D. Gossel: Medien und Politik in Deutschland und den USA

Cover
Titel
Medien und Politik in Deutschland und den USA. Kontrolle, Konflikt und Kooperation vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert


Autor(en)
Gossel, Daniel
Reihe
Transatlantische Historische Studien 35
Erschienen
Stuttgart 2009: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
449 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
M. Michaela Hampf, John-F.-Kennedy-Institut, Abt. Geschichte Nordamerikas, Freie Universität Berlin

Daniel Gossels Studie untersucht die Beziehungen zwischen Politik und Printmedien in den USA und Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, wobei die Anfänge der politischen Presse während der amerikanischen Revolutionsepoche gestreift werden und die Französische Revolution zumindest als konstitutiv für die Entwicklung des deutschen Pressewesens erwähnt wird. Die Untersuchung geht im herkömmlichen Sinne vergleichend vor, das heißt, zeitlich synchrone Abschnitte zur Geschichte der USA und Deutschlands wechseln sich ab. Gerade eine Studie wie die vorliegende hätte von einem stärker durch Beziehungsgeschichte, Entangled History oder Histoire Croisée geprägten Ansatz profitiert. Statt die Vergleichsgegenstände als vollständig disparat zu setzen, wäre es beispielsweise interessant gewesen, etwas über Amerikanisierungstendenzen der Medien in der Weimarer Republik vor dem Hintergrund der damals vorherrschenden anti-amerikanischen Tiraden der völkischen Presse zu lesen – unabhängig davon, ob man die in Teilen der Forschung vertretene These von der „Amerikanisierung“ bzw. „Modernisierung“ der deutschen Medien teilt. Doch sucht man Hinweise dieser Art hier vergebens. Auch fehlt jeder Hinweis auf systemtheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Presse und Politik, wie sie in Deutschland vor allem von Daniel Delhaes angestellt worden sind.1

Die Untersuchung verfolgt eine doppelte Fragestellung: Zum einen sollen „historische Entwicklungspfade“ im Spannungsverhältnis von Medien und Politik untersucht werden, zum anderen will Gossel versuchen die „Einflussmöglichkeiten individueller Medienunternehmer auf die politische Kommunikation“ (hier Alfred Hugenberg und William Randolph Hearst) näher zu bestimmen (14f.). Wenn der Terminus „Entwicklungspfade“ nicht nur ein modisches Verbalaccessoire sein soll, so wird mit dem Begriff nach Hartmut Kaelble, Jürgen Schriewer und Shmuel Eisenstadt die „theoretische Nähe zu Einsichten in die kulturellen Grundlagen und die symbolischen Selbststeuerungspotentiale der sozial-ökonomischen Entwicklung unterschiedlicher Gesellschaften“2 verbunden. Derartig übergreifende theoretische Überlegungen fehlen dem Buch jedoch; stattdessen beschränken sich die theoretischen und begrifflichen Überlegungen auf drei Seiten, auf denen begründet wird, warum Journalisten (von der Existenz von maßgeblichen Journalistinnen wie Ida Tarbell erfahren wir nur am Rande) eine Gatekeeperfunktion ausüben und warum das Buch sich auf Printmedien konzentriert, obwohl andernorts die Bedeutung von Film, Wochenschau und Radio ausdrücklich hervorgehoben wird (16f.).3

Die Darstellung gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil (S. 27-124) behandelt die Längsschnittuntersuchung bei der Herausbildung der nationalen Presse in den USA und Deutschland, der zweite Teil (S. 125-244) beschäftigt sich mit Querschnittanalysen des strukturellen Umfelds massenmedialer Beeinflussung von Politik während und nach dem Ersten Weltkrieg und der dritte Teil (S. 245-354) schließlich ergänzt die Darstellung durch zwei „Tiefschnitt-Betrachtungen“, will sagen Fallbeispiele zur Geschichte Alfred Hugenbergs und William Randolph Hearsts als wichtige Medienakteure. Ein umfangreicher wissenschaftlicher Apparat schließt die Arbeit ab (S. 360-435). Der dritte Teil – dies sei vorweg gesagt – ist das eigentlich Neue an diesem Buch, denn vor allem Hugenberg darf als wenig untersucht gelten.4 Mit etwas über 100 Seiten stellt er aber nur einen kleinen Teil der Studie dar.

