M. Buck u.a. (Hrsg.): Randgänge der Mediengeschichte

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Titel
Randgänge der Mediengeschichte.


Herausgeber
Buck, Matthias; Hartling, Florian; Pfau, Sebastian
Erschienen
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clemens Zimmermann, Kultur- und Mediengeschichte, Universität des Saarlandes

Mit dem ungewöhnlichen Titel der „Randgänge“ wollen die Herausgeber, die in der Hallenser Medien- und Kommunikationswissenschaft beheimatet sind, das Territorium der Mediengeschichte vermessen. Die historischen Zugänge, wie man sie hier mehrheitlich anwendet, werden dazu genutzt, zur Kommunikationswissenschaft beizutragen, die sich ja sonst radikal enthistorisiert hat. „Historisch“ bedeutet hier teils ein weiteres Ausgreifen in die Vergangenheit, etwa in die Frühe Neuzeit, teils, und häufiger, liegen die beschriebenen Entwicklungen noch nicht so lange zurück und ragen in die Gegenwart hinein. Vom „Rand“ her sollen Themenfelder abgeschritten und zentrale Erkenntnisperspektiven des Feldes aufgezeigt werden. Wenn man sich einmal an die Praxis der frühneuzeitlichen Gemarkungsumgänge erinnert, könnte doch durch dieses Abschreiten ein Konsens hergestellt werden, was derzeit zentrale Probleme einer Mediengeschichte sind, die ihre Erkenntnisinteressen im Gegenwärtigen verortet. Die räumliche Metapher des Randgangs bedeutet zugleich, dass der übliche, stets unerfüllbare Anspruch von Sammelbänden, alle Artikel einer einzigen Fragestellung unterzuordnen, wie eine Monographie ein Thema durchstrukturiert zu behandeln, erst gar nicht erhoben wird. Bei 22 Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Generationen wäre es unmöglich gewesen, eine solche Zentralperspektive wirklich durchzuhalten.

Die Manfred Kammer zum 60. Geburtstag gewidmete Festschrift unterlässt es freilich nicht, ihr Terrain im Inneren abzustecken. Die Beiträge, die meist vorherige Arbeiten der Verfasser fortführen oder einschlägige Forschungsliteratur unter neuen Gesichtspunkten interpretieren, werden in folgenden Abschnitten präsentiert: „Historiographie“, „Bildgeschichte“, „Emotionen und Medien“, „Technikgeschichte der Medien“, „Hören und Medien“, „Medien und Öffentlichkeit“, sowie „Medienanalyse“ – letztere Kategorie ist fragwürdig, da der gesamte Band Medienanalyse betreibt.

Die eröffnende Abteilung „Historiographie“ wird durch Rainer Leschke über die Schwierigkeiten des Kommunikationsbegriffes und die ebenso problematische Konzeption von Kommunikationsgeschichte repräsentiert. Sein Hauptpostulat, wie es auch die Herausgeber in ihrer knappen Einleitung schildern: Der „Nutzen der Einzelmediengeschichten für eine Geschichte von Mediensystemen und kommunikativen Konstellationen (ist) … beschränkt“ (S. 39), ja eigentlich verfehlt. Leschke führt seine früheren Überlegungen zur Bedeutung von Intermedialität weiter. Ein angemessener historischer Ansatz solle die wechselseitigen Zusammenhänge von „Medium, Wahrnehmung und ästhetischer Darstellung“ ebenso berücksichtigen wie die Kategorien von Medientechniken und Medienpraktiken und involvierte gesellschaftliche Phantasien: „wechselseitige Resonanzen der Medien“ (S 42f.). Es ist gut, dass dieser theoretische, anregende Beitrag an den Anfang gestellt ist, auch wenn dann die einzelnen Beiträge doch zahlreich Einzelmedien behandeln.

Der zweite Abschnitt „Bildgeschichte“ zeigt, dass sich bildwissenschaftliche Verfahren über einzelne Bildgenres hinaus etabliert haben. Gerhard Lampe, der sonst viel über Fernseh- und Filmgeschichte gearbeitet hat, reflektiert über die berühmte Photographie von Talbot, „Die offene Tür“, und zeigt deren Konstruktionsprinzipien auf. Kathrin Fahlenbrach, die mit einer Arbeit über rituelle Performanz in Film und Fernsehen hervorgetreten ist, beschäftigt sich mit den in jedem Museumsshop angebotenen Fotoikonen von der explodierenden „Hindenburg“ bis zum Spiegel-Titelbild „Der Folterer von Bagdad“. Diese Beispiele aus den Massenmedien werden in ihre ikonographischen Traditionen gestellt und ihre kognitiv orientierenden Funktionen herausgearbeitet. Manja Rothe-Balogh vollzieht am Beispiel des Films „Stay“ nach, wie sich essentielle Techniken des Schnitts entwickelt haben. Digitale Bildbearbeitung erweitere zwar die Möglichkeiten im Arrangement ungeheuer, doch da auf die Zuschauer Rücksicht genommen werden müsse, hielte man eben doch vertraute Narrationsmuster ein.

Im dritten Kapitel „Emotionen und Medien“ zeigt Ingrid Brück („Der deutsche Fernsehkrimi“, 2003) die Konstruktionsprinzipien in medialisierten Liebesgeschichten und deren kommunikativen Codes in Relation zu den, wie die Autorin meint, ebenso sozial konstruierten, variablen, realen Liebesgeschichten auf.1Anne Bartsch, die über „Emotionale Kommunikation“ 2004 promoviert hat, wendet sich der Kontinuität von Medienkritik mit ihren kulturkritischen Untertönen von der Frühen Neuzeit bis zu Peter Winterhoff-Spurk zu. Schon im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Emotionalisierung von Lesern durch sensationelle Zeitungen kritisiert und wenn es im 20. Jahrhundert um „Entfremdung und Kommerzialisierung der Unterhaltungsmedien“ (S. 115) geht, scheint dies klar in die „Geschichte der Emotionalisierungsdebatten“ (S. 117) zu passen. Freilich sieht dieser „Ausflug“ in die Geschichte von den gesellschaftlichen und kulturellen Tiefenstrukturen der jeweiligen Diskurse ab.

