“ (S. 17). Der kleine Band resultiert aus einer von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste durchgeführten Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Kunst in Ost und West“, die im Oktober 2009 und Februar 2010 stattfand. Deren „wichtigste“ Vorträge, Statements und Gespräche finden sich im Buch wieder.

Der Titel „Kunst in Ost und West seit 1989. Rückblicke und Ausblicke“ legt eine Bilanzierung der Debatten über die Bildende Kunst aus der DDR nahe. Statt einer Bilanz dieses „Bilderstreits“ – die bislang ein Desiderat darstellt2 – eröffnet sich dem Leser in fünf verschiedenen Abschnitten ein weites Spektrum von Innenansichten aus dem kulturellen Feld. Neben der Bildenden Kunst finden sich die Sparten Musik, Architektur, Literatur und Darstellende Kunst. Zu Wort kommen Beobachter und Akteure des kulturellen Annäherungsprozesses – zu diesen gehören Eduard Beaucamp, Laszlo Glozer, Reiner Kunze, Peter Gülke, Peter Michael Hamel, Siegfried Matthus, Dieter Bartetzko, Wolfgang Kil, Joachim Herz und Dieter Borchmeyer.

Eröffnet wird der vielfältige Stimmenreigen mit zwei Statements zur Bildenden Kunst. Verweist der Kunstkritiker Glozer auf gegenwärtige Entwicklungen in der jüngeren Kunstszene, die den deutsch-deutschen Konflikt um kulturelle Dominanz längst hinter sich gelassen hätten, so verlangt Beaucamp, erst die „Leichen im Keller“ (S. 25) zu beseitigen, bevor solch eine positive Bilanz gezogen werden könne. Beaucamp, der als Feuilletonredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bereits vor dem Mauerfall für die Kunst im anderen deutschen Staat geworben hatte, referiert über Hintergrund und Genese der Auseinandersetzungen nach 1989/90, die sich ohne den „Bilderstreit“ vor 1989/90 nicht erklären ließen.

Auch um die Rolle von Schriftstellern und Literatur in der DDR ist nach 1990 in Gesamtdeutschland gestritten worden. Symptomatisch für diesen „Literaturstreit“ ist die Debatte über die Rolle Christa Wolfs und deren 1990 veröffentlichte Erzählung „Was bleibt“ geworden. Im vorliegenden Band steckt der Schriftsteller Reiner Kunze auf 30 Seiten das Feld der Literatur ab. Er schildert seine Erfahrungen als Schreibender in drei unterschiedlichen Lebensphasen und -räumen – in der DDR, in der Bundesrepublik nach seiner Ausreise aus der DDR 1977 und in Gesamtdeutschland seit 1990.

Der „Bilderstreit“ lässt sich im Sinne eines „Stellvertreterdiskurses“ (Karl-Siegbert Rehberg) der deutsch-deutschen Vereinigungskrise vornehmlich als ein Konflikt zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen beschreiben. Mit Kunzes Beitrag wird eine weitere Ebene der Auseinandersetzungen sichtbar. Der interne ostdeutsche Konflikt zwischen Dagebliebenen und Ausgewiesenen, zwischen Angepassten und Widerständigen hat mit dem Ende der DDR einen neuartigen Aushandlungs- und Resonanzraum in einer gesamtdeutschen Gesellschaft erhalten. Von der Staatssicherheit ausgehorcht, drangsaliert und zermürbt, zeigt sich Kunze mit dem Wissen aus der Akte, die die Stasi über ihn angelegt hatte, von zahlreichen Weggefährten enttäuscht. Die Verletzungen sind groß, und die Wunden reißen angesichts seiner Beobachtung von ungebrochenen Biographien und Weltansichten über das Ende der DDR hinaus immer wieder auf.

Der Tenor in den Gesprächen über Musik und Darstellende Kunst in der DDR ist im Vergleich mit Kunzes Beschreibung seines Lebensweges ein gänzlich anderer. „Musik ist kaum ideologisch kontrollierbar“, betont Peter Gülke in seinen Ausführungen (S. 87). Nur in einem begrenzten Maße habe die Zensur auf Musik und Darstellende Kunst einwirken können. Sie habe diese Künste dadurch zu „Naturschutzgebieten“ wachsen lassen, wie es Joachim Herz in seinem Gespräch mit Dieter Borchmeyer formuliert (S. 171). Herz war in der DDR Opernregisseur; er verstarb nur wenige Monate nach der Veranstaltung im Oktober 2010. Neben Gülke, Musikwissenschaftler aus der DDR, berichten außerdem Siegfried Matthus, Opernkomponist aus der DDR, und Peter Michael Hamel, ebenfalls Komponist und bis 1990 in der Bundesrepublik tätig, über ihre Erfahrungen mit der Musik in der DDR. Matthus begleitete seine Kompositionen auf Orchester-Tourneen und erlebte eine Außenwelt, die den meisten DDR-Bürgern verschlossen blieb. Gülke – der 1983 aus der DDR ausreiste – erinnert sich an weitere Freiräume, wie es sie im Radio und besonders beim Sender DDR KULTUR gab. Er verweist auf „oppositionelle Zellen“, in denen Stücke uraufgeführt wurden, die sich den Vorgaben eines Sozialistischen Realismus verweigerten (S. 83f.).