Entsprechend der theoretischen Vorannahmen und wenig elaborierten methodischen Setzungen überrascht es nicht, dass der Autor eine faktengesättigte und in weiten Teilen hervorragend recherchierte Darstellung vorlegt, die aber selten analytische Tiefendimensionen erreicht. An die Untersuchung der staatlichen Pressepolitik und der Pressefreiheit in den USA und in Deutschland schließt sich eine Erörterung des Verhältnisses von Parteien und Presse an, die wesentlich deutlicher konturiert ist, wo es um die deutsche Parteienlandschaft geht. Hier fällt vor allem auf, dass Gossel sich auf Seymour Martin Lipset, „The First New Nation“ sowie Samuel Eliot Morison, Henry Steele Commager und William E. Leuchtenburg, „The Growth of American Republic“ stützt, beides handbuchartige Texte, die man getrost als wissenschaftlich überholt bezeichnen kann.5 So ist in der Behandlung der amerikanischen Gesellschaft und Presse zwar nichts direkt falsch, aber vieles angestaubt. Dazu gehört – und das kann nicht deutlich genug gesagt werden – leider auch die Konzentration auf die Printmedien, obwohl dem Verfasser die Bedeutung der Telegrafie, der Expansion des Nachrichtenwesens und des Radios abstrakt durchaus bekannt ist (S. 97). Unberücksichtigt bleiben bei der Behandlung der Zensur zur Zeit des Ersten Weltkriegs die politisch gewollten und keineswegs „spontanen“ Verletzungen der Bürgerrechte in der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs (S. 131, Anm. 33), die Präsident Abraham Lincoln wie einen „constitutional dictator“ aussehen ließen.6 Dem weitgehend aus der Sekundärliteratur abgeleiteten Vergleich der Presselandschaften und der politischen Systeme in Deutschland und USA ist wenig hinzuzufügen. Es ist vollständig und berührt alle wichtigen Aspekte. Die Entwicklung der deutschen Generalanzeigerpresse wird ebenso erschöpfend abgehandelt wie die Entstehung der „Yellow Press“ in den USA. Technologische Neuheiten werden genauso einbezogen und gewichtet wie strukturelle Veränderungen. Die Fakten und Zahlen sind sehr dicht; zeitweilig liest sich der Text wie eine Aneinanderreihung von Statistiken (S. 107-110, 197-204, 214f.). Die Schlussfolgerungen am Ende des zweiten Teils fallen jedoch ein wenig pedestrian aus: Der zivile Charakter der amerikanischen Kommunikationssteuerung gegenüber den direkten staatlichen Eingriffen in Deutschland wird zu Recht betont, amerikanische Selbstzensur in Zeiten des Ersten Weltkriegs kontrastiert mit deutscher restriktiver Vorzensur, freiwilliges Engagement bei der Propaganda in den USA kann mit bürokratischer Steuerung in Deutschland in Beziehung gesetzt werden. Die Höhe der amerikanischen Zeitungsauflagen korrelierte mit den technologischen Neuerungen, die in den USA durchgesetzt wurden, während in Deutschland der Markt zersplittert und dementsprechend unübersichtlich blieb. An Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Deutschland wird hervorgehoben, dass „sich einige Merkmale des politischen Systems im Mediensystem widerspiegelten“ (S. 242). Hier stößt eben eine auf den reinen Vergleich abhebende Methodik schnell an ihre Grenzen.

