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Titel
Three Victories and a Defeat. The Rise and Fall of the First British Empire, 1714-1783


Autor(en)
Simms, Brendan
Erschienen
London 2008: Penguin Books
Anzahl Seiten
802 S.
Preis
€ 14,55
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Hölscher, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Die Geschichte Großbritanniens wird seit einigen Jahren neu geschrieben oder wenigstens von einer jungen Historikergeneration aus bislang vor allem von der angelsächsischen Forschungstradition vernachlässigten Blickwinkeln betrachtet. Angestoßen von Historikern wie Bob Harris, Stephen Conway und Jeremy Black, die schon länger über den autoreferentiellen Tellerrand britischer Empire-Geschichtsschreibung hinaus schauen, sind es besonders die komplexen Strukturen zwischen der „Glorious Revolution“ und dem Ende der Regierungszeit Georgs III., die seit einigen Jahren vermehrte Aufmerksamkeit erfahren. Gemeinsam sind diesen neueren englischsprachigen Arbeiten beispielsweise von Andrew C. Thompson, Nick Harding, Hannah Smith oder Torsten Riotte die Abkehr vom bisherigen Klischee der „splendid isolation“ der britischen Inseln und eine Neubewertung der dynastischen, konfessionellen, strategischen, kurz der wechselseitigen Beziehungen zwischen Insel und Kontinent für die britische Geschichte.

Auch Brendan Simms, der sich in Cambridge vorrangig der Geschichte internationaler Beziehungen nach 1945 widmet, plädiert in „Three Victories and a Defeat“ für neue Sichtweisen auf eine Phase der Geschichte Großbritanniens, deren Besonderheit allein schon aufgrund der seit dem frühen 18. Jahrhundert bestehenden Personalunion mit dem Kurfürstentum Hannover auf der Hand liegen sollte. Anders als für weite Teile der älteren Forschung, die sich in der Bewertung britisch-europäischer Wechselwirkungen bis weit ins 20. Jahrhundert von überkommenen Whig- oder Tory-Positionen leiten ließ, ist Großbritanniens erster Weg zur Weltmacht für Simms alles andere als eine island story: „[T]he history of eighteenth-century Britain was in Europe.“ (S. 1) Die Wurzeln dieser These, die Simms auf die Jahre zwischen 1714 und 1783 anwendet, führen den Autor weit zurück in der Geschichte der Beziehungen zwischen der Insel und dem europäischen Kontinent. Schon im Hundertjährigen Krieg wurde für englische Interessen auf dem Kontinent gefochten, und spätestens mit Heinrich VIII. und Elisabeth I. sei nicht nur der Kampf gegen den kontinentalen Katholizismus leitmotivisch für die englische Außenpolitik geworden, sondern ebenso das Bestreben, eine drohende (damals noch habsburgische, später dann französische, in jedem Fall katholische) Universalmonarchie zu verhindern. Das damit verbundene englische Engagement auf dem Kontinent, das vor allem in der Unterstützung der niederländischen und deutschen Protestanten seinen Ausdruck fand, führte schließlich dazu, dass schon William Cecil die südlichen Niederlande und Teile des Alten Reichs als „counterscarp of England“ bezeichnen konnte und Europa insgesamt „as part of England’s defensive system“ (S. 14) galt.

Infolge dieser europazentrierten Sicherheitspolitik der Tudors und erster Handels- und Kolonisationsversuche in Übersee hatte sich bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts jenes politische Vokabular entwickelt, das spätestens ab dem Ende des 17. Jahrhunderts mit der Herausbildung der politischen Gruppierungen von Whigs und Tories die außenpolitisch-strategischen Diskussionen in London beherrschte und für den Betrachtungszeitraum von Simms’ Monographie erhebliche Wirkmächtigkeit besaß: Während die Verteidigung der protestant interest und der liberties of Europe den Whigs als ein „primarily political and strategic concept“ (S. 18) galt, das zur Aufrechterhaltung der balance of power unter den europäischen Mächten aufgrund englischer Sicherheitsinteressen zu verfolgen war, erachteten die Tories eine Mächtebalance, die sich nicht selbst würde in der Waage halten können, als ein unzureichendes außenpolitisches Konzept. Ihre Idee einer blue water policy, in deren Mittelpunkt die Kontrolle von See- und Handelswegen durch eine starke Marine und eine Konzentration auf überseeische Besitzungen stand, konnte sich allerdings zunächst nicht durchsetzen. Mit dem Frieden von Rijswijk 1697 und der Einrichtung einer zur Eindämmung französischer Expansionsbestrebungen dienenden „Anglo-Dutch barrier“, eines Festungsgürtels in den südlichen Niederlanden, wurden Englands Sicherheitsinteressen integraler Bestandteil der europäischen Mächtebalance und des internationalen Rechts.

