N. Rossol: Performing the Nation in Interwar Germany

Cover
Titel
Performing the Nation in Interwar Germany. Sport, Spectacle and Political Symbolism, 1926-36


Autor(en)
Rossol, Nadine
Erschienen
Houndmills 2010: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
226 S.
Preis
€ 67,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Hübner, Jacobs University Bremen

Denkt man an Staatsrepräsentation im Deutschland der Zwischenkriegszeit, kommen einem gewöhnlich Massenveranstaltungen der Nationalsozialisten wie die Reichsparteitage oder die Olympischen Spiele 1936 in den Sinn, kaum aber wohl ein Ereignis aus der von Krisen und Kabinettswechseln geprägten Weimarer Republik. Ziel von Nadine Rossols aus ihrer Dissertation an der University of Limerick hervorgegangenen Studie ist es dagegen aufzuzeigen, dass diese spezifische Festkultur keinesfalls erst durch die Nationalsozialisten erfunden wurde, zumal diese sie ab der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre eher sogar ablehnten. Vielmehr, so Rossol, müsse die Zeit von 1926 bis 1936 als einheitliche Epoche bezüglich der Entwicklung von politischer Ästhetik und Festkultur gesehen werden. Auch soll am Beispiel Deutschlands gezeigt werden, dass eine Verbindung zwischen totalitärer Diktatur und politischer Ästhetik sicher bestehe, genau so aber auch eine Demokratie gezwungen sei, ihre politischen Botschaften zu kommunizieren und sich selbst darzustellen. Mehr als die Hälfte der Monographie dreht sich daher um Formen der Repräsentation der Nation in der Weimarer Republik.

Methodisch baut die Studie auf dem "cultural turn", vor allem der "Kulturgeschichte der Politik", und dem "performative turn", der Untersuchung von Inszenierungen, auf.1 Das besondere Augenmerk liegt dabei auf Paraden, Demonstrationen, politischen Feiern und Sportereignissen. Diese untersucht Rossol in insgesamt sieben Kapiteln, wobei der Kapitelinhalt nicht zwangsweise immer der Kapitelbenennung entspricht, sondern teils auch recht ausführlich andere Feste und Veranstaltungen behandelt werden.

Die Studie beginnt mit den Demonstrationen und Aufmärschen von Sozialdemokraten und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold von den 1890er-Jahren bis in die 1920er-Jahre. Diese dienten jeweils dazu, zumindest zeitweise öffentlichen Raum für die eigene Sache zu reklamieren. Das zweite Kapitel wiederum analysiert und vergleicht drei Sportfeste, die Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt, die Deutschen Kampfspiele 1926 in Köln und die unter dem Zeichen des hundertfünfzigsten Geburtstags Turnvater Jahns stehenden Schulfeiern zum Verfassungstag 1928. Hier zeigt sich, dass die Inszenierungen sich zwar ähnelten und von Massensport und speziell Massengymnastik geprägt waren, die intendierten Aussagen aber weit auseinandergingen. Während die ersten beiden Ereignisse jeweils innere Geschlossenheit zu zeigen vermochten – bei der Arbeiterolympiade gegen den „Klassenfeind“ und für den Internationalismus zum Beispiel durch Abwesenheit von Nationalflaggen, bei den von Bürgermeister Konrad Adenauer mitorganisierten Kampfspielen gegen die Gegner der Republik und für die „Befreiung“ des noch teilweise besetzten Rheinlandes –, wurden die Risse in der Weimarer Gesellschaft im letzten Fall offensichtlich. Der Republik ablehnend gegenüberstehende Schuldirektoren etc. gingen in ihren Reden und Broschüren konsequent auf Turnvater Jahn, Sport und Nationalismus ein, wenig bis gar nicht aber auf den Verfassungstag.

Das dritte und vierte Kapitel behandeln die Verfassungstagfeiern 1929 und 1930. 1929 entschied die Regierung, zum ersten Mal eine große Feier im Berliner Stadion abzuhalten. Organisiert wurde diese vom Reichskunstwart Edwin Redslob. Dessen Ideen zur Staatsrepräsentation beinhalteten die Einbeziehung der Bevölkerung und die Betonung von deren Einigkeit und Gleichheit statt – wie im Falle einstiger kaiserlicher Militärparaden – die Trennung in aktive Teilnehmer und passive Untertanen. Elemente der Inszenierung waren die Formung der Nationalflagge durch in schwarz, rot oder gold gekleidete Kinder, Flugzeuge mit republikanischen Bannern und das Schwören eines Eides auf das Vaterland. Neben Kindern partizipierten auch Arbeiter, die zusammen symbolisch die beiden Stützen des Staates und die nationale Einheit darstellen sollten. Das Schauspiel endete mit dem Singen der Nationalhymne.

Es ist allerdings schwer zu sagen, welche Überzeugungskraft die Inszenierungen der Republik besaßen. Schlussendlich sagt die Teilnahme an republikanischen Festen nichts darüber aus – dies äußert Rossol offen –, ob die Identifikation so weit geht, dass die Teilnehmer auch tatsächlich für die Republik einstehen würden. Carl von Ossietzky brachte dies kritisch auf den Punkt: “One is afraid to fight for the republic and hopes that celebrating it is enough” (S. 60).