Unter „Technikgeschichte der Medien“ werden die abgesteckten Felder heterogener. Der Filmhistoriker Klaus Kreimeier widmet sich, allzu kurz, dem Zusammenhang von jeweiligen visuellen Techniken und implizierten Wahrnehmungsweisen des Publikums. Claudia Dittmar schreibt sehr spannend nicht über Technikgeschichte, sondern politische Institutionen- und Programmgeschichte, nämlich über den Systemwettbewerb des DDR-Fernsehens mit dem Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland. Nach anfänglichen Erfolgen fiel der Deutsche Fernsehfunk weit zurück. Dessen zweites Programm wurde vom Fernsehpublikum der DDR (zumindest zeitweise) als „Russenprogramm“ wahrgenommen. Jessica Quick gibt eine Chronik des „Online-Engagements in der deutschen Presselandschaft“, hier geht es um Wechselbeziehungen von Technik- und Mediengeschichte. Der Sozialhistoriker Jürgen Beine beschäftigt sich mit Editionsprojekten von historischen Quellen im Internet. Am Beispiel von „Materialien“ zu Ritualmordvorwürfen wird untersucht, wie Wikisource solche Materialien digital reproduziert, kategorisiert und transkribiert. Es zeige sich, dass dieser Anbieter bereits die entscheidenden Standards gesetzt habe (S. 176).

Im Abschnitt „Hören und Medien“ geht der Essay des Literaturwissenschaftlers Karl Karst den Grundeigenschaften des Hörens im Unterschied zu den anderen sinnlichen Erfahrungsweisen nach und auf historische Positionen des Hör-Diskurses ein. Thomas Wilke, der wie andere Teilnehmer an diesem Sammelband aus der DFG-Forschergruppe „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens“ kommt, stellt die Frage danach, in welcher Art und Weise historische Höreindrücke überliefert werden, dies am Beispiel der Phonographen Edisons. Golo Föllmer, der auch sonst einschlägig über Netzmusik, Internetradio und die Künste im Netz arbeitet, beleuchtet am Beispiel von Stadtutopien und Brechts Radiotheorie historische Projekte einer interaktiven, verräumlichten Musik- und Medienpraxis.

Mit „Aspekten der Gesundheitskommunikation in der Epoche der Aufklärung“ begegnet im zweitletzten Abschnitt Cornelia Bogen den mediengeschichtlichen Defiziten der heutigen Medizingeschichte und zeigt überzeugend auf, welcher medialen Praktiken sich die Aufklärer bedienten und wie sie ständig aufeinander Bezug nahmen. Allerdings sollte man dies nicht nur als mediale Selbstreferenz behandeln, sondern die kommunikativen Kontexte der real existierenden Aufklärungsgesellschaft (mitsamt ihren Briefmedien und Begegnungen) berücksichtigen. Um „Öffentlichkeit“ geht es auch bei Reinhold Viehoff, der das Öffentliche im scheinbar Privaten und die Zwecke der Veröffentlichung des Privaten im Internet aspektreich aufzeigt. Daniela Pscheida und Sascha Trültzsch schließen daran mit einer „kleinen Medienkulturgeschichte der veröffentlichten Privatheit“ (S. 259) und zwar am Beispiel von „Studi-VZ“ und unter Hinweis auf die Zielsetzungen der Selbstinszenierungsstrategien im Netz direkt an. Helmut Schanze denkt schließlich über das grundsätzliche Verhältnis von Medien, Medienkritik und Öffentlichkeit nach; dieser kleine Beitrag hätte an den Anfang des Bandes gehört.

Last but not least die „Medienanalyse“: Cordula Günther liefert eine Medienproduktanalyse, nämlich von Plakaten im Zusammenhang von Werbekampagnen und zeigt auf, wie die kulturellen Konnotationen ihrer Motive eruiert werden müssen. Matthias Uhl und Peter Hejl versuchen sich am Beispiel struktureller, meist als übereinstimmend gesehener Merkmale von Hollywood- und Bollywood-Produktionen an einem von der Systemtheorie beeinflussten evolutionstheoretischen Interpretationsschema. Ulrike Schwab wendet sich schließlich der Definition des Genres „Kriegsfilme“ zu und zeigt Wege ihrer Analyse auf – knapp, aber erhellend wie so viele Beiträge des Bandes.

Angesichts der behandelten Kapitel-Stichworte zeigt sich, dass der Sammelband tatsächlich das heutige Spektrum mediengeschichtlicher (und aktueller Medienanalyse) aus Sicht der Kommunikationswissenschaft und empirischen Literaturwissenschaften zu einem nicht unbeträchtlichen Teil abbildet. Die mehrfach angewandte Methode qualitativer Inhaltsanalyse stellt ein Moment dar, das die einzelnen Beiträge miteinander verbindet. Freilich wurden durch die nicht ganz glückliche Einteilung der Kapitel-Kategorien andere ausgeschlossen, die sich alternativ für Ordnungszwecke angeboten hätten, vor allem „Genres“, „Formate“ oder „medialisierte Kommunikation“, die in verschiedenen Artikeln ebenso aufscheinen.

Anmerkung:
1 unter Verweis auf: Ulrich Beck, Das ganz normale Chaos der Liebe, Frankfurt am Main 1990.

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