Z. Várhelyi: The Religion of Senators in the Roman Empire

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Titel
The Religion of Senators in the Roman Empire. Power and the Beyond


Autor(en)
Várhelyi, Zsuzsanna
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 267 S.
Preis
£ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Klingenberg, Historisches Institut, Universität zu Köln

Der römische Senat und mehr noch die Senatoren als Individuen hatten in vielerlei Punkten mit Religion zu tun. So wurden etwa die wichtigen Priesterkollegien nur aus Senatoren rekrutiert, das Handeln des Senats und der Magistrate umfasste auch religiöse Entscheidungen und die Durchführung kultischer Rituale. Das gilt auch noch bzw. in mancher Hinsicht sogar verstärkt unter den veränderten politischen Bedingungen der Kaiserzeit. Die Machtstellung des Kaisers beruhte bekanntlich neben rechtlichen, politischen und sozialen auch auf sakralen Fundamenten.

An dieser Stelle setzt die hier zu besprechende Studie von Zsuzsanna Várhelyi an, die auf ihre 2002 an der Columbia University eingereichte Dissertation zurückgeht.1 Darin möchte die Verfasserin anhand der religiösen Betätigung und Interessen der Senatoren die „inter-workings of power and religion“ (S. 1) untersuchen. Entgegen der lange Zeit dominierenden Sicht eines übermächtigen Kaisers und eines dementsprechend in seiner Bedeutung weitgehend marginalisierten Senates hebt Várhelyi die Dynamik des Verhältnisses zwischen den beiden hervor, um dessen Ausgestaltung und Definition immer wieder gerungen wurde. Ihr erklärtes Ziel dabei ist es zu zeigen, „that in the empire religion came to play a new and prominent role in the processes of claiming and negotiating power relations between the emperor and the senate“ (S. 1). So vertritt sie zu Recht die Ansicht, der Senat bzw. Senatorenstand der Kaiserzeit habe weiterhin eine starke Identität besessen (S. 25–29). Die Religion der Senatoren und mithin die religiöse Betätigung in bestimmten, von den Senatoren monopolisierten Formen habe zudem an der Verinnerlichung und damit am Fortbestand der Gruppenidentität einen erheblichen Anteil besessen, wie sich besonders an der Integration von aus den Provinzen stammenden neuen Senatoren zeigt. Zudem bot die Mitgliedschaft in einem Priesterkollegium auch die Möglichkeit, seine Beziehungsnetzwerke auszubauen und somit den eigenen Einfluss und die individuellen Karrierechancen zu verbessern.

Dies ist ein interessanter Ansatz, dem Várhelyi unter verschiedenen Perspektiven nachgeht. Den Begriff der ‚Religion‘ legt sie dabei recht frei aus, neben der (stadtrömischen) Betätigung in den Priesterkollegien (S. 57–77) bezieht sie auch informellere Formen in ihre Untersuchung mit ein, etwa das Zusammenkommen von Senatoren am Krankenbett eines Standesgenossen (S. 78–90). Auch wenn hier unter Umständen Gebete für den Kranken gesprochen wurden, bleibt doch fraglich, inwieweit diese Besuche wirklich einen religiösen Hintergrund hatten. In Rom traten die Senatoren vor allem in offizieller Funktion als Priester oder als Magistrate in kultischen Kontexten in Erscheinung (S. 94–107). Dabei wirkten sie sowohl an der Kultausübung als auch an der Entscheidungsfindung in kultischen Fragen mit und ließen sich nicht alles nur vom Kaiser diktieren, wie die Verfasserin wohl zu Recht argumentiert. Außerhalb Roms bestanden für die Senatoren in den Städten Italiens allerdings weit mehr Möglichkeiten zu individueller Repräsentation und religiöser Betätigung (S. 107–121), sei es durch Stiftungen, private Weihungen oder Teilnahme an religiösen Zeremonien lokaler Kulte. Hatten sie allerdings in offizieller Funktion an Kulthandlungen in den Provinzen Anteil, beispielsweise als Statthalter, so traten sie vornehmlich als Repräsentanten der Zentralmacht auf.

Es ergeben sich freilich auch einige Kritikpunkte: Die an Mommsen erinnernde, nicht ganz glückliche Darstellung des Kaisers als „highest non-priestly magistrate“ (zum Beispiel S. 107) mag da noch als Nebensächlichkeit durchgehen. Schwieriger ist es aber bei sachlichen Fehlern oder zumindest sehr fragwürdigen Grundannahmen, besonders wenn daraus weitreichende Schlüsse gezogen werden. So geht die Autorin beispielsweise irrtümlich davon aus, dass die Möglichkeit zur Bestattung innerhalb der Stadtgrenzen Roms in der Kaiserzeit auf die Herrscher und die Vestalinnen beschränkt wurde (S. 170f.). Ein Begräbnis innerhalb des Pomerium war aber bereits seit den XII Tafeln verboten; abgesehen von den Vestalinnen erhielten nur wenige das Privileg eines Grabes in der Stadt. Das Verbot blieb auch im Principat bestehen und galt ebenfalls für die Kaiser, Traian war eine absolute Ausnahme. Dass die Selbstdarstellung von Senatoren in Rom mit der des Kaisers konkurrierte und daher Zurückhaltung aus verschiedenen Gründen angebracht war, steht auf einem anderen Blatt. Ob die Bestattungssitten daher generell für eine „theology“ (S. 167–185) römischer Religion aussagekräftig sind, sich also mit (vermeintlichen) Änderungen in der Bestattungspraxis auch eine andere Sicht auf die damit zweifellos verknüpften religiösen Anschauungen verband, wird im Einzelnen nicht ohne Weiteres zu klären sein. In den meisten Fällen bleibt ungewiss, welches religiöse Verständnis der Bestattete oder die für das Begräbnis verantwortliche Person hatte.

