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Titel
Delphi and Olympia. The Spatial Politics of Panhellenism in the Archaic and Classical Periods


Autor(en)
Scott, Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
XIX, 356 S.
Preis
£ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katarina Nebelin, Seminar für Alte Geschichte und Institut für Epigraphik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Delphi und Olympia stehen seit über hundert Jahren im Fokus archäologischer und historischer Forschungen.1 Dennoch ist es Michael Scott gelungen, eine originelle, gut lesbare und zu aufbauenden Studien anregende Untersuchung zu den beiden berühmtesten griechischen Heiligtümern zu verfassen. Scott versucht nicht nur, Forschungslücken wie das Fehlen einer umfassenden Überblicksdarstellung zu den „busiest periods“ (S. 11) der beiden Heiligtümer in archaischer und klassischer Zeit zu schließen. Dabei knüpft er zeitlich an Catherine Morgans Monographie zur Geschichte Delphis und Olympias im 8. Jahrhundert v.Chr. an.2 Darüber hinaus erhebt der Autor den Anspruch, einen Paradigmenwechsel weiterzuführen, indem er sich den altbekannten Forschungsobjekten mit neuen Fragestellungen und Analysemethoden nähert und dabei bewährte Kategorien wie die des ‚panhellenischen Heiligtums‘ oder die schematischen Zuordnungen ‚Orakel – Delphi‘ und ‚Spiele – Olympia‘ einer kritischen Hinterfragung unterzieht. Den Ausgangspunkt bilden deshalb nicht die häufig literarisch überformten schriftlichen Quellen, sondern die materiellen Zeugnisse, vor allem bauliche Strukturen und Weihegaben. Als zeitlichen Rahmen der Analyse setzt Scott die Epochen der Archaik und Klassik (650 bis 300 v.Chr.) an.

Der Aufbau der Monographie ist übersichtlich und konventionell: Auf eine kurze Einführung in Problemstellung und Forschungsliteratur (S. 1–12) folgt eine Auseinandersetzung mit den „trends in spatial theory over the last thirty years“ (S. 12–28; Zitat S. 13) sowie ein Überblick über die antike Weihepraxis und das Verhältnis zwischen ‚Heiligtumsverwaltung‘ und Weihendem (S. 29–40). Daran schließt sich der räumlich und chronologisch gegliederte Hauptteil an, der die Entwicklung Delphis (S. 41–145) beziehungsweise Olympias (S. 146–217) jeweils im Zeitraum von 650 bis 300 v.Chr. nachzeichnet. Eine übergreifende Zusammenführung der gewonnenen Ergebnisse findet sich im folgenden Kapitel (S. 218–249). Im Schlusskapitel (S. 250–273) untersucht Scott, welche Konsequenzen seine bisherigen Analysen für die Anwendbarkeit von Begriffen wie ‚Panhellenismus‘ und ‚panhellenisches Heiligtum‘ auf die historische Situation im archaischen und klassischen Griechenland haben.

Scotts Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er in seinen räumlichen Analysen der beiden Heiligtümer weder von der Mikroebene der einzelnen Bauten und Weihungen noch von der Makroebene übergreifender Raumstrukturen, sondern von einem zwischen beiden Ebenen vermittelnden „middle level“ (S. 21) ausgeht. Auf diese Weise will er die komplexe Wechselbeziehung zwischen individuellen Strukturen und deren weiterem räumlichen wie historischen Kontext eruieren. Entsprechend liegt der Fokus von Scotts Untersuchungen auf der Komplexität, der ständigen Wandelbarkeit und Flexibilität räumlicher Strukturen. Deren Variationsbreite zeigt sich gerade am Vergleich des ‚sacred space‘ in Delphi und Olympia (S. 218–228). Zwar waren beide Heiligtümer überregionale, in der gesamten griechischen Welt als bedeutsam angesehene und umkämpfte religiöse Zentren (S. 218). Ihre unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen sorgten jedoch für völlig andere weihepraktische Ausgangsbedingungen: Olympia wurde von wechselnden Poleis – im untersuchten Zeitraum meist Elis – kontrolliert, die sich in einiger Entfernung von dem in dieser Hinsicht extra-urbanen Heiligtum befanden (S. 219 u. 221). Um den eigenen Anspruch auf Olympia zu untermauern, suchte Elis, eine nachhaltige Verflechtung von Polis- und Heiligtumsverwaltung zu erzielen, indem etwa administrative Gebäude wie das Bouleuterion direkt im Heiligtum errichtet wurden (S. 221; vgl. auch S. 158f.). Das delphische Heiligtum befand sich hingegen im Zentrum der gleichnamigen Polis, wurde aber nicht ausschließlich von dieser kontrolliert, sondern auch von der polis- und ethnosübergreifenden delphischen Amphiktyonie verwaltet (S. 221; näheres dazu S. 35f.).