Die Veranstaltung von 1930, wieder im Berliner Stadion, ähnelte der von 1929. Ziel war diesmal aber, die „Befreiung“ des Rheinlandes nach Abzug der alliierten Besatzungstruppen mit der Republik zu verbinden. Das von Redslob und Josef Fielitz erdachte Schauspiel beinhaltete erneut zahlreiche symbolische Elemente, unter anderem die Nachstellung der deutschen Flüsse durch Teilnehmer. Als letztes trat der in Ketten liegende "Vater Rhein" auf, der schließlich befreit wurde. In beiden Schauspielen waren die Nationalhymne und die Nationalfarben die Elemente, welche die Inszenierung mit der Republik verband, während die anderen die Einheit des Volkes beschworen, damit aber prinzipiell auch laut Rossol in eine nationalsozialistische Veranstaltung gepasst hätten.

Das fünfte Kapitel betrachtet die NS-Reichsparteitage und die Thingspiele, die Idee eines neuen, nationalsozialistischen Massentheaters. Hier zeigt sich allerdings auch eines der Probleme des Buches. Eine Analyse der Inszenierung der Volksgemeinschaft bei den Reichsparteitagen in einem Unterkapitel von ca. fünf Seiten muss sich auf Teilaspekte konzentrieren. Eine etwas dichtere Beschreibung eines einzelnen Ereignisses oder eines Reichsparteitages erfolgt nicht.

Das sechste Kapitel geht auf den laut Rossol Mitte der 1930er-Jahre erfolgten Niedergang des in seiner spezifischen Form Mitte der 1920er-Jahre entstandenen Massenspektakels ein. Hierbei steht zunächst das von Sportfunktionär Carl Diem erdachte Schauspiel „Olympische Jugend“ im Mittelpunkt. Dieses fand im Rahmen der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 1936 statt und enthielt viele symbolische Elemente, die bereits der 1933 entlassene Redslob benutzt hatte, zumal Diem mit diesem in Korrespondenz stand. Ein auf die Eröffnungszeremonie fokussierendes Unterkapitel von sieben Seiten kann die Inszenierung der Spiele jedoch nicht komplett abdecken.2 Als Kontrast zu den Olympischen Spielen dienen die 1938 zum dritten Mal abgehaltenen Deutschen Kampfspiele. Rossol zufolge fand hier eine traditionellere Form der Inszenierung statt, die weniger auf die Einbeziehung der Zuschauer abzielte. Zusätzlich fand auch – maßgeblich durch den Willen des Propagandaministers – die Thingspiel-Bewegung ihr Ende. Rossol sieht den Grund hierfür darin, dass nach den Anfangsjahren des Nationalsozialismus die politische Mobilisierung nun zurückgefahren und stärker auf Freizeit und althergebrachte Formen der politischen Repräsentation gesetzt wurde. Das siebte Kapitel zeigt noch, dass sich auf regionaler Ebene die Festkultur in der untersuchten Zeit kaum veränderte.

Abschließend lässt sich sagen, dass eine etwas dichtere Beschreibung einiger Ereignisse sicherlich erfreulich gewesen wäre. Speziell in den Kapiteln zum Nationalsozialismus, vor allem bei der Untersuchung von Reichsparteitagen und Olympischen Spielen, entsteht der Eindruck, dass die Studie hier etwas dünner wird und zu viel auf zu wenig Raum abgedeckt werden soll. Fragen nach der Inszenierung der Nation zum Beispiel außerhalb der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele kommen auf, und ob diese schon in Weimarer Sportfesten ähnlich war. Erfreulich sind dagegen bei einem solchen Thema die relativ zahlreichen Illustrationen. Auch kommt Nadine Rossol außerdem zweifellos das Verdienst zu, dezidiert auf die starken Ähnlichkeiten zwischen festspielartigen Inszenierungen der Nation in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus hingewiesen zu haben, wie auch auf den Übergang vom Theater etc. zur offenen Fläche. Genauso wird hervorgehoben, dass ähnliche Inszenierungsformen zum Beispiel in den USA existierten und die deutschen Organisatoren wohl teilweise inspirierten.

Anmerkungen:
1 Siehe unter anderem Thomas Mergel, Kulturgeschichte der Politik, Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 11. 2. 2010, <http://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Kulturgeschichte_der_Politik&omp;o
ldid=68938> (16. 7. 2010), sowie unter anderem Jürgen Martschukat / Steffen Patzold (Hrsg.), Geschichtswissenschaft und Performative Turn. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003.
2 Christian Tagsold, Die Inszenierung der kulturellen Identität in Japan. Das Beispiel der Olympischen Spiele Tōkyō 1964, München 2002, zeigt zum Beispiel, dass die Darstellung der Nation bei einem Sport-Großereignis weit über die Eröffnungszeremonie hinausgeht und die Veranstalterstadt, das Stadion, den Fackellauf, Briefmarken und Souvenirs sowie die Übertragung in Radio und Fernsehen etc. mit einschließt.

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