Vorsicht ist sicher auch geboten, wenn in der Ikonographie senatorischer Sarkophage Bezüge zur „senatorial religion“ erkannt werden.2 Die Darstellung einer sella curulis ist auch nicht zwangsläufig als Hinweis auf den Wunsch nach einer göttlichen Verehrung (so aber S. 197), sondern wohl eher als bildliche Ergänzung zum cursus honorum der (Grab-)Inschriften zu verstehen. Ferner kann man sich durchaus fragen, ob die geringe Zahl bekannter Weihungen von Senatoren an einen Kaiser (als Gott) wirklich so bemerkenswert ist. Schließlich standen die Senatoren im Ganzen der religiösen Überhöhung eines Menschen, der womöglich aus ihren Reihen an die Spitze des Reiches aufgestiegen war, eher reserviert gegenüber. Davon zu trennen sind freilich die vota und Weihungen für das Wohl des Kaisers (S. 129f.).

Neben solchen Kritikpunkten fällt auch in methodischer Hinsicht ein Manko auf: Die Verfasserin betont in ihrer Einleitung die prosopographische Grundlage ihrer Ausführungen: „This book has itself grown out of the primarily empirical project of establishing a prosopographical database, tracing evidence for the religion of senators in the first two and a half centuries of the Roman empire through the literary, epigraphical, and material evidence“ (S. 8). Damit wird der Eindruck einer umfassenden Sichtung des erhaltenen Materials erweckt und lässt eine weitgehende Vollständigkeit der im Anhang beigefügten prosopographischen Listen erwarten. Bereits der Blick in das kurze Abkürzungsverzeichnis (S. XIf.) lässt den Leser freilich stutzig werden: Dort findet sich nur ein Eintrag zur ‚PIR online‘ 3, nicht aber zur den eigentlichen Bänden der „Prosopographia Imperii Romani“. Offenbar hat die Verfasserin die PIR selbst nicht benutzt, sondern nur über das Online-Stichwortverzeichnis die Nummern des Eintrags für die sicher anderweitig gefundenen Personennamen herausgesucht. Das Stichwortverzeichnis befindet sich aber auf dem Stand von Oktober 2004 (!), seitdem sind zwei weitere Bände zu den Buchstaben S und T (aus den Jahren 2006 bzw. 2009) erschienen.4 Várhelyis Appendices sind demgemäß sehr unvollständig und machen ihren Nutzen fraglich.5

Trotz dieser Monita kann Várhelyi ein breites Spektrum religiösen Handelns der Senatoren aufzeigen, welches sonst kaum im Blickfeld der Forschung steht, und ihre Hauptthese mit vielen bemerkenswerten Beobachtungen und anregenden Gedanken unterstreichen. Auch wenn man sich in manchen Aspekten eine sorgfältigere Analyse oder Recherche gewünscht hätte, stellt das Buch im Ganzen eine Bereicherung der Forschung dar.

Anmerkungen:
1 The religion of the senatorial elite in the Roman Empire AD 69–235, Diss. New York (Columbia University) 2002.
2 Vgl. die kritische Bemerkung von Henning Wrede, Senatorische Sarkophage Roms. Der Beitrag des Senatorenstandes zur römischen Kunst der hohen und späten Kaiserzeit, Mainz 2001, S. 57–60: „Weder die Inschriften römischer Senatoren noch ihre Sarkophage und sonstigen Grabreliefs sind nach dem modernen Verständnis biographisch zu werten. Das von ihnen geschilderte Leben der Senatoren entsprach vielmehr kollektiv verbindlichen Normen.“
3 <http://www.bbaw.de/bbaw/Forschung/Forschungsprojekte/pir/de/Startseite> (22.10.2010), vgl. auch Kai Ruffing: Web-Rezension zu: Prosopographia Imperii Romani (PIR) online, in: H-Soz-u-Kult, 12.08.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=96&type=rezwwwzwww> (22.10.2010).
4 Dementsprechend zitiert Várhelyi die PIR-Artikel zu Personen, deren Namen mit S oder T beginnen, noch nach dem 1898 (!) erschienenen dritten Band der ersten Auflage.
5 Einige wenige Beispiele (zu denen noch deutlich mehr hinzuzufügen wären) sollen das verdeutlichen: Bei den in ihren Heimatprovinzen bestatteten Senatoren (Appendix C) fehlt zum Beispiel M. Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus, dessen Schicksal auch für die Diskussion im Text interessant gewesen wäre, vgl. etwa Géza Alföldy, Marcus Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus. Neues und Altes zum Werdegang eines römischen Generals, in: Revue des Études Militaires Anciennes 1 (2004), S. 45–62. Bei den Fetialen (App. E) vermisst man Augustus, Nero Iulius Caesar (PIR² I 223) oder auch P. Cornelius Lentulus Scipio (PIR² C 1398); ein Blick in Jörg Rüpkes Fasti Sacerdotum (Stuttgart 2005), die im Literaturverzeichnis aufgeführt sind, hätte Várhelyi noch weitere Namen offenbart. Der Liste der Salii (App. F) lässt sich beispielsweise noch Q. Tineius Sacerdos (PIR² T 229) hinzufügen, und er ist nicht der einzige.

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