Cover
Titel
Die Zeit der Kunst. Literatur, Film und Fernsehen in der DDR der 1960er Jahre. Eine Kulturgeschichte in Beispielen


Autor(en)
Wrage, Henning
Reihe
Probleme der Dichtung 41
Erschienen
Anzahl Seiten
417 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sylvia Klötzer, Institut für Germanistik, Universität Potsdam

Henning Wrage hat sich eine für die DDR-Kunst wichtige Zeit vorgenommen, die fünf Jahre zwischen „heimlichem Gründungstag der DDR“, wie Dietrich Staritz den 13. August 1961 genannt hat, und 11. ZK-Tagung im Dezember 1965, auf der das Verbot der nahezu kompletten aktuellen Jahresproduktion der Studios der Deutschen Film AG (DEFA) für Spielfilme betrieben wurde. Damit unterstreicht der Autor Forschungsbefunde, wonach es erst damals, und nicht etwa nach dem 17. Juni 1953, zu einer grundlegenden Neuformierung der DDR-Kultur kam. Noch einmal lagen Hoffnungen „auf eine Synthese künstlerischen und gesellschaftlichen Funktionierens“ (S. 4) und Desillusionierung dicht beieinander.

Wrage untersucht drei Bereiche künstlerischer Produktion – Literatur, Film und Fernsehen –, bietet dabei jedoch keine Überblicksdarstellung, wie der Begriff „Kulturgeschichte“ suggerieren könnte. Schwerpunkt und Stärke des Buches liegen vielmehr in Befunden, die sich auf zwölf präzise Einzelanalysen gründen, und die so auch anschlussfähig werden können. Zwingend wäre dies etwa für die Literatur. Hier werden Arbeiten von Christa Wolf, Karl-Heinz Jakobs, Franz Fühmann und Erwin Strittmatter untersucht; ausgespart bleiben musste Werner Bräunigs monumentales Romanfragment „Rummelplatz“, das erst 2007 vorlag. Im September 1965 hatte es in der Monatszeitschrift des DDR-Schriftstellerverbandes „Neue Deutsche Literatur“ einen Vorabdruck aus dem Roman gegeben; erscheinen konnte er nach der aggressiven Kritik auf dem 11. Plenum nicht mehr. Nach 1989 galt das Manuskript als verschollen; erst als zwei Fassungen gefunden wurden, gelang eine Rekonstruktion. Die Geschichte der gescheiterten Veröffentlichung 1965 wie die Folgen für Bräunig selbst unterstreichen nachdrücklich Wrages Thema von der Nähe des Hoffens und Scheiterns.

Was bietet das Buch? Zunächst eine sehr klare Struktur, die die schnelle Orientierung erlaubt. Den drei Untersuchungsfeldern Literatur (Kap. 3), Film (Kap. 4) und Fernsehen (Kap. 5) stellt Wrage in Anlehnung an ein dreistufiges Erklärungsmodell von Hartmut Esser jeweils soziale und individuelle Kontexte wie seine Untersuchungsergebnisse („Aggregation“) voran. Erst im Anschluss folgen deren Begründungen in den Einzelanalysen. Kapitel 2 betrachtet Theorien über die DDR; Wrage selbst versteht sie als nachmodern im Sinne von Moderne-reaktiv (S. 30) – im Widerspruch zur These, die DDR sei als vormoderne Gesellschaft zu begreifen (unter anderem Carsten Gansel). Ausdrücklich schließt er an Ralph Jessen an und unterstreicht dessen Kritik einer auf die DDR bezogenen Totalitarismusforschung. Hier begründet sich auch die Methodik. Denn mit Essers Modell einer verstehenden Soziologie kann einerseits die soziale Makro-Ebene in den Blick rücken und damit auch der totalitäre Anspruch der DDR, andererseits die Eigendymnamik des individuellen Handelns der Akteure.

Der entscheidende Fokus liegt auf dem Thema „Generationen“ – vor allem mit Blick auf das Figurenkonzept in den analysierten Romanen, Filmen und Fernsehproduktionen, daneben auch bezogen auf die Autoren selbst. Dies überzeugt als ein die Untersuchungen der drei Medien integrierendes Moment und auch darin, dass so die Kunstwerke im Mittelpunkt stehen, statt etwa (kultur)politische Erwartungen bzw. „Vorgaben“. Nicht zuletzt ist dieser Schwerpunkt darin produktiv, dass er Widerspruch herauszufordern vermag. So wirft das Argument, um 1960 habe „eine Schriftstellergeneration“ der um 1930 Geborenen debütiert, Fragen auf. Überzeugt es für Christa Wolf und Karl-Heinz Jakobs (beide Jahrgang 29), bleibt für Fühmann (Jahrgang 22) – der in ganz anderer Weise vom Krieg geprägt wurde als Jakobs – unbeantwortet, worauf sich das Kriterium einer Generationszugehörigkeit des Autors von „Kabelkran und Blauer Peter“ (1961) genau gründet. Noch stärker gilt dies für Erwin Strittmatter (Jahrgang 1912), noch vor 1933 SPD-Mitglied, im 2. Weltkrieg dann an der Partisanenbekämpfung beteiligt. Nicht nur gehörte der 50-jährige Strittmacher deutlich einer anderen Generation an als Wolf und Jakobs, auch lag im Gegensatz zu diesen Autoren sein Debüt (mit „Ochsenkutscher“, 1951, gefolgt von „Tinko“, 1955) um einiges vor „Ole Bienkopp“ (1963), dem Untersuchungsgegenstand hier.