Im vierten Kapitel, das sich der „Architektur in Ost und West“ widmet, wird der Fokus auf die Gegenwart und Zukunft gerichtet. Damit fällt dieser Teil ein wenig aus dem Rahmen des Buches, konzentrieren sich die Architekturkritiker Dieter Bartetzko und Wolfgang Kil doch vorwiegend auf das gesamtdeutsche Baugeschehen seit 1990. So harsch ihre Kritik an Marktmechanismen und Investoren, die sich über Ostdeutschland hergemacht haben, auch ausfällt, verharren beide Diskutanten nicht bei dieser Feststellung. Kil ruft dazu auf, den Schrumpfungsprozess zu erforschen, der sich in Ostdeutschland deutlich zeige. Die ehemalige DDR werde zu einem exemplarischen Fall, an dem sich die Effekte der Globalisierung sowie die Entstehung von peripheren benachteiligten Gebieten zeigen ließen. Bartetzko hingegen verfolgt die Idee einer europäischen Stadt, die sich besonders in den zahlreichen noch intakten ostdeutschen Stadtkernen umsetzen lasse. Dies bedeute vor allem „Städtebau im Dienste der Bürger der Stadt“ (S. 114), um den Menschen die „totsanierten“ zentralen Marktplätze ostdeutscher Städte als Orte zum Leben zurückzugeben (S. 112).

Mit diesem Buch liegt eine sehr anregende Lektüre vor. Die biografischen Selbstreflexionen vermitteln dem Leser Einblicke in verschiedene Künstlerleben in der DDR und im gesamtdeutschen Kontext seit 1990. Was es hieß, in der DDR als Künstler tätig zu sein, wird aufgeblättert, jedoch nicht in breitere Zusammenhänge gestellt. Die einzelnen Erfahrungen muss der Leser somit selbst in Raum und Zeit ihrer Entstehung einbetten. Dies ist aber nicht unbedingt ein Manko. Der Band lässt sich als ein Quellenfundus begreifen, der für die zeithistorische Forschung, die sich dem Alltäglichen zwischen „Eigen-Sinn“ und politischen Restriktionen in der DDR annähert, wichtiges Material zur Verfügung stellt. Mit dem Wissen über Leben und Alltag, über Restriktionen und Freiräume in der DDR lässt sich auch der konfliktreiche Umgang mit dieser vielschichtigen Vergangenheit seit 1990 genauer ergründen.

Anmerkungen:
1 Die Ausstellung wurde vom 1. Mai bis zum 14. Juni 2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt (Website: <http://www.60jahre-60werke.de>).
2 Während zum „Literaturstreit“ bereits mehrere Dissertationen vorliegen, steht die wissenschaftliche Bearbeitung des „Bilderstreits“ noch aus. Vgl. Bernd Wittek, Der Literaturstreit im sich vereinigenden Deutschland. Eine Analyse des Streits um Christa Wolf und die deutsch-deutsche Gegenwartsliteratur in Zeitungen und Zeitschriften, Marburg 1997; Kerstin Dietrich, „DDR-Literatur“ im Spiegel der deutsch-deutschen Literaturdebatte. „DDR-Autorinnen“ neu bewertet, Frankfurt am Main 1998; Monika Papenfuß, Die Literaturkritik zu Christa Wolfs Werk im Feuilleton. Eine kritische Studie vor dem Hintergrund des Literaturstreits um den Text „Was bleibt“, Berlin 1998; Lennart Koch, Ästhetik der Moral bei Christa Wolf und Monika Maron. Der Literaturstreit von der Wende bis zum Ende der neunziger Jahre, Frankfurt am Main 2001. Siehe als neueren essayistischen Überblick auch Rüdiger Thomas, Deutsche Kultur im Einigungsprozess, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 60 (2010) H. 30-31, S. 33-40, online unter <http://www.bpb.de/publikationen/3U93AI,0,Deutsche_Kultur_im_Einigungsprozess.html> (19.11.2010).

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