G. B. Magee u.a.: Empire and Globalisation

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Titel
Empire and Globalisation. Networks of People, Goods and Capital in the British World, c. 1850-1914


Autor(en)
Magee, Gary B.; Thompson, Andrew S.
Erschienen
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 55,58
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Altmann, Korb

Die Globalisierung treibt die Ambivalenzen der Moderne auf die Spitze. Gilt die Entfesselung einer ungebremsten ökonomischen Dynamik den einen als Unterpfand für ein Wachstum ohne Grenzen, verstehen andere einen frei flottierenden Finanzkapitalismus als Kampfansage an die Errungenschaften einer wohlfahrtsstaatlich eingehegten Marktwirtschaft. Und während die Fürsprecher der Globalisierung die ihr zugrunde liegende Kommunikationsrevolution als lang ersehnten Sieg über die „Tyrannei der Distanz“ apostrophieren, empfinden Skeptiker den vermeintlichen Wegfall jedweder Barrieren als Dammbruch, der die materiellen wie psychologischen Sicherheiten des Nationalstaats hinwegspült und den Einzelnen dem ungezügelten Wellengang globaler Konjunkturen preisgibt. Insbesondere die drastische Senkung der Transportkosten und die Öffnung vieler Grenzen lassen gerade in Europa die Furcht vor unkontrollierbaren Migrationsbewegungen wachsen. Gary Magee und Andrew Thompson möchten einen Kontrapunkt gegen dieses Schreckensszenario setzen. Sie porträtieren – einem Trend der jüngeren Forschung folgend – das Britische Empire als erste Etappe der Globalisierung und sehen in den Migranten des 19. Jahrhunderts veritable Protagonisten der modernen Welt. Magee und Thompson machen es sich zur Aufgabe, kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte des Empire miteinander zu verknüpfen, um so bislang verborgene Winkel der „British World economy“ (S. 6) auszuleuchten. Sie bedienen sich hierzu zweier Konzepte, die in den Sozialwissenschaften bereits tiefe Spuren hinterlassen haben. Zum einen stützen sie sich auf die Arbeiten Pierre Bourdieus und vor allem Robert Putnams zum Begriff des sozialen Kapitals. Magee und Thompson unterstreichen nachdrücklich den Wert gemeinschaftsbasierter Problemlösungsansätze, die die Effizienz gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse steigern und sich zugleich in ökonomische Erfolge ummünzen lassen. Zum anderen verbindet das Netzwerkkonzept, wie es beispielsweise in der Transaktionskostenökonomie Anwendung findet, materielle und symbolische Facetten sozialer Interaktion und eignet sich deshalb als probater Ansatz zur Beschreibung der Leistungen, die Migranten als Schrittmacher der Globalisierung im langen 19. Jahrhundert erbracht haben.

Zwischen 1850 und 1918 verließen 13,4 Millionen Menschen die Britischen Inseln, das Gros von ihnen in Richtung Empire und USA. Vor allem die Dominions bemühten sich nach Kräften um Einwanderer aus dem Mutterland, während die Verantwortlichen in London selbst trotz malthusianischer Krisendiskurse keine nennenswerte Migrationspolitik betrieben. Im Verlauf der Jahrzehnte entstand mithin ein dichtes Netzwerk, das aus Familien, Kollegen, Wohlfahrtsorganisationen, Gewerkschaften sowie Journalisten bestand und den Kommunikationsfaden auch über Tausende von Meilen hinweg nicht abreißen ließ. Finanziell schlug sich dieses eng geknüpfte Netz etwa in regelmäßigen Überweisungen der Emigranten zugunsten der Daheimgebliebenen nieder. Magee und Thompson schätzen, dass die Summe der in die alte Heimat transferierten Gelder Großbritannien zwischen 1873 und 1913 einen Nettogewinn von bis zu 200 Millionen Pfund bescherte, wobei sich die in die USA Ausgewanderten als besonders spendabel erwiesen. Familiennetzwerke bildeten also schon in finanzieller Hinsicht den „lynchpin of the migration process” (S. 103). Aber auch politisch wirkten die Siedlergesellschaften in Übersee auf das Mutterland zurück: Die Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber dem Parlament, geheime Wahlen, das Stimmrecht für Frauen und der kostenlose Schulbesuch etablierten sich in den Dominions zum Teil erheblich früher als in Großbritannien und beeinflussten die entsprechenden Debatten dort erheblich.

