F. Brunet: Photography and Literature

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Titel
Photography and Literature.


Autor(en)
Brunet, Francois
Erschienen
London 2009: Reaktion Books
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 18,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johanne Mohs, Hochschule der Künste Bern

In seiner Studie „Photography and Literature“ skizziert François Brunet eine Geschichte der Wechselwirkungen zwischen Fotografie und Literatur. Er reiht sich damit in eine aktuelle Tendenz ein, die Kreuzung der beiden Medien als einen eigenen Untersuchungsbereich heraus zu arbeiten. Im Unterschied zu den meisten anderen Versuchen eine „Photolittérature“ (Paul Edwards) zu beschreiben und historisch herzuleiten, fokussiert sich Brunet dabei auf die Fotografie und nicht auf die Literatur.1 Diese Ausrichtung legt bereits das Titelschema der Serie „Exposures ‚Photography and X‘“ nahe und wird von dem recht weit gefassten Literaturbegriff Brunets untermauert. Literatur umfasst bei ihm sowohl unterschiedlichste Schriftstücke als auch narrative und rhetorische Strukturen. Als Bezugsmedium spielt sie in Brunets Überlegungen vorrangig die Rolle eines Verbreitungs-, Ästhetisierungs- und Authorisierungsorgans.

Brunets methodische Leitlinie ist im weitesten Sinne kulturwissenschaftlich: Er betreibt kaum detaillierte Text- und Bildanalyse, betrachtet das Aufeinandertreffen von Literatur und Fotografie teils editionspraktisch, teils ideengeschichtlich und befragt die Wechselwirkungen dieses Aufeinandertreffens mit dem Kulturbetrieb. In dem auf diese Weise eingegrenzten Gegenstand „Fotografie und Literatur“ führt er je eine Ausprägung des Zusammenkommens der beiden Medien in einem Kapitel vor und kommt so am Ende auf eine Summe von fünf Varianten, die jeweils in der historischen Spanne von der Erfindung der Fotografie bis heute situiert werden.

Im ersten Kapitel „Writing the Invention of Photography“ analysiert Brunet die Rolle der Literatur in der Erfindungsphase der Fotografie Ende der 1830er-Jahre. Am Beispiel von François Aragos Rede zur offiziellen Bekanntgabe von Daguerres Erfindung und Henri Fox Talbots Notizen zu dem von ihm entwickelten Negativ-Positiv-Verfahren veranschaulicht Brunet, dass gesprochene und geschriebene Sprache „photography’s primary channel of communication“ (S. 16) waren. Darüber hinaus demonstriert er, wie der Einsatz von rhetorischen und narrativen Mitteln die Erfindungsphase der Fotografie in Legenden überformt, die sich im Laufe der Fotogeschichte zu unterschiedlichen Erzähltraditionen entwickeln. Wenn auch die starke Tendenz zur Legendenbildung eine längst beobachtete Begleiterscheinung der frühen Fotografie ist, stellt das erste Kapitel die Bedeutung von Aragos und Talbots Vorlagen für zwei verschiedene Denkmodelle der Fotografie überzeugend heraus: eines, das auf den sozialen und eines, das auf den künstlerischen Gebrauch des Mediums ausgerichtet ist.

Nach dieser frühen technischen und gesellschaftlichen Legitimierungsphase der neuen Errungenschaft bestimmt die Literatur bei Brunet dann auch die kurz darauf einsetzende künstlerische Legitimierungsphase der Fotografie. Im zweiten Kapitel, „Photography and the book“, entwickelt Brunet die These, dass die Kombination der beiden Medien im Buch die Autorenschaft der Fotografen und auch ihr Selbstverständnis als Künstler stark gefördert habe. Das gilt insbesondere für Gattungen wie den zwischen den beiden Weltkriegen aufkommenden Foto-Essay und die Praxis des Foto-Buchs. Zwar überwiegt in den Foto-Büchern des 19. Jahrhunderts noch ein dokumentarisches Interesse, dennoch, das führt Brunet treffend vor, entwickelt sich vereinzelt bereits ein individueller Ausdruckswille bei den Fotografen, der sich über Sprachzusätze expliziert. Auch wenn Brunets Argumentation hier überzeugt, hätte man erwähnen können, dass sich ein Autorenbewusstsein bei einigen Fotografen wie zum Beispiel Gustave Le Gray auch allein über das Bild ermitteln lässt.

Zu der Anerkennung von Fotografie als Kunst haben allerdings auch Systemreferenzen in literarischen Texten beigetragen, die zunächst verdeckt, dann aber, mit steigender künstlerischer Wertschätzung der Fotografie, immer offener vorgenommen werden. Brunet beobachtet diesen Sachverhalt daran, dass die „Literary Discoveries of Photography“, so der Titel des dritten Kapitels, anfangs oft anonym oder in privaten Aufzeichnungen erfolgen. Mit der graphischen Revolution um 1900 wird die Fotografie dann aber ein immer gängigeres doch zweischneidiges Motiv in literarischen Texten. Dieses zwischen Entfremdung und Anregung taumelnde Verhältnis durchzieht die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre, in denen Literatur und das Buch, so Brunet, zum „natural partner“ (S. 83) der Fotografie werden.

