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Titel
Das Mittelalter.


Autor(en)
Lubich, Gerhard
Reihe
UTB 3106
Erschienen
Paderborn 2010: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Eßer, Lehrstuhl für Mittlere Geschichte, RWTH Aachen

Seit der Etablierung der Bachelor-/Master-Studiengänge an deutschen Universitäten haben Einführungswerke Konjunktur, die für sich in Anspruch nehmen, besonders auf die neue Struktur des Studiums einzugehen. Dies gilt auch für die Reihe „Orientierung Geschichte“, die „auf überschaubarem Raum Grundlagen historischen Wissens vermitteln“ will, wie der Reihenherausgeber Achim Landwehr in einem Vorwort den Anspruch formuliert (S. 7). Gleich zu Beginn stellt Gerhard Lubich, Verfasser des hier zu besprechenden Bandes, fest, ihm sei es weniger um eine Einführung in die mittelalterliche Geschichte (wie der schlichte Titel „Das Mittelalter“ zunächst vermuten lassen könnte) als vielmehr um eine Einführung in das Studium derselben gegangen. Was diese Unterscheidung meint, macht vor allem der Aufbau des Buches deutlich. In insgesamt neun Kapiteln wird die Verbindung von chronologisch geordneter geschichtlicher Darstellung mit vertiefenden methodischen und theoretischen Exkursen und Perspektiven versucht und meist auf überzeugende Weise gemeistert. Gemäß der Fokussierung auf das Studium der mittelalterlichen Geschichte versucht Lubich den Leser nicht nur an die Epoche, sondern auch und gerade an die Wissenschaft derselben anzunähern. Zum Ausgangspunkt nimmt er dabei die provozierende wie gleichwohl realistische These, „dass ein Studienanfänger heute praktisch nichts über das Mittelalter weiß“ (S. 9). Zugleich ist er aber optimistisch genug, auf Seiten der Studierenden ein grundsätzliches Interesse zu vermuten. Diese Lücke zwischen Interesse und faktischem Kenntnisstand soll die Einführung schließen, um so die Studierenden auf ein mittelalterliches Proseminar adäquat vorzubereiten. Ihrer Zielgruppe entsprechend bedient sie sich dabei einer eingehenden, leicht verständlichen Sprache, allerdings wirkt die Annäherung an einigen Stellen ein wenig bemüht.

Den thematischen Kapiteln vorgeschaltet bietet das erste Kapitel nicht nur die obligatorische Einführung zu Begriff und Gegenstand des „Mittelalters“, sondern auch eine erste Annäherung an die wissenschaftliche Auseinandersetzung anhand eines Unterkapitels mit der Überschrift „Sprechen Sie Mittelalter?“. In diesem wird ein Set von 801 Fachbegriffen (von „Ethnogenese“ über „Gottesfrieden“ bis „Reichsreform“) aufgestellt, verbunden mit Verweisen auf die Seiten des Buches, auf denen diese näher behandelt werden. Wer diese Termini korrekt beherrsche, bedürfe in der mittelalterlichen Geschichte keiner „Orientierung“ mehr und könne selbstbewusst ein entsprechendes Studium aufnehmen.

Kapitel 2 bis 8 verfolgen chronologisch die mittelalterliche Geschichte; jedes dieser Kapitel gliedert sich in zwei Unterkapitel und schließt mit kommentierten Hinweisen auf zentrale weiterführende Literatur. Dabei bietet der erste Abschnitt jeweils einen groben Abriss der wichtigsten Ereignisse, Strukturen und Entwicklungen des behandelten Zeitraums, während im zweiten Ansätze, Methoden oder Hintergründe aus der geschichtswissenschaftlichen Praxis dargestellt, anhand von Beispielen aus jener Periode exemplifiziert und diskutiert werden.

So folgt im zweiten Kapitel „Vorboten des Mittelalters“ auf ein „selektives Panorama der spätantiken Welt“ eine vertiefende Darstellung zu „Leitvokabeln und ihre[r] Macht“, in welcher den Begriffen ‚Völkerwanderung‘, ‚dark ages‘, ‚Germanen‘ als Ausdruck der älteren Forschungsperspektive mit ‚Akkulturation‘, ‚Migration‘, ‚Ethnogenese‘ die Leitvokabeln neuerer Ansätze gegenübergestellt werden.

In Kapitel 3 zum merowingischen Frankenreich wird exemplarisch an Gregor von Tours die Frage nach Leitquellen und ihrer Problematik diskutiert; an die Darstellung der karolingischen Herrschaft (Kapitel 4) schließt sich eine Diskussion des personengeschichtlichen Ansatzes in der Differenzierung zur Rezeptionsgeschichte an („Leitfiguren und Leitbilder“). Entsprechend wandelt Lubich für das folgende Kapitel über das „dunkle“ 10. Jahrhundert die dynastische in eine auf Europa im ganzen orientierte Perspektive und problematisiert diese wiederum im Anschluss, indem er „Nationen und ‚Europa‘ als historische Größen“ (Kapitel 5.2) unter dem Stichwort „Leitfragen“ kritisch beleuchtet.

