I. Krausman Ben-Amos: The Culture of Giving

Titel
The Culture of Giving. Informal Support and Gift-Exchange in Early Modern England


Autor(en)
Krausman Ben-Amos, Ilana
Reihe
Cambridge Social and Cultural Histories
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 426 S.
Preis
$99.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiko Droste, Institutionen för kultur, genus och historia, Södertörns Högskola

Die Gabe ist ein weites Feld, das in den letzten Jahren intensiv beackert wurde. Mehr als 80 Jahre nach dem Erscheinen des „Essai sur le don“ von Marcel Mauss scheint das Thema aktueller denn je und regt zu neuen Forschungen an. Dabei ist Mauss’ Entwurf keineswegs ohne Kritik geblieben. So wendet sich die vorliegende Studie von Ilana Krausman Ben-Amos explizit gegen die Vorstellung, der frühneuzeitliche Staatsbildungsprozess habe die Rolle der Gabe bzw. der durch die Gabe fundierten Sozialbeziehungen beendet. Ben-Amos konzentriert sich zwar auf die Frühe Neuzeit, will freilich aufzeigen, dass der Gabe selbst im modernen Institutionenstaat eine wichtige Funktion zukommt.

Dieses Ziel verfolgt die Autorin im ersten Hauptteil mit einer Reihe von thematischen Kapiteln, die unterschiedliche Formen einer Gabenkultur im frühneuzeitlichen England untersuchen. Es geht um die Beziehung der Eltern zu ihren Nachkommen, zu Netzwerken der Unterstützung (Verwandtschaft, Nachbarschaft, Patrone und Freunde), es geht um die Kirchengemeinde und die Zünfte sowie die frommen Gaben. Die Vielfalt der Themen ist beeindruckend und Ben-Amos schließt allein die Gaben zwischen Eheleuten sowie eine geschlechtergeschichtliche Perspektive explizit aus. Im Übrigen stützt sie sich auf ein reiches, wenn auch recht disparates Quellenmaterial, das sie eingangs kurz diskutiert (S. 3f.).

Im zweiten Hauptteil untersucht Ben-Amos die Ökonomie des Gebens, also die Motive wie die Praxis einer Kultur, wobei die Analyse in eine Vielzahl von Aspekten aufgefächert wird. Es geht vor allem um Gabendiskurse sowie den Einfluss der Theologie, aber auch um die Gefahren der Gabe bzw. der nicht erwiderten Gabe.

Im abschließenden dritten Hauptteil untersucht Ben-Amos dann die Rolle des Staates wie des Marktes für die Gabenkultur. Dabei betont sie langfristige Kontinuitäten in Zeiten geänderter gesetzlicher Bestimmungen und sozialer Wandlungsprozesse. Das Material wie die Themen der Studie sind außerordentlich reich, und Ben-Amos kann viele Beispiele für ganz unterschiedliche Formen der Gabe anführen.

Die Besprechung des Buchs ist dennoch nicht einfach. Der Reichtum der Quellen und Perspektiven wird nicht durch konkrete Fragen und vor allem Begrifflichkeiten geordnet. Diese wenig analytische Vorgehensweise legt Ben-Amos auch selbst offen: Die Auswahl der behandelten Praktiken sei „inclusive and loosely structured by the varied contexts and social spaces that were relevant to the early modern era” (S. 10). Dabei identifiziert sie die Gabe (gift) mit jeder Form der Unterstützung (support), so dass auch Marktbeziehungen sowie der Staat ihren Platz in der Arbeit finden.

Das führt durchaus zu einem vielschichtigen Bild von der englischen Gabenkultur der Frühen Neuzeit. Die von Ben-Amos formulierten Ergebnisse sind aber durch vage Begriffe des Wandels, der Übergänge sowie durch unklare Zuordnungen gekennzeichnet:
„Given the measure of discretion and flexibility pertaining to timing, quality and content of the exchange – as well as the dynamics that occasionally allowed a negotiated exchange – a wide range of material and non-material assets circulated within varied contexts and social configurations, generating complex forms of giving and variations in density, duration and contents of the exchange. This myriad reciprocal exchange notwithstanding, several offered and exchanged assets were encountered repeatedly in this book; welfare and well-being, trust and loyalty, social status, power and prestige. Some social contexts of interactions invariably entailed elements of them all.” (S. 377)

Dieses Zitat macht die Komplexität ihrer Betrachtungsweisen und Perspektiven deutlich, zeigt aber auch, dass die so erzielten Ergebnisse dieser facettenreichen und quellennahen Studie kaum zu verwertbaren Erkenntnissen führen. Dass Ben-Amos nicht die methodisch-theoretische Schärfe des Tagungsbandes „Negotiating the Gift“1 an den Tag legt, der das Konzept von Mauss auf eine anregende Weise analysiert und hinterfragt hat, lässt sich insofern kaum kritisieren, als dies offenkundig nicht ihrer Absicht entsprach. Worin aber genau ihre Absicht besteht, ist dem Rezensenten nicht klar geworden. Es ist nicht sonderlich originell, der frühneuzeitlichen Gesellschaft eine Vielschichtigkeit der Praxen und Diskurse nachzuweisen. Es impliziert zudem, dass diese Vielschichtigkeit der Moderne nicht länger angemessen sei – ein weit verbreitetes Vorurteil. Die Analyse, die sich bevorzugt einer Begrifflichkeit von „complex“ und „diverse“, von „varied“ und „flexible“ bedient, lässt zu viele Fragen offen. Es bleibt letztlich unklar, worin der Erkenntnisgewinn dieser Studie liegt.

Komplexität entsteht auch dadurch, dass Ben-Amos soziale Praktiken vergleicht, die bei näherer Betrachtung nicht wirklich vergleichbar sind. Wie etwa soll der Stellenwert sozialer und politischer Institutionen gewürdigt werden, wenn deren Handeln dem von Privatpersonen äquivalent gesehen wird, als support? Unterschätzt die Autorin nicht das Bewusstsein der Zeitgenossen für gesellschaftliche Differenzierungen, wenn Gaben innerhalb von Familie, Kirchengemeinde und Kommune nebeneinander gestellt werden?

Gaben sind auch in der Moderne eine verbreitete Form der Unterstützung. Sie sind gleichwohl prinzipiell anders zu bewerten als die religiös motivierte Mildtätigkeit der Frühen Neuzeit. Die lange Perspektive wie die Betonung analoger Verhaltensweisen unterstreicht einerseits die Kontinuität, andererseits verwischt sie Konturen. Der Gesamteindruck dieser engagierten, belesenen und quellennahen Studie ist daher zwiespältig.

Anmerkung:
1 Gadi Algazi / Valentin Groebner / Bernhard Jussen (Hrsg.), Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, Göttingen 2003.

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