Diese Unterschiede wirkten sich laut Scott auf die jeweilige Weihepraxis aus: In Delphi verhinderte die komplexere Verwaltungsstruktur eine strikte Kontrolle der Weihungen durch die relativ kleine, schwache delphische Polis oder die selten tagende Amphiktyonie. Die Weihenden – Poleis wie Individuen – hatten dadurch eine größere Freiheit, mittels individueller Weihungen eigene Akzente zu setzen, aber auch Rivalität und Uneinigkeit auszudrücken (S. 226; vgl. dazu auch S. 38–40 u. 73). In Olympia dagegen übte die ‚verwaltende Polis‘ eine stärkere Kontrolle über Typ und Aufstellung der Weihungen aus, was zu einem einheitlicheren äußeren Erscheinungsbild des Heiligtums führte (S. 224; vgl. auch S. 34, 165–167, 175 u. 179f.). Scotts Schlussfolgerungen beruhen hierbei fast ausschließlich auf archäologischen Hinterlassenschaften und lassen sich nicht durch schriftliche Quellen untermauern, bieten aber durchaus eine plausible Erklärung für den archäologischen Befund delphischer Weihungsheterogenität gegenüber der Homogenität in Olympia.

Seinem Anspruch gemäß, räumliche Strukturen in einen weiteren Kontext zu stellen, bezieht Scott auch historische Entwicklungen wie die Entstehung und monumentale Umsetzung konkurrierender gesamtgriechischer Identitätskonzeptionen zur Zeit der Perserkriege (S. 81–88 u. 172f.), die Vereinnahmung Delphis und Olympias durch die beiden bipolaren Führungsmächte Athen und Sparta während des Peloponnesischen Krieges (S. 234f.; vgl. auch S. 91, 95–101, 192 u. 202–205) und die Auswirkungen des Aufstiegs Makedoniens auf die beiden Heiligtümer (S. 238–240; vgl. auch S. 125, 133–135 u. 210–214) mit ein.

All diese Aspekte trugen dazu bei, dass die beiden Heiligtümer auf Besucher eine bestimmte visuelle und räumliche Wirkung ausübten, an welche die einzelnen Weihenden anknüpften, die sie durch ihre Weihungen aber auch aktiv verändern konnten. Dies galt besonders für die ‚panhellenische‘ Ausrichtung Delphis und Olympias: Einheitliche oder miteinander um die Aufmerksamkeit des Betrachters konkurrierende, zur Symbolisierung des gemeinsamen Sieges der Griechen über äußere Feinde wie die Perser oder von Siegen griechischer Poleis über andere Poleis errichtete Bauten und Monumente riefen ebenso bestimmte Vorstellungen von gesamtgriechischem Mit- und Gegeneinander hervor, wie ihre eigene Wahrnehmung durch solche Konzepte strukturiert und bedingt wurde. Letztlich boten die Heiligtümer kein einheitliches Bild ‚panhellenischer‘ Eintracht, sondern riefen „the impression of community and rivalry both between their users and between the sanctuaries themselves“ (S. 267) hervor. Es wäre jedoch zu wünschen gewesen, dass sich der Autor intensiver und tiefgreifender mit dem für sein Thema so zentralen Konzept des ‚Panhellenismus‘ befasst hätte, anstatt es auf knapp zehn Seiten (S. 256–264) abzuhandeln.

Letztlich ist das von Scott gezeichnete Bild der griechischen Staatenwelt „as a system of overlapping, yet distinct, forms of community which are reflected in, articulated through and manipulated by […] key physical spaces like Delphi and Olympia, which are themselves also centres of evolving expressions of Greek community and unity“ (S. 270) nicht wirklich neu; es wird von ihm aber überzeugend und anregend auf die beiden bekanntesten griechischen Heiligtümer angewandt. Zahlreiche Karten Delphis und Olympias, die den Bauzustand und damit die räumliche Entwicklung in den verschiedenen Untersuchungsperioden zeigen und durch dreidimensionale Abbildungen einzelner Raumstrukturen ergänzt werden, runden den Band ab. Zu bedauern ist allerdings, dass Scott im Appendix nur zu den „Monumental Dedications at Delphi“ (S. 347) chronologische Tabellen anfügt, da diese für Olympia bereits vorliegen (vgl. S. 10 u. 147). Zudem bleibt die religiöse, über repräsentative und machtstrategische Motive hinausgehende Bedeutung der Heiligtümer weitgehend unberücksichtigt. So widmet sich Scott im Grunde nur dem zweiten Bestandteil der von François de Polignac formulierten „triangular relation […] between dedicator and deity […]; between dedicator and community […]; and also between god and community“.3 Diese Defizite trüben allerdings den insgesamt positiven Gesamteindruck kaum: Scotts Buch vermag zu weiterführenden Forschungen anzuregen und erfüllt damit die schwierige Aufgabe, neue Fragen zu einem altbekannten Thema aufzuwerfen.

Anmerkungen:
1 Zu den jüngsten Untersuchungen gehören etwa François Lefèvre, L’Amphictionie pyléo-delphique: histoire et institutions, Paris 1998; Catherine Morgan, Athletes and Oracles. The Transformation of Olympia and Delphi in the Eighth Century BC., Cambridge 1990; Pierre Sanchez, L’Amphictionie des Pyles et des Delphes: recherches sur son rôle historique, des origins au IIe siècle de notre ère, Stuttgart 2001; Nigel Spivey, The Ancient Olympics, Oxford 2004. Auch das Teilprojekt C2 „Parteiische Götter – konkurrierende Götter“ des Münsteraner Exzellenzclusters „Religion und Politik“ befasst sich mit der politischen und religiösen Rolle von Heiligtümern.
2 Morgan, Athletes.
3 François de Polignac, Sanctuaries and Festivals, in: Kurt A. Raaflaub / Hans van Wees (Hrsg.), A Companion to Archaic Greece, Oxford 2009, S. 427–443, Zitat S. 441.

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