Es mag zunächst nicht überraschen, dass Importe aus dem Schrittmacherland der Industrialisierung die Märkte der Dominions beherrschten. Allerdings war dies Magee und Thompson zufolge keineswegs auf Zölle oder nichttarifäre Handelshemmnisse zuungunsten Dritter zurückzuführen. Vielmehr half die Beibehaltung überkommener Konsummuster den Emigranten bei der Überwindung der psychischen Distanz, die regelmäßig in einer Verhaltensunsicherheit auf neuen Märkten zum Ausdruck gelangt. Eine gewichtige Rolle spielten zudem die Crown Agents, die als Scharnier zwischen den Kolonien und dem Mutterland fungierten. Sie berieten das Kolonialministerium und das Schatzamt, standen aber ebenso den Dominions bei der Kapitalbeschaffung in der Londoner City mit Rat und Tat zur Seite und halfen so nicht zuletzt, bedeutende Infrastrukturprojekte wie den Bau von Eisenbahnlinien anzuschieben. Im Übrigen profitierten auch Unternehmen wie Glaxo von international verflochtenen Familiennetzwerken, während sich Angehörige der Quäker als Verkörperung der protestantischen Ethik mit großem Erfolg in der Produktion von Nahrungsmitteln betätigten und dabei auf ein Netzwerk von Mitgläubigen rekurrieren konnten. Die kulturspezifische Prägung der Warenwelt erlaubte es demnach britischen Unternehmen, Emigranten gewissermaßen in deren neue Heimat zu begleiten. Nach dem Ersten Weltkrieg freilich nahm auch in der Britischen Welt die Amerikanisierung des Massengeschmacks ihren Lauf. Während also das Empire in einer rein ökonomisch orientierten Wirtschaftsgeschichte lange als „form of economic escapism“ (S. 167) gegeißelt wurde, heben Magee und Thompson explizit das Modernisierungspotential eines kulturell unterfütterten imperialen Netzwerks hervor.

Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den Finanzströmen wider, die Großbritannien mit Übersee verbanden. Zwischen 1865 und 1914 flossen 56 Prozent der britischen Auslandsinvestitionen in die USA, die Dominions und nach Argentinien, das zu den Speerspitzen des informellen Empire zählte. Sieht man von Indien ab, erhielten die Kolonien lediglich magere 4 Prozent des Investitionsvolumens. Siebzig Prozent der in Übersee angelegten Gelder wurden für Infrastrukturprojekte aufgebracht. Auch hier können Magee und Thompson den Nachweis erbringen, dass soziales Kapital einen ökonomischen Mehrwert abwarf. Sie gehen so weit, von britischen Subventionen zu sprechen, und zwar mit Blick auf die niedrigeren Zinsen, welche die Dominions am britischen Kapitalmarkt für Anleihen und Kredite bezahlen mussten. Dies sei Ausdruck des Informationsüberschusses im Vergleich zu anderen Ländern, und dieser beruhe wiederum auf einer nachhaltigen Netzwerkpflege. So verwundert es vor diesem Hintergrund nicht, dass an der Wende zum 20. Jahrhundert zwei Drittel der kanadischen Banker aus Schottland stammten. Man sollte folglich nicht die Macht der Gerüchte, der Mundpropaganda und der persönlichen Erfahrung unterschätzen, will man individuelle Investitionsentscheidungen nachvollziehen. Kontextspezifische Informationen, die auf gemeinsamen Werten und Verhaltensmustern fußten, fanden nicht zuletzt dank pensionierter Kolonialbeamter ihren Weg zu den richtigen Adressaten. Es zahlte sich also in der Geschäftswelt aus, als britisch wahrgenommen zu werden. Informationsasymmetrien wirkten demnach als Katalysatoren für die Abwicklung von Finanztransaktionen im Empire.

Hinter all diesen Entwicklungen vermögen Magee und Thompson kein „grand design“ (S. 235) zu entdecken. Vielmehr entstand im 19. Jahrhundert ein globaler Markt als Resultat des erfolgreichen Wirkens transnationaler Netzwerke, die Offenheit und Wachstum förderten, was jedoch nicht verhindern konnte, dass diese Trends nach dem Ersten Weltkrieg protektionistischer Engstirnigkeit zum Opfer fielen. Deshalb müssen auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts Befürworter wie Skeptiker der Globalisierung mit deren kontingenter Natur rechnen. Ökonomische Interdependenz muss nicht unwiderruflich mit der Akzeptanz kultureller Vielfalt Hand in Hand gehen. Die Geschichte der Britischen Welt indes sehen Magee und Thompson als gelungenen Auftakt zu den folgenden Wellen der Globalisierung.

Der vorliegende Band stellt unter Beweis, wie mit beachtlicher Akribie zusammengetragene Forschungsergebnisse dank einer behutsam theoriegeleiteten Fragestellung ein neues Licht auf bekannte Sachverhalte zu werfen vermögen. Magee und Thompson gelingt damit ein Brückenschlag zwischen dem Globalisierungsdiskurs und der lange in dessen Kielwasser mitschwimmenden Empireforschung. Mehr noch: Mit ihrer an Perspektiven reichen und begrifflich scharf umrissenen Studie liefern sie den oft geschichtsleeren Debatten über die Globalisierung den nötigen Tiefgang.

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