Ein weiterer Faktor, der dazu beiträgt, dass Fotografie über Literatur ihren Kunstgehalt festigt, ist die schriftstellerische Tätigkeit von Fotografen, die um die Jahrhundertwende einsetzt. Brunet stellt für diese Entwicklung zwei Typen von Schreiberzeugnissen vor, die vielfach die fotografische Praxis begleiten: Erstens Texte nach dem „pioneer pattern“ (S. 96), das heißt Memoiren von Fotoveteranen wie zum Beispiel Gaspard-Félix Nadar, die, meist nostalgisch gefärbt, mit der Erkenntnis einher gehen, durch die eigene Fotopraxis ein Stück Geschichte geschrieben zu haben. Als allgemeines Übel des Untergangs der Fotografiekultur der Anfangsjahre wird stets die „kodakery“ heraufbeschworen, die seit Ende der 1880er-Jahre stark zum Aufkommen der Massenfotografie beigetragen hat. Die zweite von Fotografen verfasste Textsorte sind Manifeste, die Fotografie als Kunst verteidigen und mit Alfred Stieglitz und der Photo-Succession eine Art „aesthetic turn“ (S. 98) in der Fotografiegeschichte einläuten. Stieglitz besonderes Verdienst sei es, so Brunet, Schreiben und Rhetorik zu gängigen künstlerischen Hilfsmitteln der Fotografie gemacht zu haben. Seine daraus abgeleitete Schlussfolgerung dies habe das Verständnis von Fotografie als einem symbolischen Konstrukt gestärkt, hätte man sich noch mehr zur Diskussion gestellt gewünscht. Schließlich bleiben auch dokumentarische Ansprüche in der künstlerischen Fotografie des 20. Jahrhunderts virulent, nicht zuletzt in der Neuen Sachlichkeit, der sich auch Stieglitz zuwandte.

Das letzte Kapitel beleuchtet die Begegnungen von Literatur und Fotografie doch noch aus dem Blickwinkel der Literatur. Hier wird recht pragmatisch analysiert, inwiefern die Fotografie seit ihrer Erfindung als literarische Vermarktungs- und Verrätselungsstrategie zum Einsatz kam. Die Öffnung der Literaten gegenüber der Fotografie führt Brunet anhand von Autorenportraits, fotografischen Illustrationen literarischer Werke und später auch der Entwicklung der Autofiktion vor. In diesen drei Zweigen wird die Fotografie jeweils zum Verbündeten des Schriftstellers und seines (selbst-)darstellerischen Anliegens, so dass Brunet für das ausgehende 20. Jahrhundert feststellen kann, die Fotografie sei eine „new muse of literature“ (S. 143) geworden und es habe eine „successful hybridization of the two mediums“ (S. 114) statt gefunden. Brunet kommt mit dieser Beobachtung zu dem Schluss, dass Literatur zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein weitaus inspirierenderes Bezugsmedium für die Fotografie geworden sei als die Malerei.

Damit scheint der Verbund der beiden Medien jedoch etwas zu euphorisch besiegelt: Schließlich gilt die Medienkonkurrenz zwischen Fotografie und Malerei als sehr viel prominentere Tradition, die auch heute, und sei es nur bei Fragen des Formats und der Hängung an der Wand, alles andere als versiegt ist. Auch insgesamt scheint das Augenmerk Brunets zu sehr auf eine harmonische Synthese von Fotografie und Literatur gerichtet, während den so hartnäckigen wie andauernden Abwertungstendenzen der Literatur gegenüber der Fotografie immer nur am Rande Aufmerksamkeit eingeräumt werden. Demgegenüber nimmt man mitunter irritierend zur Kenntnis, dass ja die von Brunet so weitgreifend herausgearbeitete Rolle des Buches und der Literatur in der künstlerischen Unabhängigkeitsentwicklung der Fotografie letztlich auch als mangelndes Autonomievermögen gewertet werden könnte: Wenn Fotos Texte, Bücher und Signaturen benötigen, um auf ihren Erzeuger und ihren künstlerischen Status zu verweisen, erlaubt das ja ebenso den Rückschluss, ihre Bildhaftigkeit reiche nicht aus, um über Stil, Komposition oder Bedeutung dorthin zu gelangen. Nichtsdestotrotz bleibt Brunets Untersuchung eine gelungene Analyse der intermedialen Verflechtungen im Bereich Fotografie und Literatur. Er führt souverän vor, an welchen konkreten Vorfällen und Dokumenten sich deren „interactions“2 aufarbeiten lassen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Paul Edwards, Soleil noir. Photographie & littérature des origines au surréalisme, Rennes 2008; Jérôme Thélot, Les inventions littéraires de la photographie. Paris 2003; Philippe Ortel, La littérature à l’ère de la photographie. Enquête sur une révolution invisible, Nîmes 2002.
2 Vgl. Jane M. Rabb (Hrsg.), Literature & Photography. Interactions 1840-1990, Albuquerque 1995.

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