Interessanter sind die Ergebnisse, die Gosse in seinen „Tiefenschnitten“ bzw. Fallstudien vorlegt. Hier kann er aus der Fülle der Quellen schöpfen, die er in verschiedenen Archiven der USA und Deutschlands ausgewertet hat. Mit der Zitation wichtiger Quellen vor allem aus dem Hugenberg-Nachlass gewinnt der Text auch an Lebendigkeit und Anschaulichkeit. Es gelingt Gossel, die Struktur des weit verschachtelten Hugenberg-Imperiums nachzuzeichnen – keine leichte Aufgabe –, seine politischen Aktivitäten zu dokumentieren und sein letztliches Scheitern als Politiker zu erklären. Ähnliches kann man über die Behandlung William Randolph Hearsts sagen, obwohl hier die Forschungslage viel besser ist. Die Bancroft Library in Berkeley mit dem Hearst-Nachlass wurde auch von anderen Biographen Hearsts schon benutzt, doch gelingt es Gossel vor allem, Hearst gemäß der Fragestellung des Buchs in seiner parteipolitischen Eingebundenheit und in seinen politischen Machenschaften im Staate New York und im Zusammenhang mit der amerikanischen Außenpolitik nach 1919 zu charakterisieren.

Im Ergebnis bleibt ein gemischtes Bild. Als Einführung in das Verhältnis von Politik, Staat und Presse in den USA und Deutschland fehlt es dem vorliegenden Band an methodischer und theoretischer Klarheit. Als Grundlagentext für Seminare in deutscher und amerikanischer vergleichender Geschichte ist es jedoch sinnvoll, Gossels Buch zu lesen. Man hätte sich mehr Hearst und Hugenberg gewünscht und weniger Fakten und „Verlaufspfade“.

Anmerkungen:
1 Jochen W. Wagner, Deutsche Wahlwerbekampagnen made in USA? Amerikanisierung oder Modernisierung bundesrepublikanischer Wahlkampagnen, Wiesbaden 2005. Barbara Pfetsch, Politische Kommunikationskultur. Politische Sprecher und Journalisten in der Bundesrepublik und den USA im Vergleich, Wiesbaden 2003. Daniel Delhaes, Politik und Medien. Zur Interaktionsdynamik zweier sozialer Systeme, Wiesbaden 2002. Grundsätzlich dazu auch Alf Lüdtke / Inge Marszolek / Adelheid von Saldern (Hrsg.), Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996; vgl. Berndt Ostendorf: Rezension zu: Lüdtke, Alf; Inge Marssolek; Adelheid von Saldern (Hrsg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 1996, in: H-Soz-u-Kult, 01.10.1997, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=372> (07.09.2010).
2 Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer (Hrsg.), Diskurse und Entwicklungspfade. Der Gesellschaftsvergleich in den Geschichts- und Sozialwissenschaften, Frankfurt am Main und New York 1999, S. IXf., S. 66.
3 Zwar verweist Gossel auf die Literatur zum Gatekeeping, ignoriert aber die gehaltvolle Kritik am Modell: Beim Gatekeeper-Modell werden die JournalistInnen als unabhängig entscheidende Individuen dargestellt und die inner- und außerredaktionellen Sozialbeziehungen der JournalistInnen werden völlig vernachlässigt. Zwar ist das Gatekeeper-Modell in seiner moderneren kybernetischen Konzeption durchaus verwendbar, aber eben auf dieses Modell bezieht sich Gossel nicht. Vgl. Siegfried Weischenberg, Mediensysteme – Medienethik – Medieninstitutionen, Wiesbaden 2004, S. 319f.
4 Gossel kann sich bei Hearst auf mehr als zehn moderne Biographien stützen, wobei er nicht alle zur Kenntnis nimmt. So fehlen die knappen Darstellungen von Bonnie Zucker Goldsmith, William Randolph Hearst. Newspaper Magnate, Edina 2009 und Nancy Whitelaw, William Randolph Hearst and the American Century, Greensboro 2004. Ebenfalls unbeachtet blieb John Evangelist Walsh, Walking Shadows. Orson Welles, William Randolph Hearst, and Citizen Kane, Madison 2004.
5 Seymour Martin Lipset, The First New Nation, New York 1979 und Samuel Eliot Morison / Henry Steele Commager / William E. Leuchtenburg, The Growth of the American Republic, New York 1962.
6 Vgl. das Grundsatzurteil des U.S. Supreme Court Ex parte Milligan, 1866.

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