Dem Hochmittelalter wird besonderes Gewicht zugemessen, denn diese „Zwei Jahrhunderte […] ließen eine neue Zeit anbrechen“ (S. 132). In der Konsequenz besitzt das entsprechende Kapitel 6 nicht nur überproportionalen Umfang, sondern auch als einziges eine dritte Gliederungsebene. Die im Anschluss behandelten „religiösen Horizonte“ konzentrieren sich auf die Geschichte christlicher Spiritualität sowie der Institutionen der christlichen Kirche, nehmen aber auch kurz Judentum und Islam in den Blick.

Lubich verteilt die Darstellung des Spätmittelalters auf zwei Kapitel, wobei er die Trennlinie mit dem Aufkommen der Pest um 1350 zieht: Als „Spätsommer des Mittelalters“ (Kapitel 7) beschreibt er in Anlehnung an Huizingas berühmte Metapher die Vorboten jener Krisenstimmung, welche dieser für die Jahre 1350 bis 1500 diagnostizierte; angeschlossen daran folgt eine „Betrachtung des Sozialen“, die im wesentlichen ein forschungsgeschichtliches Panorama von Verfassungs-, Kultur- und Sozialgeschichte bietet. Ab 1350 sieht Lubich „Das Mittelalter auf dem Weg nach Europa“ (Kapitel 8), wobei er neben den Grundlinien der politischen und geistlichen Geschichte bis 1500 vor allem die Vereinheitlichungstendenzen betont.

Zum Abschluss der chronologischen Darstellung schließt sich eine prinzipielle Diskussion der „theoretischen Horizonte“ (Kapitel 8.2) an, in welcher von Methodenwahl, Quellenkritik und linguistic turn bis hin zum Status historischer Wahrheit auf instruktive Weise einige grundlegende theoretische Aspekte und Probleme der Mediävistik skizziert werden.

Im neunten und letzten Kapitel folgen schließlich einige „studienpraktische Hinweise“, in denen nicht nur die Bedeutung der Hilfswissenschaften betont und die wichtigsten dieser Disziplinen umrissen, sondern auch die relevantesten Quelleneditionen vorgestellt und auf bibliografische Hilfsmittel wie Lexika, Handbücher, aber auch Regesten und Rezensionen als „Verlässliche“ bzw. „Unterschätzte Freunde“(Kapitel 9.2 und 9.3) hingewiesen wird. Nicht fehlen dürfen dabei auch hilfreiche wie gleichzeitig mahnende Hinweise zu Internet und zur Abfassung schriftlicher Arbeiten in der Mittleren Geschichte. Mit einem Verweis auf vertiefende Literatur, die der Lektüre der Einführung folgen solle, schließt Lubich. Ein von Patricia Tesch bearbeitetes Register macht das Buch über die wichtigsten Begriffe zugänglich.

Eine erschöpfende Darstellung der mittelalterlichen Geschichte ist in einem solchen Rahmen kaum zu leisten und vom Autor auch explizit nicht beabsichtigt. Es ist daher müßig, hier Aspekte oder Themenfelder anzuführen, denen man eine größere Aufmerksamkeit gewünscht hätte (etwa den Kreuzzügen). Vielmehr muss hervorgehoben werden, dass die überblicksartigen Charakterisierungen ihrem Zweck der ersten Orientierung in gutem Maße gerecht werden, gerade weil sie meist eher auf zentrale Strukturen als eine additive Aufzählung von Ereignissen und Personen abheben. Der gewählte Aufbau hat allerdings auch kleinere Nachteile: So wird beispielsweise die in der deutschsprachigen Forschung übliche Differenzierung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter nicht etwa schon im einführenden Kapitel, sondern erst zum Hochmittelalter thematisiert; die „religiösen Horizonte“, die „eine Art grundlegender Institutionengeschichte der Kirche“ (S. 136) darstellen, wären gerade deshalb durchaus auch an früherer Stelle im Buch sinnvoll gewesen.

Die besondere Stärke des Werks ist jedoch die meist pointierte, anhand gut ausgewählter Beispiele nachvollziehbar gemachte Beleuchtung verschiedener Ansätze, Grundprobleme und Methodiken der Mediävistik als der Wissenschaft vom Mittelalter. Auf diese Weise will es deutlich machen, „dass Geschichte als Wissenschaft eben mehr ist als das Erlernen von Fakten“ (S. 194). Soweit dies gelingt, stellt das Buch eine gelungene erste Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte dar.

Anmerkung:
1 Ein Nummerierungsfehler führt jedoch dazu, dass die Auflistung bis zur Nummer 81 reicht.