Mehr Überzeugungskraft entfaltet der Schwerpunkt Generation für den Film; nicht allein deshalb, weil alle drei DEFA-Produktionen, auf die Wrage eingeht, Jugendliche als Protagonisten aufweisen, die sich gegen die Normen der Vätergeneration auflehnen. Auch traten damals bei der DEFA – und markanter als in der Literatur – junge Leute an: mit wenigen Ausnahmen die erste Absolventen-Generation der Filmhochschulen Babelsberg, Moskau und Prag. In den filmischen Formen markierte sich ein deutlicher Bruch gegenüber der Filmsprache in den 1950er-Jahren. Die Spezifik der Filme wie ihrer Produktionsumstände entfaltet der Autor in genauen Analysen von „Beschreibung eines Sommers“ (Regie: Ralf Kirsten, Produktionsjahr 1962/63), der im Januar 1963 Premiere hatte, sowie von zwei Filmen, die zu den auf dem 11. Plenum kritisierten und Zeit der DDR verbotenen gehören: „Denk bloß nicht, ich heule“ (Regie: Frank Vogel, Produktionsjahr 1964/5) und „Berlin um die Ecke“ (Regie: Gerhard Klein, Produktionsjahr 1965).

Den Film dieser Zeit markiert Wrage als „Medium der Söhne“; das Fernsehen dagegen als „Medium der Väter“. Dieses Signet erfasst die zentrale Thematik der untersuchten Filme und Fernsehproduktionen. Die DEFA-Filme der frühen 1960er-Jahre bringen mit den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen im Konflikt mit der Gründergeneration ein neues und auf die DDR-Gegenwart bezogenes Thema. Im „Medium der Väter“ dagegen, dem Fernsehen – das, wie Wrage argumentiert, in dieser Zeit insbesondere die Väter- bzw. Kriegsgeneration ansprechen wollte (S. 276) –, dominieren Geschichtsthemen, Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaften, und es treten Vaterfiguren auf, die als Vorbild angelegt sind. Damit setzt sich im Fernsehen der frühen 1960er-Jahre – als dieses Medium gerade gemessen am Besitz von Fernsehgeräten in der DDR Massenmedium werden konnte – eine Programmpolitik aus den 1950er-Jahre fort in der Fixierung auf die „Systemauseinandersetzung“. So wird gut sichtbar, dass für dieses Medium im Gegensatz zum DEFA-Film der Mauerbau keine Zäsur darstellte. Adlershof hielt am Wettbewerb um Fernsehzuschauer fest, wie an den Mitteln, ihn zu führen. Anders als Literatur und Film konnte das Fernsehen durch diese Fixierung auf die westliche Konkurrenz zu keiner selbstreflexiven Neudefinition der Inhalte kommen. Zugleich waren die Fernseh-Formate dieser Zeit von der bundesdeutschen Konkurrenz inspiriert. Dazu gehörte die Einführung von Großproduktionen bzw. Mehrteilern wie „Gewissen in Aufruhr“ (1961), eine der analysierten Buchverfilmungen. Das Thema Verbot greift Wrage für das Fernsehen mit der Betrachtung von Günter Kunerts „Fetzers Flucht. Monolog für einen Taxifahrer“ auf. Und er beendet sein Buch elegant mit einem Bezug zum Anfang des Literatur-Kapitels, indem seine letzte Analyse der Verfilmung des im Literaturkapitel vorgestellten Fühmann-Buches gilt.

Die frühen 1960er-Jahre zeigen sich für die DDR-Kunst als produktive Zeit, in der etwas riskiert wurde – so lässt sich die „ununterbrochene Reihe von politischen Sanktionen gegen die Kunst“ (S. 363) auch bewerten, die sich seit 1961 verfolgen lässt, mit dem Verbot von Heiner Müllers Aufführung der „Umsiedlerin“ (1961), der Inhaftierung eines Studentenkabaretts (1961), der Absetzung Peter Huchels als Chefredakteur von „Sinn und Form“ 1962 und schließlich dem 11. Plenum und seinen einschneidenden Folgen für den Film. Eine junge Generation war angetreten und hatte ihre Kunst vorangetrieben. Dazu gehörte neben einem gewissen Maß an Unbekümmertheit auch das Gefühl einer politischen Liberalisierung, das sich spätestens 1965 als nicht gedeckt erweisen sollte.

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