Gleichzeitig rückten auch die Verhältnisse innerhalb des Alten Reichs in den Fokus britischer Kontinentalpolitik: Den vom Duke of Marlborough 1704 bei Höchstädt erfochtenen Sieg sah man in London als wichtigen Schlag gegen eine drohende französische Vorherrschaft im Reich und damit als Erfolg englischer Sicherheitsbestrebungen (S. 44). Dass im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges hingegen Positionen der Tories die Oberhand gewannen, mag laut Simms der Entwicklung eines effektiven Militär- und Steuersystems zuträglich gewesen sein. Allein der gescheiterte Angriff auf Québec 1711 und der Frieden von Utrecht 1713, bei dem die Interessen der britischen Bündnispartner und damit das eigene kontinentale Sicherheitskonzept übergangen wurden, hätten aber gezeigt, dass die strategischen Leitlinien der Tories auf Dauer nicht mit einer aktiven Politik auf dem europäischen Kontinent vereinbar sein sollten. Zurecht verweist Simms im Zusammenhang mit den Entwicklungen im Vorfeld der 1714 in Kraft tretenden Personalunion mit Hannover auf bestehende Traditionen Großbritanniens als composite statehood.1 Abgesehen von den Sonderfällen Irland und Wales sei das politische Zusammengehen mit anderen Staatsgebilden spätestens seit William III. in erster Linie sicherheitsstrategischen Überlegungen geschuldet gewesen. Diese hatten laut Simms im Umgang mit den nordamerikanischen Kolonien und in den Unionen mit Schottland (1707) und dem Kurfürstentum Hannover ihre logische Fortführung erfahren – im Falle Schottlands zur Eindämmung des französischen Einflusses auf der Insel, im Falle Hannovers zur Sicherung der protestantischen Sukzession, verbunden mit dem Vorteil, dass Großbritannien nun auch zu einem Machtfaktor innerhalb des Alten Reichs wurde (S. 75).

Bis zur Thronbesteigung Georgs III., den die englischsprachige Geschichtsschreibung als ersten hannoverschen Briten feierte, sollte diese von den Whigs geprägte grand strategy die Grundzüge britischer Diplomatie und Außenpolitik bestimmen und die Schaffung eines ersten Empire mehr begünstigen als die auf maritime und ökonomische Stärke ausgerichteten Vorstellungen der Tories. Doch unter Georg III. wandten sich die britischen Sicherheitskonzepte unter Tory-Einfluss vom Kontinent ab, mit fatalen Folgen: Die vormals unter dem Eindruck von protestant interest, continental commitment und der Personalunion auf den europäischen Kontinent orientierte britische Diplomatie vernachlässigte zunehmend ihre traditionellen Leitlinien und ließ Großbritannien schließlich sehenden Auges und ohne Rückhalt durch europäische Bündnispartner auf den Verlust der nordamerikanischen Kolonien zusteuern: „The first British Empire was built by Whigs; it was lost by Tories.“ (S. 76) Ganz Traditionalist schreibt Simms jedoch unterschwellig den Verlust des ersten britischen Weltreichs auch einem moralischen Verfall zu. Seien Lord Bolingbroke und der Earl of Oxford 1715 noch einem Impeachment-Verfahren ausgesetzt gewesen, an dessen Ende potentiell die Todesstrafe stand, so sieht der Autor die politischen Akteure nach 1763 am Beispiel des gescheiterten Lord North unter anderen Bedingungen agieren: „By 1782 ministers feared to lose their posts, but not their liberty or even their heads. Perhaps it would have concentrated their minds had they been so exposed. […] British high politics were less deadly after 1763 than they had been for hundreds of years.“ (S. 681)

Äußerst detailliert und angelsächsisch eloquent entwickelt Brendan Simms auf Grundlage seiner soliden Argumentation eine neue Sicht auf das politische Handeln im Großbritannien und Europa des 18. Jahrhunderts. Dass besonders die vom historiographischen Erbe der Whigs und Tories vorgegebenen Interpretationslinien immer wieder wortreich gegeneinander abgewogen werden, liegt in der Überlieferungsgeschichte des Gegenstandes und dem übergreifenden Ansinnen des Autors begründet. Simms Verdienst besteht allerdings darin, allen Tendenzen dieser Überlieferung zum Trotz ein klares und differenziertes Bild der außen- und innenpolitischen Entwicklung Großbritanniens von der Personalunion mit Hannover bis zum Verlust der 13 Kolonien zu zeichnen. Eine bislang nicht von vielen englischsprachigen Frühneuzeithistorikern gepflegte Kenntnis auch der deutschsprachigen Quellen unterstützt dabei die Schlüssigkeit seiner Gedankenführung. Aufbau und Umfang des Buches sowie einige seiner Thesen zeigen jedoch, dass sich Simms bei aller methodischen Modernität nicht ganz von den erzählerischen Traditionen angelsächsischer Historiographie lösen kann: Sein leicht moralisierender Unterton erinnert an klassische Verfallsgeschichten wie Edward Gibbons „Decline and Fall of the Roman Empire“. Dennoch wird diese Studie für wichtige Impulse einer Neuen Diplomatiegeschichte des 18. Jahrhunderts sorgen.

Anmerkung:
1 Dieser von Helmut Koenigsberger für eine differenziertere Betrachtung frühneuzeitlicher Staatsgebilde in die Diskussion eingebrachte Begriff hat sich in der englischsprachigen Historiographie bislang nicht durchsetzen können. Vgl. Helmut G. Koenigsberger, Dominium regale or dominium politicum et regale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: ders., Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History, London 1986, S. 1-25.

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